Die UNO alarmiert uns: Die gesamte palästinensische Bevölkerung im nördlichen Gazastreifen ist in unmittelbarer Gefahr, an Krankheiten, Hunger und Gewalt zu sterben

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Foto: pixabay

Vorbemerkung der Redaktion: Am 1. November haben 15 Organisationen, darunter die Weltgesundheitsorganisation, das Welternährungsprogramm, UNICEF und das Weltentwicklungsprogramm (Leiter: der deutsche Diplomat Achim Steiner) einen Brandbrief veröffentlicht, der niemanden kalt lassen kann, der das Gelesene nicht gleich wieder verdrängt. Man kann den Appell auch als letzte Warnung verstehen, deren Nichtbeachtung schwerste Folgen nach sich zieht – für das palästinensische Volk, aber langfristig auch für die, die die verhängnisvolle Entwicklung nicht aufgehalten haben. Die Verfasser des Briefes haben eine hohe Glaubwürdigkeit, so dass niemand später sagen kann, er habe es nicht gewusst. – Die englische Originalfassung des Briefes findet sich bei SPIEGEL Online (2.11.2024). Die Hervorhebungen stammen von der Redaktion. a.m.

Stop the assault on Palestinians in Gaza and on those trying to help them

Wir, die Leiter von 15 Organisationen der Vereinten Nationen und humanitären Organisationen, fordern erneut alle im Gazastreifen kämpfenden Parteien auf, die Zivilbevölkerung zu schützen, und appellieren an den Staat Israel, seine Angriffe auf den Gazastreifen und auf die humanitären Helfer, die zu helfen versuchen, einzustellen.

Die Situation, die sich im nördlichen Gazastreifen abspielt, ist apokalyptisch. Das Gebiet wird seit fast einem Monat belagert, wobei grundlegende Hilfe und lebensrettende Güter verweigert werden, während Bombardierungen und andere Angriffe andauern. Allein in den letzten Tagen wurden Hunderte von Palästinensern getötet, die meisten von ihnen Frauen und Kinder, und Tausende wurden erneut zwangsweise vertrieben.

Dutzende von Schulen, die als Notunterkünfte dienen, wurden bombardiert oder zwangsevakuiert. Zelte, in denen vertriebene Familien untergebracht sind, wurden beschossen und Menschen bei lebendigem Leib verbrannt.

Rettungsteams wurden gezielt angegriffen und bei ihren Versuchen, die unter den Trümmern ihrer Häuser begrabenen Menschen zu bergen, behindert.

Die Bedürfnisse der Frauen und Mädchen sind überwältigend und werden täglich größer. Wir haben den Kontakt zu denen verloren, die wir unterstützen, und zu denen, die lebenswichtige Dienste im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der geschlechtsspezifischen Gewalt anbieten.

Und wir haben Berichte erhalten, dass Zivilisten angegriffen werden, wenn sie versuchen, sich in Sicherheit zu bringen, und dass Männer und Jungen verhaftet und an unbekannte Orte gebracht werden, um dort festgehalten zu werden.

Auch das Vieh stirbt, Anbauflächen wurden zerstört, Bäume niedergebrannt und die Infrastruktur der landwirtschaftlichen Nahrungsmittelversorgung wurde dezimiert.

Die gesamte palästinensische Bevölkerung im nördlichen Gazastreifen ist in unmittelbarer Gefahr, an Krankheiten, Hunger und Gewalt zu sterben.

Die humanitäre Hilfe kann aufgrund der Zugangsbeschränkungen nicht mit dem Ausmaß des Bedarfs Schritt halten. Grundlegende, lebensrettende Güter sind nicht verfügbar. Die humanitären Helfer können ihre Arbeit nicht sicher verrichten und werden von den israelischen Streitkräften und durch die Unsicherheit daran gehindert, die Menschen in Not zu erreichen.

Ein weiterer Schlag für die humanitäre Hilfe ist, dass sich die Polio-Impfkampagne aufgrund der Kämpfe verzögert hat, wodurch das Leben der Kinder in der Region gefährdet ist.

Und diese Woche hat das israelische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das das UNRWA verbieten und seine Vorrechte und Immunitäten aufheben würde. Würden solche Maßnahmen umgesetzt, wäre das eine Katastrophe für die humanitäre Hilfe im Gazastreifen, würde der Charta der Vereinten Nationen diametral entgegenstehen, hätte möglicherweise schwerwiegende Auswirkungen auf die Menschenrechte von Millionen Palästinensern, die auf die Hilfe des UNRWA angewiesen sind, und würde gegen die völkerrechtlichen Verpflichtungen Israels verstoßen.

Lassen Sie es uns ganz klar sagen: Es gibt keine Alternative zum UNRWA.

Die eklatante Missachtung grundlegender Menschlichkeit und der Gesetze über Krieg muss aufhören.

Das humanitäre Völkerrecht, einschließlich der Regeln der Unterscheidung, der Verhältnismäßigkeit und der Vorsichtsmaßnahmen, muss beachtet werden. Die Verpflichtungen des humanitären Völkerrechts hängen nicht von Gegenseitigkeit ab. Keine Verletzung durch eine Partei entbindet die andere Partei von ihren rechtlichen Verpflichtungen.

Die Angriffe auf die Zivilbevölkerung und die Überreste der zivilen Infrastruktur in Gaza müssen aufhören.

Die humanitäre Hilfe muss erleichtert werden, und wir fordern alle Parteien auf, den betroffenen Menschen ungehinderten Zugang zu gewähren. Außerdem muss die Einfuhr von Handelsgütern in den Gazastreifen ermöglicht werden.

