Was sagt uns das neue Schloss-Museum?

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Als hätten wir die Abdankung des Welfen-Herzogs Ernst-August am 08.11.1918 niemals zur Kenntnis genommen: aufgebrachte und hungernde BraunschweigerInnen erzwangen damals den Rücktritt des regierenden Herzogs, womit die Geschichte der welfischen Macht in der braunschweigischen Stadtgeschichte ein für alle mal ihr Ende gefunden hat:

      Wieso sollen wir Heutigen, demokratisch gewandelt durch die Niederlagen in zwei Weltkriegen und im nachfolgenden Wohlstand heute, im April 2011, den renovierten Pomp der Schloss-Einrichtung hinter der Ottmer-Fassade  bewundern, angeleitet von einer lokalen Jubel-Presse zur feierlichen Eröffnung ?

     Regen sich da nicht Fragen nach der tatsächlichen Stadtgeschichte, nach dem Wechselspiel von bürgerlicher Macht und herzoglicher Herrschaft, aufeinander angewiesen wie siamesische Zwillinge ?

     Oder Fragen nach den übrigen Zeugen der Stadtgeschichte, wie sie uns bis heute im Städtischen Museum und im Braunschweigischen Landesmuseum aufbewahrt und zugänglich sind ?

     Und schließlich die Frage: brauchen wir darüber hinaus ein Schloss-Museum herzoglichen Gepränges, übrig geblieben nach den Zerstörungen des 2.Weltkriegs und aufwendig renoviert von Boreks Gnaden ?

Sieht man die Stadtgeschichte aus der Perspektive eines Wechselspiels von bürgerlicher Kultur und herzoglicher Machtentfaltung, so bedingen sich diese geschichtlichen Kräfte gegenseitig und bilden als Ganzes ein Auf und Ab der Stadtgeschichte, die uns das neu gegründete Schlossmuseum, einseitig seiner welfischen Residenz verpflichtet, gerade nicht vermittelt.

Wünschenswert wäre ein ganz anderes Konzept für die neugegründete Museums-Einrichtung gewesen, das sich nicht nur auf Sitzmöbel, Tapeten, Teppiche, Geschirr u.ä. des herzoglichen Ambiente bezieht und sich an deren sorgfältiger Restaurierung abgearbeitet hat, sondern mittels seiner Objekte einen vollständigeren Blick auf die wechselvolle Stadtgeschichte möglich machen würde: Bürgerliche Macht und fürstliche Herrschaft setzten sich zunächst kriegerisch auseinander, wohingegen sie später friedlicher koexistierten. Grob skizziert würde sich ein Auf und Ab der Stadtgeschichte so darstellen:

Bis zum 13.Jahrhundert

herzogliche Machtentfaltung und kulturelle Blüte durch Heinrich den Löwen – Entstehung einer bürgerlicher Stadtverfassung: Blütezeit herzoglicher Bedeutung

bis 1671

städtische Selbständigkeit schaffte wirtschaftlichen Wohlstand – finanzielle und politische Abhängigkeit der welfischen Herzöge bis zur militärischen Niederlage der Stadt 1671: Blütezeit der mittelalterlichen Stadt

seit 1830/1831

Ausbau der Modernisierung unter aufgeklärter herzoglicher Regierung – Entwicklung von Kultur und Bildung in bürgerlichen Schichten: Koexistenz von Bürgertum und herzoglichem Hof

seit 8.11.1918

Rücktritt des Welfenherzogs Ernst-August und endgültiges Ende der welfischen Regierungsfunktionen – nach revolutionärer Phase mündet auch Braunschweig in die Weimarer Republik ein: der gesamtdeutsche Geschichtsverlauf beendet auch in Braunschweig die Polarisierung von Stadt und Herzog.

Ohne eine an der wechselhaften Stadtgeschichte orientierte Darstellung muss eine geschichtliche Museums-Konzeption ihren Zweck verfehlen, wenn sie einseitig nur herzogliche Machtentfaltung dokumentiert und deren Abhängigkeit von bürgerlicher Kultur und von wirtschaftlicher/politischer Entwicklung gar nicht in den Blick nimmt. Diesen Mangel an geschichtlichem Blick scheinen die Gründer des Schloss-Museums vielleicht geahnt zu haben, indem sie thematische Video-Präsentationen anbieten, allerdings beschränkt auf die Zeit seit Fertigstellung des Ottmerbaus und auf die seitherigen Ereignisse unter der Regie der Welfen. – Lediglich im Eingangsbereich liegen kleine Führer auf bürgerliche und kirchliche Bauten der Stadtgeschichte aus – nicht integriert in die Ausstellungsobjekte und mit der Museumsbesichtigung nicht erkennbar verbunden.

Obwohl in der Vergangenheit ein fehlendes Gesamtkonzept der Braunschweiger Museumslandschaft des öfteren beklagt wurde, wurden die einsehbaren Video-Installationen nicht dazu benutzt, um Informationswege zu einschlägigen Objekten der Stadtgeschichte im  Städtischen Museum und im Braunschweiger Landesmuseum sowie zu erhaltener Architektur im Stadtbild herzustellen; eine verschenkte Gelegenheit, den Mangel eines fehlenden Gesamtkonzepts weniger fühlbar zu machen !

So bleibt der Eindruck einer welfen-verliebten Einrichtung, zwar ausgestattet mit modernster Besuchertechnik, Wiener Walzerklängen und blendend renovierten Originalen; herzogliches Walt-Disney in Braunschweig ?

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