Venezuela – Ein Brief an die Freundin

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Sie lesen unten einen Brief im originalen Wortlaut. Zwei Freundinnen schreiben sich. Sie kennen sich seit ihrer Schulzeit, doch die Lebenswege trennten sich. Die eine Braunschweigerin (Helga) ging vor etwa 50 Jahren nach Venezuela, die andere blieb in unserer Stadt. Alles nichts Besonderes. Interessant ist der Briefwechsel. Er zeigt seit Jahren, wie es immer schwieriger wird in dem bolivarischen Venezuela zu leben. Noch ist es unter Erschwernissen möglich. Der Braunschweig-Spiegel berichtet darüber, weil in der Vergangenheit insbesondere in der Linken viel Hoffnung in die chavistisch bolivarische Revolution gesetzt wurde, und in Braunschweig darüber wiederholt Vorträge im Gewerkschaftshaus gehalten wurden.

Vor dem Brief aus Venezuela schreibt die braunschweiger Freundin Erklärungen zum Leben der Freundin Helga in Venezuela.

Helga ist vor gut 50 Jahren nach Venezuela ausgewandert. Sie lernte Ihren Mann während des Studiums in Braunschweig an der Kunsthochschule kennen. Er studierte auch in Braunschweig, und er gehört zur 3. Generation, die in  Venezuela lebt. Zwei Jahre später, nach Beendigung ihres Studiums entschloss sich Helga, nach Venezuela auszuwandern. Auf meine Frage, ob sie nicht ein wenig Angst hätte, denn außer ihrem Mann, kannte sie niemanden, antwortete sie nur: „Was tut man nicht alles nur aus Liebe zu einem Mann?“

Das Leben in Venezuela war für sie wie ein Märchen. Sie bekam an einer Schule Arbeit, ihr Mann hatte einen guten Beruf, sie lernte das wunderschöne Land kennen, bekam zwei Kinder und war für venezolanische Begriffe wohlhabend.

Als die Kinder aus dem Haus waren, kauften sie eine kleine Finca und züchteten Avocados, die sich in den Hotelküchen gut verkauften. Aus gesundheitlichen Gründen entschlossen sie sich, vor ein paar Jahren die Finca zu verkaufen. Die politischen und sozialen Verhältnisse wurden immer schwieriger. Die Kriminalität wuchs. Es war fast unmöglich, für die Finca einen Käufer zu finden. Als sich dann endlich ein Käufer meldete, bekam er das Anwesen fast geschenkt. Meine Freundin zog mit ihrem Mann nach Maracay, wo sie vor Jahren schon eine Wohnung gekauft hatten.

Von nun an ging es mit dem Land immer mehr bergab. Es gab immer wieder Engpässe in der Versorgung, und die Menschen kauften sich große Gefrierschränke, um Lebensmittel zu horten. Man hatte Angst abends auf die Straße zu gehen. Immer zum Wochenende gab es viele Morde und Überfälle. Selbst in Caracas sah es nicht anders aus. Auch die kleine Enkelin meiner Freundin wurde Opfer eines Überfalls.

Vor ein paar Tagen erreichte mich  nun wieder Mal eine Horrornachricht:

Ich wollte Dir berichten, dass Anfang des Monats meine Schwägerin, die in Valencia lebt, ein paar Tage bei uns war. Sie hatte in ihrem Auto eine Kiste mit Chlor, 12 Literflaschen. Davon gab sie mir 6 ab, denn seit ewigen Zeiten gibt es weder Putzmittel noch Seife, Schampoo, kein Waschpulver, Spülmittel usw.usw. Aber Einer hilft dem Anderen aus. Wir hatten
vorgesorgt, ebenso Thomas und unsere Nachbarn.  

Jetzt ist es so, dass man nicht mal mehr in einen Supermarkt rein kommt. Einmal sind die Warteschlangen soooo lang, ich schreibe jetzt von 1000 und mehr Personen, die alle etwas zu essen kaufen wollen. Ist aber nichts mehr da und Geld zur Importation auch nicht, und so hat das grosse Hungern begonnen. Es ist grausam, das ansehen zu müssen.

Wir haben es täglich vor der Nase, denn nebenan im Einkaufszentrum ist ein Supermarkt. Wenn ich morgens um 6.00 Uhr aufstehe und ans Fenster gehe, ist da meist schon eine Schlange von 80-100 Personen, um 8.00 Uhr wird aufgemacht. In Caracas ist es noch schlimmer, da übernachten die Menschen vor den Supermärkten, um als erster rein zu
kommen und eventuell etwas Essbares zu bekommen. Gemüse und Früchte bekommt man noch, allerdings nicht alles, was man möchte, und die Preise sind 3 Mal so hoch wie vor nicht mal 6 Monaten, als wir von Deutschland zurück kamen.Wie das Ganze weitergehen soll, weiss niemand. Wir machen nicht mal Pläne für den nächsten Tag, sie Situation ist derart angespannt, dass es jeden Tag losgehen kann. Hoffentlich bald, um wieder in Ruhe leben zu können. Thomas hat jetzt endlich eingesehen, dass es für seine Töchter hier keine Zukunft gibt und versucht, irgendwie aus dem Lande zu kommen. Er hat Freunde in Panama und wollte im März für eine Woche hinfliegen. Es gibt keine Tickets ins Ausland. Er hat ebenfalls Freunde in Kolumbien, dort kann er, wenn es nötig ist, mit einem Bus hin kommen, ist nur sehr riskant wegen der Überfälle. Also muss er ebenso abwarten.