Die Verwundeten und Kranken müssen die notwendige Versorgung erhalten. Medizinisches Personal und Krankenhäuser müssen geschont werden. Krankenhäuser dürfen sich nicht in Schlachtfelder verwandeln.

Unrechtmäßig inhaftierte Palästinenser müssen freigelassen werden.

Israel muss den vorläufigen Anordnungen und Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs nachkommen.

Die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppen müssen die Geiseln unverzüglich und bedingungslos freilassen und sich an das humanitäre Völkerrecht halten.

Die Mitgliedstaaten müssen ihr Druckmittel einsetzen, um die Einhaltung des Völkerrechts zu gewährleisten. Dazu gehört auch die Zurückhaltung des Transfers von Waffen, wenn eindeutig die Gefahr besteht, dass diese Waffen unter Verletzung des Völkerrechts eingesetzt werden.

Die gesamte Region befindet sich am Rande eines Abgrunds. Eine sofortige Einstellung der Feindseligkeiten und ein dauerhafter, bedingungsloser Waffenstillstand sind längst überfällig.

Unterszeichner:

  • Ms. Joyce Msuya, Acting Emergency Relief Coordinator and Under-Secretary-General for Humanitarian Affairs (OCHA)
  • Ms. Nimo Hassan, MBE, Chair, International Council of Voluntary Agencies (ICVA)
  • Mr. Jamie Munn, Executive Director, International Council of Voluntary Agencies (ICVA)
  • Ms. Amy E. Pope, Director General, International Organization for Migration (IOM)
  • Mr. Volker Türk, United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR)
  • Ms. Abby Maxman, President and Chief Executive Officer, Oxfam
  • Ms. Paula Gaviria Betancur, United Nations Special Rapporteur on the Human Rights of Internally Displaced Persons (SR on HR of IDPs)
  • Mr. Achim Steiner, Administrator, United Nations Development Programme (UNDP)
  • Ms. Anacláudia Rossbach, Executive Director, United Nations Human Settlement Programme (UN-Habitat)
  • Mr. Filippo Grandi, United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR)
  • Dr. Natalia Kanem, Executive Director, United Nations Population Fund (UNFPA)
  • Ms. Catherine Russell, Executive Director, UN Children’s Fund (UNICEF)
  • Ms. Sima Bahous, Under-Secretary-General and Executive Director, UN Women
  • Ms. Cindy McCain, Executive Director, World Food Programme (WFP)
  • Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, Director-General, World Health Organization (WHO)

2 Kommentare

  1. ein Interview zum Thema:
    WarZoneEcho scheint ein deutscher youtube-Kanal auf englisch
    zu sein (die Journalistin fragt einmal nach dem Wort fuer ‚Grenze‘ und John Mearsheimer antwortet ‚border‘).
    Die militaerischen Hintergrundfilme gefallen mir nicht.
    Die Sprache ist zwar englisch, aber langsam, gut zu verstehen,
    und unterlegt mit Untertiteln zum Mitlesen.

    Mearsheimer beginnt [1] mit einem Vergleich von 1949: die Amerikaner haetten ueberlegt, die neue russische A-Bombe atomar anzugreifen.
    Vielleicht haetten sie es geschafft, aber die Russen haetten es
    erneut versucht, mit tieferen Bunkern, nun aber wuetend „wie ein Schwarm Hornissen“.
    Deshalb koenne Israel die iranische Bombe nicht zerstoeren, und die USA vermutlich auch nicht.

    Sie fragt ihn, warum er von Genozid spricht und er erklaert: seit die Israelis den Versuch einer ethnischen Saeuberung aufgegeben haetten, weil es nicht funktioniert haette. Die Palaestinenser gehen nicht weg.
    Es begann als Massenmord und verwandelte sich in Genozid.
    Suedafrika rief den IGH an; M. erwaehnt Studien von Amnesty international, Human Rights watch und der juedische Org. B’Tselem [2], die Israel als Apartheidsstaat beschreiben.

    Mearsheimer sagt, Israel sitzt in einem Loch und graebt sich tiefer und tiefer.
    Die bedingungslose deutsche Unterstuetzung fuer die israelischen Regierung ist keine Hilfe, sie erschwert eine Loesung und beschaedigt das Land. Israel steckt mittlerweile in einem Mehrfrontenkrieg, die Wirtschaft geht in Sturzflug.
    Die Amerikaner haben bereits Probleme die Ukraine zu unterstuetzen, und ihnen gehen langsam die Flugabwehrraketen aus.
    Es koennte ein Punkt mit dem Ruecken an der Wand kommen,
    und dann?

    1. https://www.youtube.com/watch?v=EBov7wn60p4
    2. zB
    https://www.democracynow.org/2024/8/8/welcome_to_hell_btselem_israel_torture
    bzw
    https://www.btselem.org/publications/202408_welcome_to_hell

  2. Wir leben ja in etwas seltsamen Zeiten.
    Was machen wir, wenn Juden aus Israel um Asyl bitten, weil sie eine rechtsradikale Regierung haben?
    Es gibt in Deutschland Juden aus Israel, die das Land verlassen und die die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben, weil sie Angst vor dem Krieg dort haben.
    Was machen wir, wenn Amerikaner um Asyl bitten, etwa wg der Agenda 47 oder dem Projekt 2025 (s.Wiki), zB ein amerikanischer Staatsanwalt oder Richter?
    Was machen wir, wenn Palästinenser um Asyl bitten?
    Ich glaube, Krieg ist kein Asylgrund, sondern nur individuelle Verfolgung?

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