Braunschweig wird immer gesichtsloser

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– das Gebäude der öffentlichen Bücherei soll einem Geschäftshaus weichen. Über manche gebaute Kleinode ist man sich in Braunschweig kaum bewusst. Dazu gehört auch das vom Braunschweiger Architekten Justus Herrenberger Anfang der 60er Jahre im Stil nordischer Architektur erbaute Gebäude der Öffentlichen Bücherei. Das Gebäude, in dem viele von uns ihre ersten Lese-Erfahrungen gemacht haben, soll zugunsten eines der üblichen Wohn- und Geschäftshäuser veräußert werden, weil die Stadt den Erlös zur Deckung von Unkosten, die der Umzug ins ECE hervorgerufen hat, nutzen will. Argumente gegen den Erhalt sind rein ökonomischer Natur, eine Sanierung wird für zu teuer befunden.

Die eigene Geschichte bewahren?
Aber wo liegt der Maßstab? Wenn eine gotische Kirche restauriert werden muss, dann wird man kaum auf die Idee kommen, sie zwecks besserer Ökonomie einem Kettenladeninvestor zu verkaufen. Es ist selbstverständlich, dass sie mit allem Mitteln bewahrt werden soll, selbst wenn die kirchliche Nutzung nur noch gering ist. Sie steht als baugeschichtliches Denkmal für die Geschichte einer Stadt, eines Ortes, für die Qualität eines Ensembles. Sie wird oft auch als individuelles Gesicht einer städtebaulichen Situation erkannt. Anders wird vielfach mit Profanbauten umgegangen. Die Stadt Braunschweig hat bereits eine unrühmliche Geschichte, was den Erhalt von Ensembles mit profanem Charakter betrifft. Man kann an den Trümmerplänen im Altstadtrathaus sehr schön nachvollziehen, wie viel städtische Baukunst bereits dem „Traditionsinsel“-Konzept der Nachkriegszeit zum Opfer fiel, meist übrigens, um die mittelalterliche Struktur mit breiteren Straßen zu durchstoßen, die der „autogerechten Stadt“ dienen sollten.

Die Öffentliche Bücherei – ein Gebäude im Stil der nordischen Architektur
Der Wiederaufbau war in Braunschweig nur selten geglückt. Eine rühmliche Ausnahme stellt das Gebäude von Justus Herrenberger dar, das zudem noch ein älteres aus den 20erjahren einbindet. „Mit seinem Materialmix von Beton, Stahl, Aluminium, Glas, Holz und Ziegeln im Stil Alvar Aaltos schlägt er die Bögen zwischen Tradition und Moderne, “kühler” Technik und “warmer” Natur, zwischen Innenraum und  Umgebung.“ kann man im Blog „freigeistreich“ von Regine Nahrwold lesen. Ergänzt durch eine sehenswerte Fotostrecke weist sie auf den stillen Schatz, den dieses Gebäudes darstellt, hin.

Es ist unverständlich, dass ein solches Gebäude, das repräsentativ für eine in Braunschweig nur wenig vorhandene qualitativ hochwertige Architektur der 50er und frühen 60er Jahre steht, nicht unter Denkmalschutz steht. Nun also soll in dem feinen Ensemble ein weiteres geistloses Geschäfts-, Wohn- und Parkhaus entstehen, in dem sich demnächst altbekannte Kettenläden niederlassen können (s. BZ, 22.1. und 26.1. 2010 und 16.10. 2009). Braunschweig zieht es offenbar vor, Vorhandenes nicht zu schützen, dafür nicht mehr Vorhandenes als Farce wieder auferstehen zu lassen (siehe Alte Waage und Schlossattrappe) oder mit kommerzieller Durchschnittsarchitektur zu füllen wie hier. Vielleicht sollte man sich aber doch noch einmal besinnen, bevor durch Abriss (s. FBZ) vorschnell Tatsachen geschaffen werden.

Wie soll die Stadt aussehen?
Der ehemalige Präsident der HBK, Prof. Michael Schwarz, hat gerade kürzlich noch eine Anfrage an die Denkmalbehörde gestellt. Er, wie auch die derzeitige Präsidentin der HBK, Frau Straka und viele andere Bürger der Stadt möchten dieses Gebäude erhalten und mehr noch, das gesamte städtebauliche Ensemble einbeziehen. Diese sensible Ecke im Dreieck zu den fast brach liegenden Vorplätzen von St.Ulrici und St. Petri könnte durch städtebauliche Neuordnung und öffentliche Bestimmung zu einem reizvollen und anziehenden Ort der Stadt werden, der auch die vorhandene Grünfläche nicht zerstört. Die Nähe zum Cinemax, zum Universum, zur ebenfalls vernachlässigten Platzsituation um den Eulenspiegelbrunnen, die städtebauliche Orientierung zwischen Einkaufsstadt und Wohnvierteln bietet ideale Voraussetzungen für eine nicht ausschließlich kommerzielle, stattdessen aber kommunikative Nutzung. Ein Mehrkulturenhaus, ein Ausstellungsgebäude mit Gastronomie in Verbindung mit den umliegenden Kirchen könnte ein Angebot für jene Braunschweiger Bürgerinnen und Bürger sein, die ihre Stadt nicht bloß als dekoriertes Ladengeschäft ansehen.

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