Presseschau: Seelenschau von Braunschweigs neuer Mitte

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Das Verhältnis von Innen und Außen, von Schlossfassaden und Kaufhaus spielt für viele Zeitungen eine entscheidende Rolle. Die Braunschweiger Zeitung zitierte in ihrer Samstagsausgabe auch einen längeren Ausschnitt der Zeit. Den kritischen Tenor, den der Bericht hat, wollte man den Braunschweiger Lesern wohl lieber nicht zumuten. Hier Ausschnitte, die von der BZ nicht zitiert wurden.

Die Zeit, 29. März 2007
„… Der Haupteingang jedoch, das stolze Portal, bleibt dem neuen Souverän überlassen. Hier darf ganz allein er sich inszenieren, vorn sandsteinselig, hinten konsumberauscht.

Ein absurderes Vexierspiel hat die Republik noch nicht gesehen: Direkt hinter dem hehren Rundbogenportal drängt sich plump eine Mulitifunktionsdecke ins Bild. … damit es auch wirklich niemandem entgeht, dass in diesem Schloss vor allem eines regiert: das Prinzip Beliebigkeit. …

Es gewannen die Berliner Architekten Alfred Grazioli und Wieka Muthesius, ihr Vorschlag galt der Jury (unter dem Vorsitz von Peter Kulka) als „virtuos“. … Mehr noch, hier sollte sich zeigen, dass „Moderne und Klassik in Harmonie“ zueinander finden können. Doch bei aller Mühe – angesichts der Wucht des Schlosses wirken die Fassaden nackt und kümmerlich, als hätte man sie nur probeweise aufgestellt, Werbeträger für eine Saison. Besonders arg sind die Seitenfronten: Dahinter sind Parkdecks untergebracht, die Fassaden sehen entsprechend aus. Eilig verputzt, die Fensterlöcher vergittert, so schäbig, dass sich selbst der Stadtbaurat dran stört und die Wände nun rasch hinter Bäumen und Efeu verstecken will. Für die Architekten eine wahrlich „virtuose“ Kapitulation. … Wer vor diesen Billigbauten steht, wünscht sich ganz dringend, die ganze Welt wäre ein rekonstruiertes Sachsteinschloss. Allerdings wünscht er sich das nur, solange er sich die Fassade nicht genauer angesehen hat … Nur für Detailblicke ist die Fassade nicht gemacht. Es sei denn, man will sich ärgern: darüber, wie Heinrich der Löwe hinter Taubengittern weggesperrt wird, wie lauter Strahler die Gesimse und Säulenplinthen überpickeln, …

Vollends abstrus wird es im Inneren. So gut wie nichts von den ursprünglichen Grundrissen wurde rekonstruiert …“

Frankfurter Rundschau, 29.03.2007. :
Das ECE-Projektmanagement als Braunschweiger Hauptakteur, als Bau-Löwe der Schloss-Arkaden und als Regent der Shopping-Mall, spricht davon, dass „modernes Einkaufserlebnis und klassisches Ambiente organisch vereint“ würden. Tatsächlich steht kein Mensch in Braunschweig vor einer solch naturgemäßen Verbindung. Vielmehr ist er konfrontiert mit einem Clash der Konfessionen, der das Alte Europa und die Neue Welt, die Reminiszenz an eine europäische Residenz und das amerikanische Shopping-Mall-Prinzip zusammenzwingt. Es ist also vielleicht angebracht, von einem exquisiten Kampfplatz zu sprechen und bei den Braunschweiger Schloss-Arkaden von einer neuartigen Form der Arena-Architektur.

TAZ 29.03,2007. :
Die TAZ zitiert auch Barbara Schulze und Michael Kaps, die auf den Internet-Seiten der Schlossparkfreunde und der Grünen Ratsfraktion einiges über die Eröffnung des Einkaufszentrum berichteten.

Die Welt, 30.03.2007
Mit Herzblut ist Dankwart Guratzsch ein Verfechter von Schlössern und Schlossrekonstruktionen. Mit Blick auf Braunschweig blutet ihm das Herz:

“ Was dabei herausgekommen ist, macht Kunstliebhabern schwer zu schaffen. Der „Kunde als König“ – das wurde hier allzu wörtlich genommen. Gleich hinter der stolz aufgereckten Säulenparade des Portikus fällt die bombastische Illusion wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Die Mauern (Architekten: Richi und Opfermann) sind nichts als Tapete. Dahinter beginnt ein banales Center, das keinem anderen Zweck als dem „Kauferlebnis“ dient.

Aber was wäre vorstellbar gewesen! Der vielfach wegen seiner robusten Geschäftspraktiken angefeindete Konzern, der von Kritikern für den Leerstand so mancher alten Einkaufsstraße verantwortlich gemacht wird, hätte hier mit einer großzügigen Geste seine Generosität beweisen und eine nie da gewesene Imagekampagne starten können: das Schloss den Bürgern, das dahintergeschobene Riesencenter mit dem mehrstöckigen Parkhaus auf dem Dach dem Handel. Aber zu einer solchen Funktionsteilung, einer Verbeugung vor der Stadt und ihrer Geschichte, sah sich das Unternehmen, das 77 innerstädtische Einkaufscenter betreibt und jährlich neun Milliarden Euro umsetzt, nicht imstande. …

An diesen alten Bildern hat sich die ganze Begeisterung der Braunschweiger für das Schlossprojekt entzündet, ihr haben sie selbst die Bedenken geopfert, die „Seele“ der Stadt an ein Shoppingcenter zu verkaufen. Ihr ist letztlich auch der krampfhafte Versuch geschuldet, so viel Erinnerungen wie möglich zumindest in die vom Handel nicht beanspruchten Räume hineinzustopfen. Die Ausführung, für deren Qualität das renommierte Berliner Architekturbüro York Stuhlemmer bürgt, steht erst am Anfang. Die Peinlichkeiten des Gesamtkonzepts kann sie auch bei höchsten Gestaltungsansprüchen nicht vergessen machen.

