Gedenkveranstaltung an der Gedenkstätte für die Opfer von Zwangsarbeit

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Vor 73 Jahren überfiel die faschistische Wehrmacht am 22. Juni die Sowjetunion. Aus diesem Anlaß hatte die DKP zu einer Gedenkveranstaltung an der Gedenkstätte für die Opfer von Zwangsarbeit, beigesetzt auf dem städtischen Friedhof am Brodweg, eingeladen.

Etwa 20 Menschen aus dem friedens- und antifaschistischen Bereich waren gekommen und folgten aufmerksam der Gedenkrede von Werner Hensel.

Ergänzt wurde das Gedenken durch zwei Gedichte: „Genauso hat es damals angefangen“ von Erich Weinert, 1946, und „Bitten der Kinder“ von Bertolt Brecht.

In der Friedenskapelle erläuterte Regina Blume von der Gedenkstätte für Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft eindrucksvoll die Ausstellung „Hingesehen – weggeschaut? Fragen an die NS-Zeit“, eine Ausstellung von Schülerinnen des 13. Jahrgangs der IGS Peine (Vöhrum).

Es schloss sich eine Diskussionsrunde an, in der von der Ausstellung ausgehend auch die aktuelle politische Lage hervorgehoben wurde (sh. Rede).

 


Rede von Werner Hensel am 22. Juni 2014

 

Wir stehen hier am Ehrenmal für sowjetische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, die zwischen 1939 und 1945 in Braunschweig umkamen. In diesen Gräbern liegen die Opfer von Zwangsarbeit aus Polen, der Ukraine und der Sowjetunion.

Im Führer zu dieser Gedenkstätte heißt es: „Die Heranziehung ausländischer Arbeitskräfte begann in der Braunschweiger Region, mit ihrer starken Konzentration von Rüstungsbetrieben und großer staatlicher Bauvorhaben, bereits vor dem Zweiten Weltkrieg. Es waren anfangs vor allem Italiener, die als Zivilarbeiter kamen und nach der Kapitulation Italiens zu Zwangsarbeitern wurden. Im Laufe der Kriegsjahre wurden immer mehr Deutsche durch Ausländer, besonders aus den besetzten Staaten Osteuropas, ersetzt. Genaue Zahlen liegen nicht vor. Rechnet man nur die Bettenkapazität der verschiedenen Lager in der Stadt, kommt man auf rund 15.000. Dies sagt aber kaum etwas über die Gesamtzahl der zwischen 1939 und 1945 hier Beschäftigten aus. Auch die Anzahl der Sterbefälle durch Misshandlungen, schlechte Ernährung, Seuchen oder Bombenangriffe ist bis heute nicht bezifferbar.“

Wir wählen den 22. Juni als Gedenktag, weil an diesem Tag der Vernichtungskrieg der faschistischen Wehrmacht gegen die Völker der Sowjetunion begann. „Unternehmen Barbarossa“ wurde dieses Verbrechen genannt. Die Ermordung von zig Millionen Menschen aus rassistischen und politischen Motiven, die systematische Versklavung ganzer Völker und Ausbeutung derer Reichtümer waren Kriegsziele. 27 Millionen Sowjetbürger bezahlten den Kampf gegen den Faschismus mit ihrem Leben. Es gibt Historiker, die die Zahl der sowjetischen Kriegstoten mit ca. 40 Mio. angeben, davon mehr als die Hälfte Zivilisten. Von den getöteten Soldaten starben allein über 3 Mio. in deutscher Kriegsgefangenschaft.

Wir verneigen uns vor den Opfern und versprechen, alles zu tun, dass sich solches Grauen nicht wiederholt.

Es gibt in diesem Sommer einige Gedenktage aus kriegerischem Anlass. 100 Jahre Beginn des Ersten Weltkrieges. 70. Jahrestag der alliierten Landung in der Normandie. 70. Jahrestag der Operation „Bagration“.

