Geschichte ohne Verantwortung – Zur Verleihung des Irmela-und-Gerd-Biegel-Preises an Christopher Clark

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Der Saal war voll bis auf den letzten Platz. Die Stadt war großzügig gewesen und hatte ihre „gute Stube“, die Dornse, zur Verfügung gestellt. Und der OB sprach höchstpersönlich und  lobte den Professor Biegel, der den Geehrten mit einem frisch gestifteten Preis nach Braunschweig gelockt habe. Ein wenig Überraschung zeigte er schon angesichts dieses neuen, eigentlich gar nicht vorgesehenen  Schwerpunkts im „Themenjahr“ 2013, und zum ersten Mal räumte er ein, dass 1913 ein „Vorgängerjahr“ zu 1914 und damit zum Weltkrieg gewesen war. Aber eigentlich, und da war er wieder bei seiner Lieblingsthese, sei dieser Krieg ein Jahr vorher nicht zu spüren gewesen, das habe Preisträger Christoper Clark mit seinem Buch bekräftigt.

 

Es muss sich bei dieser Preisverleihung um einen Überraschungscoup gehandelt haben: Ein Buch, das die deutsche Kriegsschuld am Ersten Weltkrieg entscheidend verkleinert und das zugleich populärwissenschaftlich geschrieben ist und damit als Beitrag zur Geschichtsvermittlung dienen kann – das alles eignet sich vorzüglich zur Absicherung der stadtoffiziellen Kulturpolitik und baut gleich vor für das bevorstehende vertrackte Jahr 1914. Ein gefundenes Fressen, da spart man nicht mit Superlativen. Clark wird zum „weltberühmten“ Kollegen des Gerd Biegel erhoben, und das Werk des Geehrten ist so lesbar geschrieben, dass Biegel gar von einem Literatur-Nobelpreis für Clark zu schwärmen begann. Man spürte förmlich die Erleichterung über ein solches Geschichtswerk, das nicht mit trockenen Strukturen, sondern mit  Handlung und psychologisch fundierten Charakteren aufwartet.

Damit wurde auch schon das Neue an der Methode angesprochen: Professor Clark will nicht wissen, „warum“ etwas geschah, sondern „wie“ es geschah. Da schimmert Ranke durch, der Historiker des 19. Jahrhunderts, der den Ehrgeiz hatte, darzustellen, „wie es eigentlich gewesen sei“. Dass aber bereits die Auswahl und Kombination der Quellen ein Stück Interpretation darstellt, geht dabei unter.

Clark selbst sprach den zentralen Punkt seines Buches direkt an. Seit 1961 liegt Fritz Fischers „Griff nach der Weltmacht“ vor, eine Analyse der Julikrise 1914, aus der hervorgeht, dass die deutschen Politiker und Militärs den Mord von Sarajevo als willkommene Gelegenheit benutzten, um einen Krieg zu beginnen, von dessen Unvermeidlichkeit sie überzeugt waren –  der Präventivkrieg einer ehrgeizigen, aber auch paranoiden Militärmacht. Diese These will Clark widerlegen, indem er allen Beteiligten  Schuld zuspricht und sie gleichzeitig auch wieder entlastet, da er sie als „Schlafwandler“ einstuft, welche die Tragweite ihres Tuns nicht begriffen hatten. Von Schuld wolle er nicht reden, meinte Clark, da käme sonst eine Kausalität ins Spiel, die wenig Freiheit lasse. Also lieber Unverantwortlichkeit.

Man kann ihm den Vorwurf machen, dass er den Finger nicht auf bestimmte Weichenstellungen gelegt hat, welche die historische Entwicklung irreversibel machten. Volker Ullrich hat zu Recht in einer Rezension in der ZEIT“ darauf hingewiesen, dass Clark auch versäumt hat, diejenigen zu benennen, welche die Möglichkeit zur Deeskalation des Konflikt gehabt hätten und dies unterließen. Damit ist in erster Linie das Deutsche Reich gemeint, das den kriegslüsternen Österreichern einen „Blankoscheck“ verabreichte, in dem es sich verpflichtet, dem Bundesgenossen durch Dick und Dünn zu folgen. Wie es denn auch geschah.  

Dem Publikum, meist grauhaariges Bürgertum,  scheint diese neue Linie der Geschichtsschreibung gefallen zu haben. Es dankte mit lang anhaltendem Beifall.

 

 


Kommentare   
 
+1 #1 Claus Kristen 2013-10-16 23:14
Es handelt sich bei Clarks Sachbuch „Schlafwandler“ um ein Pendant zu Illies‘ belletristische m Buch „1913“. Beide sind Top-Bestseller, und beide zeigen keinerlei neue Perspektiven, sondern drehen das Rad der Geschichte zurück. Es soll ein Forschungsstand erreicht werden, der vor demjenigen Fritz Fischers („Griff nach der Weltmacht“) bestand.Beide sind restaurativ und deuten eine Tendenz an, die sich mit dem Begriff „neokonservativer Geschichtsrevisionismus“ beschreiben lässt und in einer Relativierung der Nazi-Verbrechen enden könnte. Die Frage nach dem „Warum?“ ist ja nach Meinung Clarks unerheblich. Der Lokalmatador Biegel hat sich dabei unmissverständlich positioniert, indem er eine Woche vor der Preisverleihung an Clark den konservativ-reaktionären „Historiker“ Frank-Lothar Kroll zu einem Vortrag eingeladen hat.
 
 

                               

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