Der Braunschweiger Flughafen und die Kunst

0

In Braunschweig wird um die beabsichtigte Verlängerung der Startbahn des dortigen Flughafens gestritten und geklagt. Ein belastbarer und vor allem der Bevölkerung verständlicher Nachweis für den Bedarf einer Verlängerung konnte oder wollte bisher aber niemand erbringen. Vielleicht gelingt es nun der Kunst, den Braunschweigern bisher nicht gekannte Dimensionen des bisher unverstandenen Ausbaubegehrens ins Bewusstsein zu rücken.Dazu soll am 17. Juni 2007 (hatte dieser Tag nicht einmal eine ganz andere Bedeutung?) die deutsche Erstaufführung des Helikopter-Streichquartetts von Karlheinz Stockhausen auf dem Flughafen Braunschweig stattfinden. Dabei erhebt sich ein Streichquartett mit vier Helikoptern in die Lüfte – pro Streicher ein Helikopter. Dieses Musikerlebnis vermischt ohrenbetäubenden Maschinenlärm mit der Musik der in den Helikoptern eingesperrten Streicher. Das staunende Publikum hört und sieht dann in einer Flugzeughalle vor Lautsprechern und Fernsehschirmen mittels Telekommunikation jeden der vier Musiker in Nahaufnahme. Und das ganze dann gleich drei Mal, nämlich um 15, 17 und um 19 Uhr.

„Hoher Aufwand in Braunschweig – Zahlreiche Tests mit Hubschraubern“ schrieb derStandard aus Wien und zitiert Orchesterdirektor Martin Weller vom Staatstheater Braunschweig: „Der Aufwand für die Produktion sei „einfach enorm“, sagte Weller. Das Staatstheater arbeite bereits seit mehr als einem halben Jahr an den Vorbereitungen. Als schwierig habe sich unter anderem die Auswahl von geeigneten Hubschraubern erwiesen. Die Organisatoren hätten ungezählte Typen getestet.“

Dieser enorme Aufwand wird sich nicht über die Eintrittskarten der Kunstgenießer finanzieren lassen. Die Sponsoren der „Stadt der Wissenschaft 2007“ werden es aber schon richten. Unter ihnen die Gruppe BS | ENERGY Braunschweiger Versorgungs-AG & Co. KG / VEOLIA Environnement, Deutsche Bank, Stadt Braunschweig, die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz und die Stiftung Nord/LB Öffentliche. Manche verbinden mit diesen Namen allerdings inakzeptabel hohe Gebühren für Strom, Gas, Abwasser und Bankdienstleistungen sowie das Schicksal des von einer Startbahnverlängerung bedrohten Querumer Forsts. Aber wozu die Aufregung: wenn in denkbarer Ermanglung luftfahrtbezogener Aufträge Skispringer im Windkanal des DLR auf optimale Körperhaltung getestet werden, kann man doch im kostspieligen DLR-Forschungshubschrauber auch mal einen Streicher einen streichen lassen. Umweltverbände werden bei diesem Ereignis (gegen die Bezeichnung „Spektakel“ hatte sich Staatstheater-Intendant Wolfgang Gropper zur Wehr gesetzt) sicherlich zur Stelle sein, wenn wohl auch kaum wegen des Kunstgenusses. Und bei maximal dreimal 800 erwarteten, zahlenden Zuhörern werden die gebühren- und abgabengeschröpften Braunschweigerinnen und Braunschweiger schon verkraften, dass sie einen nachmittäglichen Kunstgenuss mitfinanziert haben, auch wenn sich nur weniger als ein Promille der Braunschweiger Bevölkerung dazu hingezogen fühlen dürfte.

Ralf Beyer

PS. Administrator:
Das 1995 uraufgeführte Stück wurde auch schon als CD und Videofilm vermarktet. Der Kunst“genuss“ scheint fragwürdig, der Reflexionsgewinn ebenfalls.

2003 wurde es dann erfolgreich „getopt“, indem man für die östereichische „Uraufführung“ zum Hubschreiberstück auch noch ein Stück mit Düsenjägern (Eurofighter & Co.) gesellte. Doppelt hält besser. Kunstgenuss und Reflexionsgewinn scheinen trotzdem noch fragwürdig. Immerhin wurde die Aufführung damals aber komplett von einem Sponsor (Red Bull) bezahlt, der nicht von Steuern und Abgaben lebt, sonden dem östreichischen Staat Steuern und Abgaben bezahlt … und immerhin kamen damals Franz Beckenbauer, Niki Lauda und Prinz Albert von Monaco.

Als „einzigartiges“ und „unvergleichliches“ Top-Event mag es ja vorzüglich dazu taugen, irgendwelche einzigartigen und unvergleichlichen Top-Prommies nach Braunschweig zu locken. Wer wird deswegen aber tatsächlich nach Braunschweig kommen um den Ruhm der Wissenschaft zu mehren? Claudia Schiffer, Boris Becker, …?

Das Spektakel mag auch wirklich eine zirkusreife Akrobatennummer sein, die aufwendigstes Training verlangt. Aber ist es deswegen ein Ausshängeschild für den Wissenschaftsstandort Braunschweig? Für die „Ideenküche Braunschweig“ wird hier offenbar das altbekannte Küchenmotto Wilhelm Buschs verwirklicht: „Wovon sie besonders schwärmt, Wenn es wieder aufgewärmt.“ Was für eine wissenschaftliche Idee!

Möchten Sie den Artikel kommentieren

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.