Wie Eulenspiegel in Braunschweig auf dem Damme einem Ledergerber Leder sott …

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… mit Stühlen und Bänken.

Vorbemerkung (K.E.):
Braunschweig habe ein Problem. Das läge aber nicht in der Substanz, von der Braunschweig genug habe. Das Problem läge in negativer Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung, Braunschweig habe ein Image Problem. Ein großer Braunschweiger Händler mit imaginären Werten – ein Münz- und Briefmarkenhändler – holte mit einigen Gesinnungsgenossen, die sich gleichfalls Gewinn davon versprachen, im Jahr 2001 den Dr. Gert Hoffmann nach Braunschweig, damit er die Stadt verarzte und dies Gebrechen heile.

Erst für fünf Jahre und dann 2006 für sieben Jahre wiedergewählt, wird die Ära Hoffmann wohl zwölf Jahre dauern, von 2001 bis 2013. Zwölf Jahre Hoffmann, zwölf Jahre Budenzauber. Dann wird Hoffmann von der Bühne abtreten und … nach ihm die Sintflut. Ein realistischer Ausblick auf das Ende der Ära Hoffmann schimmert schon durch den diesjährigen Haushaltsartikel der BZ – eigentlich erstaunlich früh:

Trotzdem rechnet die Stadt damit, die Schulden um 10,5 Millionen Euro senken zu können – auf den niedrigsten Schuldenstand seit 1972, so Lehmann. Große Defizite, wie die von Verkehrs-AG, Stadtbad- und Stadthallen-Gesellschaft, könnten derzeit noch aus den Privatisierungsgewinnen z.B. der Versorgungs-AG subventioniert werden, erklärte Lehmann weiter.

Damit ist 2013 Schluss. Dann müssten diese Verluste wieder aus dem laufenden Haushalt beglichen werden, das seien jährlich 13,6 Millionen Euro, für die Gewinne aus dem 25,1-Prozent-Anteil der Versorgungs-AG nicht ausreichen werden, wie Lehmann deutlich machte. (Ernst Johann Zauner in der Braunschweiger Zeitung)

Denn nicht nur Defizite wurden mit den „Privatisierungsgewinnen“ ausgeglichen, die Verkaufserlöse aus städtischem Vermögen dienen auch dazu, „freie Haushaltsspitzen“ und Gewinne auszuweisen. Die Show ist perfekt. „Fassadismus“ ist nicht nur eine Spielart der Architektur, es ist auch eine Spielart der Politik und Hoffmann betreibt die perfekte Fassadenpolitik. Am Ende der Ära hat Braunschweig vielleicht kein Image-Problem mehr – das Budget des Braunschweiger Stadtmarketings wird aufgebläht bis zum „Geht-nicht-mehr“ – aber fröhlich verfeiert ist dann die Substanz, die von Braunschweiger Bürgern (zu denen wir hier auch die Adelsgeschlechter rechnen) über Jahrzehnte und Jahrhunderte aufgebaut wurde.

Im BIBS-Forum haben ein „Ulenspiegel“ (sonstiger Name ist der Redaktion nicht bekannt) und Andere mit Beiträgen darauf verwiesen, dass sich Selbstbewußtsein und Identität von Braunschweig und Braunschweigern nicht erschöpft in einer Adelsgeschichte von Kaisern und Königen (naja, Herzöge waren schon auch dabei), von Schlossfassaden und der größten, der allergrößten Quadriga der Welt, die Geschichte der Stadt Braunschweigs wurde auch von ihren Bürgern geschrieben. Mit Ulenspiegels freundlichem Einverständnis übernehmen wir hier seinen Beitrag über Gerber und über Geschichtliches der Gerber von Braunschweig.

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Als Eulenspiegel von Leipzig wegreiste, kam er nach Braunschweig zu einem Gerber, der Leder für die Schuhmacher gerbte. Es war Winterszeit, und Eulenspiegel dachte: du sollst es bei diesem Gerber diesen Winter aushalten. Und er verdingte sich bei dem Gerber als Geselle. Als er nun acht Tage bei dem Gerber gewesen war, da fügte es sich, dass der Gerber als Gast essen wollte. Eulenspiegel sollte an diesem Tag Leder gar machen. Da sagte der Gerber zu Eulenspiegel: „Siede den Zuber voll Leder gar!“ Eulenspiegel sprach: „Ja, was soll ich für Holz dazu nehmen?“ Der Gerber sagte: „Was soll diese Frage? Wenn ich kein Holz in den Holzstapeln hätte, so hätte ich wohl noch so viele Stühle und Bänke, womit du das Leder gar machen könntest.“ Eulenspiegel sagte ja, es sei gut.[…]

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Heute führt uns also diese Eulenspiegelei nach Braunschweig in eine Gerberwerkstatt – ebenfalls ein sehr altes Handwerk – und am Damm gelegen.

