Grundgesetz, Adenauer und die Teilung Deutschlands

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Artikel 1 GG: Inschrift an der alten Staataanwaltschaft; die Fritz Bauer anbringen ließ, am Treppenaufgang der ehemaligen Braunschweiger Staatsanwaltschaft. Foto: Uwe Meier

Am 23. Mai jährt sich die Verkündung des Grundgesetzes, 1949 eine beachtlichen Leistung des Parlamentarischen Rates, heute in vielerlei Hinsicht verwässert oder sogar missachtet (z.B. Artikel 26 Absatz 1: Vorbereitung eines Angriffskrieges).

In dem Roman „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“ von Wolfgang Bittner, ist er im Zweiten Teil des Längeren auf die Politik der unmittelbaren Nachkriegsjahre eingegangen. Der Braunschweig-Spiegel veröffentlicht aus dem Roman eine kurze Passage, aus der sehr komprimiert hervorgeht, was die Mütter und Väter des Grundgesetzes beabsichtigten, was aber heute in der Politik keine Beachtung mehr findet.

Grundgesetz, Adenauer und die Teilung Deutschlands

Auszug aus dem Roman „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“

von Wolfgang Bittner

Am 23. Mai 1949 bekommt Westdeutschland auf Veranlassung der Besatzungsmächte eine vom Parlamentarischen Rat beschlossene und verkündete vorläufige Verfassung, die sich Grundgesetz nennt und für die föderal gegliederte Bundesrepublik Deutschland gilt. Danach ist die neu gegründete Republik ein demokratischer und sozialer Bundesstaat, in dem die Staatsgewalt vom Volk ausgehen soll. Die Wahlen für eine neue Regierung sind für Mitte August festgesetzt.

In Rundfunk und Zeitungen sind Politiker, Wissenschaftler und Journalisten voll des Lobes. Eine moderne Magna Charta der Menschenrechte, heißt es, Voraussetzung für die staatliche Neuordnung, aber auch die Grundlage für eine zu lebende Demokratie. Artikel 1 lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Und nach Artikel 2 hat jeder das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Festgeschrieben ist die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, die Unverletzlichkeit der Wohnung und die Versammlungsfreiheit. Des Weiteren verbietet das Gesetz Handlungen, die das friedliche Zusammenleben der Völker stören, insbesondere die Vorbereitung eines Angriffskrieges. Allgemein hervorgehoben wird die Vorläufigkeit dieses Grundgesetzes, das seine Gültigkeit an dem Tag verlieren soll, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die vom deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen wird, um die Einheit Deutschlands wiederherzustellen.

Kaderabeck, der kurz vorbeikommt, bringt der Mutter ein Exemplar des Grundgesetzes mit, das bei der Stadt und der Kreisverwaltung kostenlos verteilt wird. „Ein wirklich gutes Gesetz“, sagt auch er. „Es steht tatsächlich darin, dass Eigentum verpflichtet, sein Gebrauch zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll und dass Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel in Gemeineigentum überführt, also vergesellschaftet werden können.“ „Das entspricht doch dem Ahlener Programm der CDU, in dem eine grundlegende Neuordnung des staatlichen und sozialen Lebens gefordert wird.“ „Genau“, bestätigt Kaderabeck. „Sie haben aus der Vergangenheit gelernt. Warten wir ab, was daraus wird – du weißt, ich bin skeptisch. Und ich glaube auch nicht, dass West- und Ostdeutschland in absehbarer Zeit über die ideologischen und militärischen Grenzen hinweg wieder zusammenkommen.“

„Und was wird aus Schlesien und Ostpreußen?“ „Passé définitif. Das geben die Polen nicht mehr her. Außerdem liegt es im Einflussgebiet der Sowjets.“ (…)

An einem trüben, regnerischen Sonntag im August gehen die Eltern gleich morgens zur Wahl. „Wir haben SPD gewählt“, sagt die Mutter, als sie zurückkommen. „Der Schumacher ist ein ehrlicher Mann, der kann unsere Interessen am besten vertreten.“ Im Radio wird tagelang über diese „erste freie demokratische Wahl auf deutschem Boden seit 1932“ berichtet. Bei einer Wahlbeteiligung von 78,5 Prozent erhielt die CDU zusammen mit der bayerischen CSU 31 Prozent der Stimmen, die SPD unterlag knapp mit 29,2 Prozent. Es folgten FDP mit 11,9, KPD mit 5,7 und DP mit 4 Prozent.

Der Wahlsieger, Konrad Adenauer, der für die Westbindung und eine aktive Rolle der Bundesrepublik in der NATO eintritt, äußert in der neuen Hauptstadt Bonn seine Hoffnung, die CDU/CSU werde in den nächsten vier Jahren einen entscheidenden Einfluss auf die deutschen Geschicke ausüben können. Er geht eine Koalition mit der FDP und DP mit eindeutig antisozialistischer Ausrichtung ein und wird – mit einer Stimme Mehrheit – zum ersten Kanzler gewählt. Ministerialdirigent im Kanzleramt wird wenig später der Jurist und Mitverfasser der Nürnberger Rassegesetze Hans Globke. Der FDP-Vorsitzende Theodor Heuss wird erster Bundespräsident.

Die um 1,8 Prozent unterlegene SPD geht mit ihrem Vorsitzenden Kurt Schumacher in die Opposition. Sie wendet sich gegen die von der Regierung Adenauer propagierte soziale Marktwirtschaft und fordert eine Verstaatlichung aller Grundstoffindustrien. Schumacher, der eine politische Neutralität Deutschlands für möglich hält, spricht sich gegen die enge Anbindung an die USA aus und lehnt eine Bewaffnung der Bundesrepublik Deutschland in aller Entschiedenheit ab.

Albert Hoffmann ist enttäuscht, dass die Deutsche Partei nur vier Prozent der Wählerstimmen erhalten hat. „Kein Nationalbewusstsein mehr“, schimpft er. „Der Adenauer, dieser Amiknecht, verkauft uns doch an die Alliierten.“ Die Koalition mit der CDU besänftigt ihn allerdings. „Gut, dass sie zugestimmt haben. Vielleicht können sie ja in der Regierung etwas für die wahren Interessen des deutschen Volkes bewirken.“

Kurt Kaderabeck, der mit Greta übers Wochenende in Berlin war, hat Hintergrundinformationen über eine gravierende Wahlmanipulation mitgebracht. „Es stand in einer kommunistischen

Zeitung: Adenauer soll in Frankreich interveniert haben, um zu verhindern, dass West-Berlin der Bundesrepublik als Bundesland angeschlossen wurde, deswegen erhielten die Berliner Abgeordneten nicht das volle Stimmrecht im Bundestag. Dieser Fuchs hat mit seinen engen Verbindungen zu den antikommunistischen Alliierten die Sozis einfach ausgetrickst, denn er wusste genau, dass die Abgeordneten aus der sozialdemokratischen Hochburg Berlin seinen Wahlsieg gefährdet hätten.“

Der Schriftsteller und Publizist Wolfgang Bittner lebt in Göttingen. Er hat mehr als 60 Bücher für Erwachsene, Jugendliche und Kinder veröffentlich. 2017 erschien von ihm das Buch „Die Eroberung Europas durch die USA – eine Strategie der Destabilisierung, Eskalation und Militarisierung“. Im März 2019 erschien der Roman: „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“.

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