Filmfest: Gegen den Verlust des Kanons in Kunst und Kultur

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Das Staatsorchester unter Hollywood-Großmeister Don Davis startete in der Stadthalle mit dem Filmkonzert zu „Matrix“ das Braunschweig International Film Festival. Foto: Klaus Knodt

Es begann nicht mit einem Paukenschlag. Sondern mit einem virtuosen Crescendo der Streicher, die am Kulminationspunkt an das Blech abgaben. Das 31. Braunschweig International Film Festival BIFF eröffnete mit dem „Matrix“-Soundtrack beim traditionellen Filmkonzert des Staatsorchesters in der Stadthalle Braunschweig.

Maestro Martin Weller hatte seinen Platz am Pult an Donald „Don“ Davis abgegeben, den Hollywood-Komponisten, der für die Musik zur „Matrix“-Reihe mit „Emmys“ ausgezeichnet wurde. Hinter dem um Schlagwerk, Bläser und ein zweites Piano erweiterten Klangkörper lief während der Musikaufführung das filmische Meisterwerk der Geschwister Wachowski aus dem Jahr 1999 auf einer riesenhaften Leinwand.

Über den allseits bekannten Matrix-Plot, der mit pseudo-philosophischer Gesellschafts-, Technik- und Menschheitskritik den abgrundpuren Spaß an der actionlastigen Science-Fiction-Ballerei tarnt, muss nicht mehr gesprochen werden. Dass der aufgrund seiner, vor 18 Jahren revolutionären Schnitt- und Digitaltechnik, Oscar-prämierte Streifen den Auftakt für des „BIFF“ bildet, mag dem Anspruch „eines der Top-10-Filmfestivals in Deutschland“ (Geschäftsführer Nordmedia Thomas Schäffer) geschuldet sein. Denn ansonsten widmet sich das BIFF in diesem Jahr eher den leisen, privaten und erzählerischen Filmen, zeichnet gar eine zur introvertierten Charakterdarstellerin gereifte Nina Hoss mit der „Europa“ aus. Man möchte mit den 260 Aufführungen offenbar viele Genres und viele Geschmäcker bedienen.

Folgerichtig stellte BIFF-Vorstand Edgar Merkel in seinen Begrüßungsworten die durchaus berechtigte Frage: „Wie positionieren wir uns?“ Mainstream- oder Indie-Kino, kleine Newcomer oder große Glamour-Produktionen? Die Antwort ist gar nicht so einfach und auch wirtschaftlich bedingt. Merkel: „Die Grenzen zwischen den Lagern verwischen. China und Indien stellen inzwischen mehr Filme her als Hollywood. Netflix, Distributionswege, die Digitalisierung und Sehgewohnheiten verändern das Kino.“ Der Rechtehandel hinter den Kulissen habe dazu geführt, dass es große Produktionen gibt, „die wir nie auf großer Leinwand sehen können.“

 

Eröffneten das „BIFF“ in der Stadthalle (von links): Filmfest-Vorstand Edgar Merkel, Staatstheater-Intendantin Dagmar Schlingmann, Thomas Schäffer (Nordmedia), Festival-Direktor Michael P. Aust, Bürgermeisterin Anke Kaphammel. Foto: Klaus Knodt

Durchaus kritisch analysierte Festival-Direktor Michael P. Aust in seiner Eröffnungsrede das zeitgenössische Kino: „Es spukt in unserer Zeit, nicht nur politisch. Überall entstehen neue Konfliktlinien. Die wurden von vielen Filmen in der Vergangenheit untersucht.“ Wenn es eine Zensur gab, dann die des Fernsehens. „Insofern waren die Streamingdienste zunächst gut, weil sie andere Sichtweisen und Formate zuliessen.“ Inzwischen habe diese breite Offenheit des Netzes allerdings ihre Schwächen gezeigt: „Heute werden keine klaren Meinungen mehr herausgestellt. Jeder sucht sich aus dem breiten Angebot das raus, was er gern sehen und hören möchte.“ Die Eigenisolation in der Angebotsuniversalität ist angebrochen. Aust spricht von einem „Verlust des Kanons in Kunst und Kultur“. Mit den bewusst ausgewählten Werken „Jeannette, L’Enfance de Jeanne D’Arc“ oder der Neo-Western-Reihe habe man hier entgegen steuern wollen. „Das Kino braucht auch die Held/Innen als Alltagstypus, die Zivilcourage verkörpern.“

Geht das Kino vor diesem Hintergrund den Bach hinab? Nein, sofern es neue Wege sucht, ist sich Schäffer sicher: „Festivals wie das BIFF sind anziehend und entwickeln eine eigene Dynamik. Viele Filme, die dort gezeigt werden, kann man sonst nirgendwo sehen.“ Auch Staatstheater-Generalintendantin Dagmar Schlingmann glaubt an die Zukunft des klassischen Films: „Als der Film aufkam, prophezeite man dem Theater den Untergang. Tatsächlich haben sich beide Formen ergänzt. Ästhetik und Form des Kinos haben das Theater verändert; andererseits haben Fassbinder und Godard Filme wie eine Aneinanderreihung von Theaterszenen gestaltet.“

Bürgermeisterin Anke Kaphammel überbrachte im Namen des Oberbürgermeisters zur Festival-Eröffnung die Grüße der Stadt.

 

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