Aus der Stadtchronik wissen wir bereits folgendes: “… gewährt u. a. den Braunschweiger Kaufleuten einen Freibrief für seinen dortigen Stapel. 1309 Ausstellung eines Privilegs für die Schuhmacher und Gerber von Herzog Heinrich…“ Daher können wir mit Sicherheit behaupten, dass bereits ab 1309 Gerber in der Stadt ansässig waren.

In der “GESCHICHTE DER BRAUNSCHWEIGER DOMINIKANER” beschreibt Wolfgang Stickler die Gründung des Klosters am Bohlweg:

Am 18. Dezember 1293 unterschrieben die beiden Braunschweiger Herzöge Heinrich der Wunderliche und Albrecht der Fette ein Urkunde, die den Dominikanern erlaubte in Braunschweig ein Kloster zu gründen. […]Dies geschah gegen den Willen des Rates der Stadt sowie der alteingesessenen Geistlichkeit. […] über vierzehn Jahre bekamen die Dominikaner in der Welfenstadt kein Bein auf die Erde.[…]
Am 18. April 1307 erlaubten die beiden Braunschweiger Herzöge Heinrich und Albrecht nochmals den Bau eines Dominikanerklosters in Braunschweig und im August desselben Jahres traten sie den „Drostenhof“ am Bohlweg den Predigerbrüdern für 65 Mark Silbers ab, damit diese dort ein Kloster bauen könnten, […] unmittelbar neben der Burg Dankwarderode und dem Dom. […] Eine Reihe von Gilden siedelten sich am Kloster an: Neben der Gilde der Tuchmacher, der Goldschmiede und der Liebfrauengilde siedelte
sich auch die Gilde der Gerber.[…]

Auch die beiden Sammelbände der Arbeitsgemeinschaft für Südniedersächsische Heimatforschung „Altes Handwerk und Gewerbe in Südniedersachsen“ (1) und „Industrie und Mensch in Südniedersachsen“(2). Der erste Band enthält Beispiele zur Flößerei, dem Gerberhandwerk, der Papierherstellung, den Leinewebern, Sandsteinbrechern, Pfeifenmachern, Harzschrappern und Pechsiedern, Drechslern,Töpfern, Blankschmieden, Tischlern, Herrenschneidern sowie zur Herstellung von Zigarren und Knöpfen.
Desweiteren weiß man, dass in Braunschweig der große Straßburger und europäisch agierende Lederhändler Johann Wilhelm Rautenstrauch um 1840 herum eine Agentur betrieben hat. (http://mohr-rautenstrauch.de/familiengeschichte.rautenstrauch.ursprung.htm)
Bekannt ist auch, dass in Braunschweig ganze Leder-Messen stattgefunden haben (http://www.erfurt-web.de/Gerber), das lässt darauf schließen, dass Gerber- und Schuhmacherhandwerk in Braunschweig ebenfalls reichlich vertreten waren.

Ein Braunschweiger Bürger hat das Gerberhandwerk mit seinen Entdeckungen entschieden erweitert. Amerikanische Gerber bpsw. hatten vom Braunschweiger Professor Knapp (Friedrich Ludwig Knapp, 22. Februar 1814 in Michelstadt geboren; 8. Juli 1904 in Braunschweig gestorben, deutscher Chemiker) und seiner Erfindung im Sinne der technischen Anwendbarkeit von Chrom als Gerbstoff gehört und beschlossen die neue Idee aufzugreifen. Da der Name Knapp in Braunschweig nicht so häufig auftaucht, kann mitunter davon ausgegangen werden, dass sich es dabei evt. um Knapps Nachfahren handeln kann.

Am Damm
Da man zum Gerben reichlich Wasser benötigte, kann zudem davon ausgegangen wrden, dass unser Gerber sich am Damm, was ja auf eine Uferbefestigung hinweist, niedergelassen hat. Auf beiden Seiten der Oker entstanden wahrscheinlich schon im 9. Jahrhundert Ansiedlungen. Auf der östlichen Seite lag eine Siedlung die nach dem heutigeen Stand der Forschung ursprünglich den Namen Brunswik trug und später das Weichbild Altewiek bildete. Auf der westlichen Seite lagen Dankwarderode und die sogenannte Kohlmarkt- bzw. Eiermarktsiedlung.
Eine Furt in der Oker, durch die einige Handelswege führten, begünstigte die Entwicklung der Siedlungen. Bis ins 19. Jahrhundert floß die Oker oberirdisch durch die Münzstraße und die Casparistraße. Die Furt lag etwa am Damm. (http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:WikiProjekt_Braunschweig//Braunschweigische_Geschichte)

Wer sich ein Bild davon machen möchte, wie es damals dort ausgesehen haben mag, kann sich die etwaige Lage der Flur- und Grundstücke anhand einer Zeichnung hier verdeutlichen (PDF, Seite 41).