Jahrelang habe ich es ihm gesagt. Er hatte immer wieder Hoffnung, dass sich alles wieder ändert, aber nun fehlt Stephanie noch ein Jahr zum Abitur, und sie muss sich um einen Studienplatz kümmern, und da beginnt das Problem. Sie will Medizin studieren. Na, abwarten!    

In der vorigen Woche waren wir 2 Tage ohne Internet. Jetzt funktioniert es ab und zu (blinkend). Bevor ich anfangen konnte, Dir zu schreiben, war ich über eine halbe Stunde damit beschäftigt, ins Internet zu kommen. Das letzte Wochenende war ganz speziell. Das Hochhaus hat ja einen Wassertank auf Strassenhöhe und mit einem bestimmten Systen wird es hochgepumpt. Seit Monaten wird das Wasser nicht mehr behandelt. Wir haben einen Filter und unser Trinkwasser koche ich 10 Minuten. Das mache ich schon seit vielen Jahren so. Früher konnte man Wasser aus der Leitung trinken, wie in Deutschland, aber diese Zeiten sind schon lange vorüber. Inzwischen war in diesem Wassertank wohl fast mehr Dreck als Wasser und es wurde eine Firma kontaktiert, die die Säuberung am Samstagmorgen machen sollte. Am Nachmittag sollte es dann wieder (sauberes) Wasser geben. Am Freitag waren wir bereits ohne Wasser, weil der Tank leer war und kein Wasser vom Wasserwerk kam. Am Samstagmittag brachten sie endlich die Pumpe zum Arbeiten, die den Rest Wasser/Dreck rauspumpte. Als sie dann den Tank säubern wollte, war wieder kein Wasser da und so verging der Samstag und der Sonntag. Montagmittag gab es dann wieder Wasser, zunächst trübes, dann sauberes. Für uns war das alles kein Problem, denn sicher schrieb ich Dir schon, dass wir eins der 3 Bäder im Apartment geopfert haben und dort einen Wassertank mit Pumpsystem eingebaut haben. Wenn man zu Zweit ist und vorsichtig mit dem Wasser umgeht, kommt man fast eine Woche damit aus, einschliesslich täglicher Dusche.

Das war aber nicht alles an dem Wochenende. Samstagmorgen wollte ich Kaffee machen und mein Gas ging nicht an. Auch das ist ein grosser Gasbehälter, der für sämtliche Hochhäuser (es sind 6) da ist. Und der war leer und es gibt kein Gas. Also holte ich meinen kleinen Elektrokocher raus und den elektrischen Kochtopf und die elektrische Kaffeemaschine, und das Problem war gelöst. Dazu fiel der Fahrstuhl aus, und Internet gab es auch nicht. Gott sei Dank fiel der Strom nicht aus. Dafür waren wir gestern von mittags ein Uhr bis abends um 8 ohne Strom. Claus und ich waren gerade nach Hause gekommen, nachdem wir den Vormittag in der oficina der Telefoncompanie verbracht hatten, ich wollte Essen aufwärmen, und das ging nicht mehr mit der Microwelle.     

 Bei der Telefoncompanie waren wir, weil uns ein Freund angerufen hatte, dass Modems fürs Internet gekommen sind. Vor ein paar Tagen war jemand von der Companie hier und hat den Anschluss kontrolliert und meinte, wir sollten das Modem wechseln, aber es gab keine. Bis gestern. Allerdings muss man einen Bericht des Techniker haben, den hatten wir ja, und so verbrachten wir 3 Stunden in dieser oficina, um dann den Apparat zu kaufen. Installieren wird ihn ein Freund von uns, denn es ist ziemlichkompliziert und ich möchte nichts falsch machen. Er ist Spezialist, also soll er es machen, bevor ich etwas falsch mache. Heute morgen habe ich mir alles durchgelesen und festgestellt, dass da eine Menge technische Daten sind, mit denen ich mich nicht rumärgern möchte.

Ich hoffe, dass wir mit diesem Modem besser ins Internet kommen, obwohl es „made in China“ ist und mir gar nicht gefällt, aber die Telefoncompanie ist von der Regierung und vielleicht sorgen sie ja dafür, dass ihre Sachen zumindest anfangen zu funktionieren. Ich habe hier nicht die Möglichkeit mir einen Anbieter auszusuchen, es gibt zwar noch 2 andere Companien, die aber von der staatlichen abhängig sind und noch schlechter dran sind.   So, nun habe ich genug geschrieben, es ist fast Mittag bei uns, und ich muss schnell Mittagessen zaubern.

Dir nun ganz liebe Grüsse und alles Gute, sei umarmt von

Claus und Helga

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