Ich möchte zu den beiden letzten Jahrestagen etwas sagen. Die Eröffnung der zweiten Front durch die Alliierten am 6. Juni 1944 wird als „Anfang vom Ende des Faschismus in Europa“ bezeichnet. Diese Militäroperation war zweifellos eine der größten des zweiten Weltkrieges und sie beschleunigte die Befreiung Europas. „Die 136.000 amerikanischen und britischen Soldaten, die im Kugelhagel der Naziwehrmacht mit tausenden Landungsbooten bei Caen einen Brückenkopf erkämpften, wobei mehr als zehntausend von ihnen starben, haben zweifellos Heroisches geleistet.“ (Polikeit, ZU 13.06.2014) Aber die Befreiung vom Faschismus begann früher – spätestens mit der Niederlage der 6. Armee in Stalingrad. Die Kräfteverteilung der Wehrmacht macht deutlich wo die militärischen Entscheidungsschlachten stattfanden: In Westeuropa standen 54 deutsche Divisionen, an der Ostfront 156. Der schnelle Vormarsch der Alliierten im Westen hing auch mit der Großoffensive der Roten Armee im Sommer 44 zusammen. Auf den Tag genau drei Jahre nach dem Überfall auf die Sowjetunion begann die „Operation Bagration“. „Die erfolgreiche sowjetische Offensive führte zum vollständigen Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte und dem Verlust von 28 Divisionen der Wehrmacht. Sie gilt als die schwerste und verlustreichste Niederlage der deutschen Militärgeschichte. Die während dieser Kämpfe erlittenen Verluste konnte die Wehrmacht nicht mehr ausgleichen. … Die Operation Bagration trug nicht nur entscheidend zur deutschen Kriegsniederlage bei, sondern beeinflusste nachhaltig die politische Entwicklung. Die deutsche Niederlage wurde nun endgültig unausweichlich; die Hoffnungen der Wehrmacht, die Rote Armee wenigstens zu einem Verhandlungsfrieden zu zwingen, zerstoben.“ (Wikipedia) Vor diesem Hintergrund muss man das Attentat hoher Militärs auf Hitler am 20. Juli 1944 sehen.

Es wäre unanständig, einen mehr oder weniger wertvollen Widerstand gegen den Faschismus zu definieren. Alle Opfer verdienen unseren Respekt. Und Kriegsgrauen kann man nur schwer in Zahlen ausdrücken. Aber manchmal sind sie nötig, um historische Tatsachen richtig darzustellen: Die Hauptlast des Krieges trug die Sowjetunion und das faschistische Deutschland hätte am liebsten einen Separatfrieden im Westen geschlossen um weiterhin gegen den Bolschewismus und die slawischen Untermenschen zu kämpfen. Dahinter steckten auch rassistische Motive, aber die Sowjetunion musste niedergerungen werden, damit die Herrschaft des Kapitals nicht in Frage gestellt bleibt. Faschismus ist die „terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“. Wenn diese Tatsachen heute verschwiegen werden, steckt dahinter politische Absicht. Mit dem Vergessen sollen wir auf neue Kriege vorbereitet werden.

Der Antikommunismus wurde nach 1945 schnell wieder Staatsdoktrin. Er musste als Begründung für die Wiederbewaffnung herhalten.

Und die wahren Gründe von Kriegen – Eroberung von Rohstoffquellen und Märkten, Macht über Territorien und Menschen, Profite durch Waffenproduktion sind immer noch aktuell.

Darum werden Kriege vom Zaun gebrochen – 1914, 1939 und heute. War 1914 ein kriegslüsterner Kaiser der Stichwortgeber für den imperialistischen Krieg, spielt heute Militärpfarrer Gauck diese Rolle. Er ist sich einig mit NATO-Generalsekretär Rasmussen und US-Präsident Obama, dass man Feuer am besten mit Benzin löscht, oder wie soll man die Forderung nach höheren Rüstungsausgaben nennen? Sie nennen es „Verantwortung übernehmen“ und meinen zerstören und morden. Verantwortungslos ist  die Rolle der Massenmedien, die geradezu fanatisch eine antirussische Kampagne befördert. So werden Kriege gemacht. Man schlafwandelt nicht in einen Krieg! Wir müssen uns nicht mit den Interessen Russlands identifizieren, aber es ist eindeutig, wer eine Einkreisungspolitik betreibt. „Obama hat bei der ersten Station seiner Europa-Reise, nämlich in Warschau, ausdrücklich für den Ausbau der NATO-Präsenz in Osteuropa plädiert. Kurz vorher hatte die NATO in einem vertraulichen Papier laut ‚Spiegel‘ die Absicht bekundet, auch Armenien, Moldawien und Aserbaidschan stärker in Planungen und Manöver der NATO einzubeziehen. Schließlich ermutigte der G7-Gipfel in Brüssel unter Beteiligung Obamas die Kiewer Machthaber ausdrücklich dazu, den Krieg gegen die Aufständischen in der Ostukraine „zur Wiederherstellung von Recht und Gesetz“ fortzusetzen, wofür weitere 18 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt wurden. Sieht so „Entspannung“ aus?“ (Polikeit, ZU 13.06.2014) Angesichts der Jahrzehnte alten Gräber von Russen, Ukrainern und Polen sind wir erschüttert über die Machtbeteiligung von Faschisten an der ukrainischen Regierung. Unerträglich ist das Schweigen der Bundesregierung zu diesem Tatbestand Ist diese neue Form von Machtausübung unsere Zukunft? Für die Oligarchen der Ukraine hat die bürgerliche Demokratie keine Bedeutung mehr. Sie üben ihre Macht direkt aus – als von einer Putsch-Regierung eingesetzte Gouverneure mit eigenen bewaffneten Kräften, anerkannt von ausländischen Regierungen. Faschismus kann auch ein anderes Gesicht haben, als wir es kennen.