Braunschweig um 1300
Da erst im 13. Jahrhundert, als sich Schuster-Innungen und andere Ledergewerke in den Städten etablierten, und auch Eulenspiegel in die Zeit um 1300 verweist, ist es sehr gut möglich, dass jemandem zu dieser Zeit wichtig war, die herrschenden Zustände, Gewerke und den Lebensalltag der kleinen Leute zu beschreiben. In Berlin und Cölln bekamen die Schuster das Recht, ihr Leder auf dem Markt zu erwerben, wogegen andere Bürger ihren Bedarf bei Hausschlachtungen zu decken hatten. Dies deutet auf eine gewisse Produktion für den Eigenbedarf. Dagegen wurde die Herstellung von teurem Korduanleder vorrangig für den Export betrieben.

Als archäologische Hinweise sind technische Gruben der Gerberei und größere Fundkomplexe von Lederfragmenten anzusehen, die allesamt bislang noch nicht publiziert vorgelegt wurden.

Neben Handwerkern wie Badern, Müllern oder auch Fischern sind es gerade die Gerber, bei denen aufgrund ihres hohen Wasserbedarfs, aber auch wegen der Geruchsintensität ihrer Tätigkeiten von einer langen Kontinuität ihrer Werkstätten und Arbeitsplätze ausgegangen werden kann. Zudem gehörten die Gerber zu den feuergefährlichen Berufen, da Hitze für verschiedene ihrer Arbeitsschritte notwendig war. Zwar erinnern in vielen Städten nur noch die Straßennamen an ehemals dort gelegene Gerberwerkstätten, aber in manchen Städten sind die markanten Gerberhäuser zumindest noch auf älteren Plänen oder Fotografien erhalten geblieben. In einigen wenigen Städten – genannt seien hier beispielsweise Ulm, Augsburg oder auch Brügge – prägen sie noch heute das Straßenbild. Gerber und Gerberviertel finden sich wegen der notwendigen Wasserzufuhr oft an Bach- und Grabenläufen und dabei meist an der Stelle, wo diese die Stadt verlassen. So können wir daraus schließen, dass auch die Gegend um dem Damm nicht direkt zum Stadtkern oder Zentrum zugehörig, sondern damals etwas abseits gelegen sein dürfte, um die Gefahr und die Geruchsbelästigung, die das Handwerk mit sich brachte, möglichst in einiger Entfernung der restlichen Bürgerschaft und Bauten zu halten.

Aber auch die Einleitung ihrer Abfälle ließ das Wasser für andere Handwerke und auch für Mühlen unbrauchbar werden. Teils lagen Gerberviertel sogar außerhalb der ersten Stadtbefestigung und wurden erst im Laufe der Stadterweiterungen mit in die Befestigung einbezogen.

Das Wasser benötigten die Gerber für die verschiedenen Phasen des Gerbvorgangs: Am Anfang für das erste Waschen und Reinigen der Häute, was vielfach auf Stegen im Bachlauf erledigt wurde. Nach dem Ablösen der Haare durch das Einweichen der Häute in Urin oder Pottasche war Wasser wiederum zum Ausspülen notwendig. Auch die Gerbsubstanz – bei den Rotgerbern Eichenrinde, Lohe genannt – wurde ebenfalls mit frischem Wasser angesetzt, in die die Häute über einen längeren Zeitraum – meist in Gruben – eingelegt wurden. Danach mussten sie erneut gespült werden, um sie anschließend an geschütztem Ort zu trocknen. Diese Tätigkeiten schlugen sich auch auf den Bau eines Gerberhauses und dessen nähere Umgebung nieder, da ein „normales“ Bürgerhaus nur schwer den speziellen Bedürfnissen dieses Berufes anzupassen war.