So werden einige alte Prunksäle rekonstruiert, aber am unschicklichen Ort: im linken Seitenarm der dreiflügeligen Anlage, wo sie sich nie befunden haben – eine Stilwidrigkeit, die wehtut. Der Thronsaal muss sich mit dem hintersten Raum am Ende einer nachgeahmten Enfilade begnügen, in die auch der prächtige alte Ballsaal in notgedrungen verkürzten Proportionen eingereiht ist. Wenn diese Lösung eines für sich hat, dann dies: Sie diskreditiert Projekte dieser Art so gründlich, dass niemand wagen kann, sie noch einmal vorzuschlagen. Und sie hält die Wunde offen, die der Stadt schon 1960 geschlagen wurde und jetzt neu zu bluten beginnt, bis einmal eine Lösung ohne „Kauflandschaft“ realisierbar ist.

Es ist diese Perspektive, die so manchen Skeptiker in Braunschweig mit der Kreuzung zwischen Schloss und Basar versöhnt. Die gewaltige Anstrengung muss nicht umsonst gewesen sein. Man kann sie als ersten Schritt auffassen, der auch diese furchtbar verwundete Stadt ihrer alten Ausstrahlung und Bedeutung wieder näher bringt.

Berliner Zeitung 31.03.2007
Nikolaus Bernau ist kein Freund von Rekonstruktionen, aber er respektiert sie, wenn

„Grandios sind die neuen klassizistischen Fassaden nach dem Muster des alten Schlosses zweifellos; 1833 bis 1841 war es nach Plänen von Carl Theodor Ottmer, einem der bedeutendsten Schinkel-Schüler, gebaut worden. Wir sehen die geschwärzten, zuvor in Schrebergärten verbuddelten oder als Brunnendekor missbrauchten originalen Bauteile, sehen, wie sie als Spolien eingefügt wurden in hellgelbe neue Fassadensteine. Breite Treppen führen zum kräftigen Fassadensockel, wir entdecken erlesene korinthische Kapitelle, wenige alte, viele neue.

In den prachtvollen Giebel sind wieder die einst im Hof des Landesmuseums zwischengelagerten Figuren eingesetzt. Der gewaltige Kasten darüber lässt innen eine Kuppelhalle vermuten, so wie in Berlins Altem Museum, oder einen Festsaal, den auch die Fenstertüren im Obergeschoss versprechen. Durch den Vorgänger des Portals fuhren einst die Kaleschen bis zur runden Treppe Carl Theodor Ottmers, zwischen deren sensationellen Glaswänden die Hofgesellschaft emporstieg in die Rotunde mit der eisernen Kuppel.

Heute sieht man links Starbucks, rechts Klamotten, geradeaus Rückstauplatz für zwei Kinderwagen, eine weitere grüne Glastür, das Deckenniveau sackt auf Mall-Standardhöhe. Welche Enttäuschung, welche Lüge.

Dieser Bau hat innerlich nichts, aber auch gar nichts vom Braunschweiger Schloss. Die Halle, die an der Stelle des einstigen Hofes und von Teilen des Schlosskörpers entstand, soll mit Brunnen und Mäander-Ornamenten irgendwie historische Stimmung hervorrufen. Die wird aber schnell gebrochen durch diagonal gestellte Rolltreppen und vage an Art Déco erinnernde Oberlichtdetails. An Stelle des einstigen Festsaals befindet sich jetzt eine gut bestückte, mit Puttenrelief und dürren Türrahmungen ausgestattete Bar, von der aus man auf den Balkon treten kann. Da, wo die Rotunde war, trinkt man Frappé im Eiscafé. ….

…. Doch wie wendet sie sich außen der Stadt zu? Von drei Seiten bedrängen die wenigstens 30 000 umbauten Quadratmeter den Körper der Schlossrekonstruktion. Wirklich gemein aber wird dieser Neubau erst durch die von den Berliner Architekten Alfred Grazioli und Wieka Muthesius entworfenen Fassade. Das Glas schimmert Froschgrün und Knallgrün, wird geteilt in hochrechteckige, teilweise bronzefarben gerahmte Streifen – man muss sich ja absetzen von der Horizontalität der Schlossfassaden. Erinnert das Blättermuster im Glas an den Park, der für die Mall geopfert wurde, deutet es vor den zwei Parkdecks ökologische Korrektheit an? Zum Platz neben dem Schloss und zum Theaterplatz hin stehen schlanke Arkaden. Nur an einer Stelle überdecken sie ein Cafe, sonst sind sie völlig überflüssig, aber dafür ausgestattet mit dreifach gestaffelten Glashaut. Welche Kunst! Und zum idyllischen Magni-Viertel, einem der wenigen halbwegs erhaltenen Teile der alten, 1944 untergangenen Fachwerkstadt Braunschweig, steht eine viergeschossige Betonwand, die man nicht einmal auf dem Land erlauben würde. …“

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