Für eine friedliche Welt, für die Verteidigung demokratischer und sozialer Rechte braucht es mehr als Gedenken an die Opfer faschistischer Herrschaft. Wir verbinden Erinnerung und Gedenken mit aktivem, solidarischem Handeln. Lasst uns die Kräfte bündeln, es steht viel auf dem Spiel.

 

Bitten der Kinder

Die Häuser sollen nicht brennen.
Bomber sollt man nicht kennen.
Die Nacht soll für den Schlaf sein.
Leben soll keine Straf sein.
Die Mütter sollen nicht weinen.
Keiner soll müssen töten einen.
Alle sollen was bauen.
Da kann man allen trauen.
Die Jungen sollen‘ s erreichen.
Die Alten desgleichen.

Bert Brecht

 

 

Genau so hat es damals angefangen

Kaum war das tausendjährige Reich kaputt,
da krochen sie behend, die Hakenrune
rasch aus dem Knopfloch polkend, aus dem Schutt
und machten, etwas vorschnell, auf Kommune.

Mit vollen Hosen standen sie parat,
mit jeder Sorte Plebs sich zu verbrüdern
und drängelten sich vor, dem neuen Staat
sich anzubieten oder anzubiedern.

Auf einmal gab’s in Deutschland nichts als Opfer,
bereit zum Eintritt in die Heilsarmee,
und schon erschienen auch die Schulterklopfer
und tremolierten ihr absolvo te!

Wer konnte wohl auf so viel Nachsicht hoffen!
Sie stiegen wieder ins Geschäft mit ein,
denn alle Hintertüren standen offen,
und jeder hatte den Entlausungsschein.

Sieg-Heil! Der erste Schock ist überwunden.
Die Amnestie begießt man auf Banketts.
Und man entschädigt sich für Schrecksekunden
Und sucht und findet Löcher im Gesetz.

Schon gehen die meisten wieder durch die Maschen.
Wie lange noch? Dann steht der Schießverein.
Denn statt das Land von Nazis reinzuwaschen,
wäscht man die ganzen Nazis wieder rein.

Das darf sich heut‘ schon wieder frech vermessen
und sein Bedauern fassen ins Gebet,
daß viel zu wenig im KZ gesessen
und daß es nicht nochmal nach Moskau geht.

Das geht heut‘ immer noch Soldaten spielen,
wohin kein unberuf’nes Auge guckt,
und lernt auf unbequeme Köpfe zielen,
bereit zum Einsatz, wenn die Straße muckt.

Das lässt schon wieder Meuchelmörder frei,
nach denen sie jahrzehntelang gefahndet,
als ob inzwischen nichts geschehen sei.
Doch Fahnenflucht wird immer noch geahndet.

Das macht, im Schatten der Vergesslichkeit,
in seiner Klause noch den Stil von gestern,
schon wieder sich in Leitartikeln breit
und darf, was heut‘ sich redlich müht, verlästern.

Das darf sich wieder vor Kathedern flegeln
Und wird nicht gleich mit Prügeln relegiert.
Das spielt sich wieder auf nach Standesregeln
statt Schutt zu karren, wie es ihm gebührt.

Ja, haben dafür unsere kühnsten Herzen
gekämpft, gelitten und ihr Blut verströmt,
daß, die wir einst geschworen auszumerzen,
heut‘ nicht einmal mehr öffentlich verfemt?

Genau so hat es damals angefangen!
Und wo es aufgehört, ist euch bekannt.
Verschlaft ihr noch einmal, die zu belangen,
dann reicht bestimmt kein Volk uns mehr die Hand.

 

Erich Weinert

 

Quelle:
„Verbrannte Bücher leben“ 10. Mai 1933 – 10. Mai 1947, Zur Erinnerung an den 2. Tag des freien Buches, Berlin 10. Mai 1947
Herausgeber: Schutzverband deutscher Autoren „Der Autor“, Berlin W 15, Schlüterstr. 45, Lizenz-Nr. 124 der SMA – Sonderdruck –

 

 

 

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