Nach der jüngsten Umfrage des ARD DeutschlandTrend lehnen 45 Prozent der Bundesbürger die für 2026 geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen ab, 40 Prozent treten dafür ein. Bekanntlich hatte Kanzler Scholz vor drei Monaten mit der Regierung der USA diese Stationierung von Raketen, die tief nach Russland hinein geschossen werden können, vereinbart. Sein Volk wusste vorher von nichts, die gewählten Abgeordneten waren nicht informiert, konnten also weder dafür noch dagegen stimmen; offenbar sollten wir alle vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Eine gründliche Meinungsbildung der Bürger schien da eher als Störfaktor angesehen zu werden. Nach der schnell einsetzenden massiven Kritik an diesem Vorgehen wurde beschwichtigt: der Kanzler habe das nur nicht so richtig erklärt, und natürlich werde eine ausführliche Grundsatzdebatte im Bundestag nachgeholt.
Drei Monate später müssen wir feststellen: die versprochene Grundsatzdebatte fand nicht statt. Statt dessen wurde am vergangenen Donnerstag, dem 10. Oktober, ab 21.17 Uhr rund 34 Minuten lang über das Thema gesprochen. Und auch das nur, weil das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und die Linke Anträge gestellt hatten, die auf die Annullierung des Abkommens mit den USA abzielen. Dessen ungeachtet zeigt schon das Ergebnis der oben genannten Umfrage, dass das Kalkül des Kanzlers nicht aufgegangen ist: die Debatte lässt sich nicht verhindern, auch wenn viele Medien das Ihre tun, um die geplante Stationierung als das Normalste von der Welt darzustellen.
Drastische Erhöhung des atomaren Risikos für Deutschland, dabei gibt es keine Fähigkeitslücke der NATO
Tatsächlich kann die Frage der Raketenstationierung zu einer lebenswichtigen Angelegenheit für die Bevölkerung Deutschlands werden. BSW und Linke haben in ihren Anträgen eine ganze Reihe schwerwiegender Gründe gegen die Raketen zusammengetragen: die von den Befürwortern behauptete Fähigkeitslücke der NATO entspricht nicht den Tatsachen, wie u.a. Oberst a. D. Richter nachgewiesen hat; die Gefahr eines Atomkriegs „aus Versehen“ wird drastisch erhöht; aus russischer Sicht ergäbe sich die Befürchtung eines möglichen Enthauptungsschlages der USA, was mit Sicherheit zu einer russischen Gegenstationierung führen und das atomare Risiko für Deutschland gravierend erhöhen würde. Und zwar, wohlgemerkt, nur für Deutschland, denn anders als vor 40 Jahren, wo die Mittelstreckenraketen auf mehrere Länder verteilt wurden, sollen sie nur in Deutschland stationiert werden. Dabei lässt die Vereinbarung völlig offen, wer im Ernstfall den Finger am Abzug hätte: die USA allein, um deren Waffen es sich ja handelt? Die NATO ist jedenfalls in dem Papier nicht genannt; auch die Frage, ob die Bundesregierung ein Mitspracherecht hat, bleibt unbeantwortet. Weitere Argumente finden sich in den Anträgen (Bundestagsdrucksachen 20/12812 und 20/12586).
Zehn Abgeordnete hatten nun jeweils etwa 3 Minuten Zeit, Stellung zu nehmen. Der Bundestag war der Tageszeit entsprechend ziemlich schwach besetzt (wir schätzen: mit etwa 70 Abgeordneten). Auch das ein Hinweis auf die Bedeutung, die die meisten Abgeordneten diesem Thema beimessen. Natürlich war eine echte Diskussion der einzelnen Pro- und Contra-Argumente unter diesen Bedingungen gar nicht möglich. Besonders bemerkenswert dabei war allerdings der Beitrag des SPD-Abgeordneten Falko Droßmann, der den USA geradezu huldigte: „Eigentlich, … , können wir auch ein wenig dankbar sein dafür, dass die Amerikaner uns das zur Verfügung stellen an dieser Stelle, was wir Jahrzehnte nicht gemacht haben.“ (Videoaufzeichnung: 21.25 Uhr)
BSW fordert Volksbefragung zur Raketen-Stationierung spätestens zur Bundestagswahl
Nun wurden die Anträge in die Ausschüsse verwiesen. Dann kommen sie in die zweite und dritte Lesung im Bundestag, wo die Mehrheit darüber abstimmt. Die gegenwärtige Mehrheit hat offenbar nicht das Interesse, dem Anliegen von BSW und Linken größere Aufmerksamkeit zu verschaffen, eine größere Debatte kann wohl nur durch Druck von unten erreicht werden. Das BSW hat zu diesem Zweck einen zweiten Antrag eingebracht: Die Bundesregierung soll ein Gesetz vorlegen, das eine Volksbefragung zur Frage der US-Raketenstationierung in Deutschland vorsieht, möglichst im nächsten halben Jahr, spätestens aber zur Bundestagswahl 2025.
Je mehr Menschen sich mit dem Thema befassen, sich Informationen beschaffen und das Pro und Contra miteinander diskutieren, desto schwerer dürfte es werden, die Raketen 2026 tatsächlich in Deutschland zu stationieren. Die Anträge von BSW und Linken können einen kleinen Beitrag zum Erreichen dieses Ziels leisten.
Quelle: Auf bundestag.de finden sich unter der Überschrift „Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland erörtert“ sowohl die Antragsdokumente als auch die Videoaufzeichnung der Redebeiträge der Abgeordneten