„Schloss“-Geschichten oder die Verschiebung von Wahrheit (Teil 12)

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Vor knapp einer Woche, in der Welt am Sonntag vom 9. Juli 2006, schrieb Britta Nagel einen Artikel über „drei Todsünden im Städtebau,“ der ganz offensichtlich weder von der Initiative Neue Soziale Marktwirschaft noch vom Braunschweiger Stadtmarketing gesponsort, und auch nicht von einschlägigen Redakteuren der Braunschweiger Zeitung lanciert war. „Zehn besonders schlimme Fälle“ im Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg wurden besonders hervorgehoben und beschrieben. Wie immer, seitdem Dr. Gert Hoffmann die Stadt mit seinem Wirken beglückt, zeigt sich Braunschweig aber auch hier in der absoluten Spitze. Wir zitieren: „Schloss-Arkaden Braunschweig“

„Ein potemkinsches Objekt, das eigentlich nach Disneyland gehört. Im Bild eine Computeranimation – das Gebäude ist noch im Bau. Außen eine preiswert nachempfundene Fassade des Braunschweiger Schlosses, innen Shoppingcenter nach Standardmaß. Architekt Christoph Mäckler zählt die Schloss-Arkaden zu den drei Todsünden der Städteplanung, weil auch sie die Einzelhandelsstruktur zerstören werden.“ (Mäckler ist übrigens ein leidenschaftlicher Liebhaber klassischer Architektur und ein scharfer Kritiker der architektonischen Moderne.)

Warnungen vor dem monströsen Vorhaben gab es genug, auch als es noch nicht zu spät war. Eindringlich mahnte beispielsweise Professor Jürgen Weber schon im Juli 2003 im Braunschweiger Schaufenster:

„… wo einst die Welfen um Herzog Wilhelm residierten, soll jetzt ein Einkaufszentrum gigantischen Ausmaßes aus dem Boden gestampft werden, das die schöpferischen Ideale des späten Klassizismus mit dem kommerziellen Wahnsinn des 21. Jahrhunderts auf geradezu bizarre Art und Weise vermischt,“ und weiter: „Eine Kulturschande und ein Schlag ins Gesicht des Klassizismus …. Wir machen uns damit unsterblich lächerlich. Architekturseminare aus ganz Europa würden nach Braunschweig kommen, um sich das Ganze als Negativbeispiel anzugucken.“ – doch vergeblich: die wohlmeinenden Mahnungen des um die Ehre der Stadt besorgten Braunschweiger Professors stießen beim Oberbürgermeister auf taube Ohren.

Würde das Vermummungsverbot (§ 27 des Versammlungsgesetzes) nicht nur für öffentliche Versammlungen von Bürgern gelten, sondern auch für Bauten in städtebaulichen Ensembles, dann hätten die wackeren Polizisten des niedersächsischen Innenministeriums strikt einschreiten müssen gegen den baulichen Mummenschanz der so genannten „Schloss“-Arkaden, mit dem Dr. Gert Hoffmann (unter freundlicher Mithilfe der Braunschweiger Zeitung) nun schon seit Jahren die Braunschweiger Bürger zum Narren hält.

Einmal haben sie es schon geschafft, der Oberbürgermeister und seine ihm wohlgesonnene Zeitung. Mit Hilfe des „Schloss“-versprechens konnten sie es durchsetzen, dass der Braunschweiger Schlosspark mit einem gigantischen Einkaufszentrum überbaut wurde – wahrlich ein städtebauliches Bubenstück sondergleichen. Und immer dreister und frecher treiben sie das Spiel der Vermummung von Wahrheit. Offenbar wollen sie jetzt mit dem gleichen falschen Spiel auch noch eine Kommunalwahl gewinnen. Denn in der heutigen Braunschweiger Zeitung vom 15. Juli 2006 behauptet doch der Oberbürgermeister einmal mehr steif und fest:

„Wir bauen dort tatsächlich mit der Schlossrekonstruktion das alte Schloss unter Verwendung alter Bauteile und hochwertigen Sandsteins original 1:1 wieder auf.“

Wer aber unter einem so nachhaltigen Realitätsverlust leidet, dass er den monströsen Betonsarg eines riesigen Einkaufszentrum über dem ehemaligen Schlosspark – der eher an Tschernobyl als an ein stolzes Stadtschloss erinnert – nicht vom wahren alten Schloss unterscheiden kann, nur weil ein verhältnismäßig kleiner Teil, um einmal ein anderes Bild zu nehmen: Betonfassadenglatze mit einer feudal gepuderten Schloss-Perücke bedeckt wurde, der gehört – salopp gesagt – doch eher in die Klappsmühle als an die Spitze eines Rathauses.

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