Wie wohnte unser unbekannter Gerber?
Das Gerberhaus (auch Gerhus genannt) war also meist ein „Produkt bewusster Planung für vorgegebene Produktionsabläufe“. Neben einer Feuerstelle für die verschiedenen Arbeitsschritte gab es vor allem große Bottiche für das Reinigen und Gerben der Tierhäute, die aber bei der Lohgerbung großer Rinderfelle nicht ausreichten. Dafür wurden teils bis zu zwei Meter tiefe Gruben in den Werkstatt- oder Hofboden eingelassen, was dieses Handwerk auch archäologisch leicht identifizierbar macht. Gerade durch ihre geruchsintensive Arbeitsweise, aber auch durch die oft spezifische Architektur ihrer Arbeitsstätten waren die Gerber prägend im Bewusstsein der Stadtbürger verankert. So lässt sich auch erklären, dass sie schnell namengebend für die Straßen wurden, in denen ihre Werkstätten lagen. Eine (ehemalige) Gerberstraße konnte ich für Braunschweig leider nicht ausmachen, so dass davon auszugehen ist, dass sich diese Art Handwerk am Fluss und in Nähe des Dammes befunden hat.

Urkundliche Erwähnung „Am Damm“
1179 Erwähnung der St. Nicolaikirche (am Damm), in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts abgerissen. Ihre Grundmauern wurden 1948 vorübergehend freigelegt. So muss es auch am Damm eine Dammmühle gegeben haben, lt. den „Braunschweiger Stadtmusikanten“: Geschichte eines Berufsstandes, 1227-1828 von Werner Greve (Veröffentlicht von Georg Olms Verlag, 1991
ISBN 3487095408, 9783487095400; 314 Seiten) und neben den Gerbern haben am Damm ab dem 15. Jahrhundert auch die sog. “bassumer” – Spielleute und Eingewanderte aus Bassum (bei Diepholz) gewohnt. Der Name der Straße ist also auch für das 15. Jahrhundert durch Quellen belegt. Die Stadtchronik berichtet, dass diese stillgelegt wurde, so heißt es: “… 1754 bis 1771 – Einrichtung der Fürstlichen Münze bei der stillgelegten Dammmühle.” Auch die “Geschichte der Stadt Braunschweigs im Mittelater” erwähnt den Damm und die Damm-Mühle: “…noch in die Altstadt der Damm bis an die Brücke bei der Dammmühle, der jetzigen Münze, damals die Mühlenbrücke genannt» (Seite 702).

Wer sich ein Bild von den damaligen Bedingungen des Gerber- und Lederhandwerks machen möchte, kann hier einen Blick in eine mittelalterliche Werkstatt werfen > http://www.mittelalter-handwerk.de/g.htm

über den oder die am Damm wohnenden Gerber allerdings ist wenig zu erfahren, so kann man den besagten Gerber aus der Eulenspiegelsage nicht namentlich ehren – was der Sache aber sicher keinen Abbruch tut, haben doch die Gerber mit ihrem tauglichen Handwerk meinem Sagenhelden die vielen vielen Schuhgeschichten gebracht, in denen er zuweilen seine Späße machen durfte und euch eure Fußbekleidung, die euch vor Blasen und Straßenschmutz bis heute bewahrt…

Jedoch kann gesagt werden, dass alle mit dem Familiennamen Gerber, Gerwer, Garber, Roth-, Loh- und Weißgerber recht stolz drauf sein können, dass einer ihrer Vorfahren in einer Sage bis heute erhalten ist, denn der Name Gerber ist ein Berufsname, der sich vom Handwerk eines Vorfahren ableitet und bereits um 1300 überall urkundliche Erwähnungen findet.

Gruß von
Ulenspiegel

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Nachbemerkung (K.E.):

Unten zwei Kartenausschnitte, auf denen der Braunschweiger „Gerber Strom“ eingezeichnet ist, den eine langgestreckte Insel vom „O(c)ker Strom“ trennte. Auf früheren Karten zeigt sich die Insel unbebaut, auf der aus den 1760er Jahren ist sie teilweise bebaut. Die Gerberhäuser und die Häuser auf dem Damm waren durch gemeinsame Innenhöfe verbunden.

Braunschweig hatte zwei große Handelsmessen im Jahr, die Licht- und die Laurenzmesse. In einem mir bekannten Fall boten die Lederhändler in der Schuhstraße vor dem Laden ihre Waren an und hatten in den Innenhöfen der Ladenhäuser ihre Lager, in denen sie auch Waagen stehen hatten und – vertraulicher als auf offener Straße – ihre Geschäfte dann auch abwickeln konnten.

Darunter das Bild einer Truhe, in denen die Händler die Sachen verstauen konnten, die sie in der messefreien Zeit vor Ort ließen. In diesem Fall war das zuletzt – bis in die 1880ger Jahre – ein Lederhändler aus dem französischsprachigen Belgien.

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