Bürgerrat des Bundestags sorgt für Schlagzeilen

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Von Roman Huber

Liebe Leser und Leserinnen,

vor einer Woche war es so weit: Der Bundestag hat seinen ersten Bürgerrat eingesetzt. Das Thema: „Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben“. Die Medienresonanz ist riesig. Es gab mehr als 600 Artikel, Radiosendungen und Interviews.
 
Die Berichterstattung zeigt: Das Instrument Bürgerrat ist in der öffentlichen Debatte angekommen. Es weckt Hoffnungen, aber ruft auch Widerstände und Ängste hervor. Das spiegelt sich auch in Kommentaren und Berichten.

Wir nehmen einige Schlagzeilen zum Anlass, die aktuelle Entwicklung aus unserer Sicht einzuordnen.
­­­­­­­ taz: »Erster Bürgerrat für Ernährung: Was gibt es zu essen?«
 
Spiegel: »Was macht die Ampel, wenn das Nackensteak gewinnt?« ­­­­­­­

Für Bürgerräte auf Bundesebene hat Mehr Demokratie lange gearbeitet. 2019 haben wir den ersten deutschlandweiten Bürgerrat zum Thema Demokratie selbst organisiert. Damals unter der Schirmherrschaft des Bundestagspräsidenten Schäuble. Das Experiment gelang. Ein weiterer Bürgerrat zu Deutschlands Rolle in der Welt folgte. Die wichtigste Lernerfahrung daraus war: Das Thema muss konkret sein und kontrovers. Dies ist dem Bundestag mit dem Thema Ernährung gelungen. Essen betrifft den Alltag jedes Menschen. Inwiefern der Staat sich einmischen soll, was bei uns auf den Teller kommt, ist eine relevante und kontroverse Frage. Um diesen Bürgerrat zu organisieren, hat jetzt Mehr Demokratie mit seinen Partnern ifok, nexus und IPG in einer Bietergemeinschaft den Zuschlag vom Bundestag erhalten. 
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­Deutschlandfunk: »Einsetzung von erstem Bürgerrat zwischen Koalition und Union umstritten«
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­Nach der Bundestagswahl 2021 hat die Ampelkoalition Bürgerräte in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Bundestagspräsidentin Bas hat den Staffelstab von Wolfgang Schäuble übernommen und Bürgerräte ebenfalls zu einem zentralen Thema gemacht. Über ein Jahr bereiteten Verantwortliche aller Fraktionen den Bürgerrat inhaltlich vor. Zusammen mit einer eigens dafür gegründeten Stabsstelle in der Bundestagsverwaltung. Lange zogen alle an einem Strang. Dann hat sich die politische Atmosphäre verändert.
 
Wenige Tage vor dem Einsetzungsbeschluss scherte die Union aus. Aus dem Vorhaben, den Einsetzungsbeschluss mit zu unterzeichnen, wurde nichts. So verlief auch die  Bundestagsdebatte vor dem Beschluss rau. Die CDU-Generalsekretärin wetterte nicht nur gegen das Thema Ernährung, sondern auch gegen das Instrument Bürgerrat. Die Skepsis schlug sich auch in den Medien nieder

Süddeutsche: »Bürgerrat: Der Bundestag beschädigt sich selbst«
 
BILD: »Die neuen Bürgerräte sind kein Gewinn für die Demokratie«

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­Zentrale Aussagen dazu waren: Die repräsentative Demokratie sei krisenfest genug, man müsse und wolle nichts ändern. Und: „Unser Bürgerrat ist der Wahlkreis.“
 
Zudem wurden die bekannten Argumente angeführt: Der Bürgerrat sei ein zahnloser Tiger, ein teurer XXL Stuhlkreis, es bestünde die Gefahr, dass von den Empfehlungen nichts umgesetzt würde, die Auswahl der Expertinnen und Experten und die Moderation seien nicht neutral…
 
Diese Befürchtungen sind nachvollziehbar, können aber durch Transparenz und eine gute Durchführung weitgehend zerstreut werden. Und – das betonten auch Grüne, SPD und Linke: Natürlich stärken gut gemachte Bürgerräte das Vertrauen in die Politik!
 
In der Debatte spielte auch ein Aspekt mit hinein, der mit Bürgerräten gar nichts zu tun hat: Es zeigte sich, wie verärgert die Union noch über die Entscheidung der Regierungsfraktionen zum neuen Wahlrecht war. Nach jahrelanger Diskussion um die Verkleinerung des Bundestags, wurde wenige Tage vor dem Beschluss im März 23 die  Grundmandatsklausel abgeschafft. Das führt dazu, dass bei der nächsten Bundestagswahl die LINKE höchstwahrscheinlich nicht mehr dem Bundestag angehören wird. Fällt die CSU bei der nächsten Bundestagswahl bundesweit unter 5 Prozent (beim letzten Mal waren es 5,2 Prozent), gilt für sie das gleiche. Selbst wenn sie alle Wahlkreise in Bayern direkt gewinnt. Dies wurde von der Union als direkter Angriff im Bereich der Demokratiepolitik erlebt. Ihre emotionale Reaktion darauf ist nachvollziehbar. Offensichtlich gönnt nun die Union der Ampelkoalition keinen weiteren (überparteilichen) Erfolg. Willkommen in der Parteienpolitik und im klassischen Streit zwischen Regierung und Opposition.
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­Redaktionsnetzwerk Deutschland: »Neuer Bürgerrat befasst sich mit Ernährung: Durchkreuzt er Özdemirs Gesetzesvorhaben?«
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­Das ist eine berechtigte Sorge. Denn parallel zum Bürgerrat Ernährung erarbeitet die Bundesregierung ihre Ernährungsstrategie. Es wäre gut, wenn diese Prozesse miteinander verzahnt würden. So dass sie sich gegenseitig unterstützen. Gespräche und Überlegungen dazu gibt es bereits.
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WELT: »Wo die „Letzte Generation“ recht hat – unser Parlament hat ein Teilhabe-Problem«
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­Hier wird eine der größten Stärken von Bürgerräten beschrieben: Menschen, die normalerweise nicht gehört werden, bekommen eine Stimme. In der WELT liest sich das so: „Wir leben zwar nicht mehr in einer Erb-Aristokratie, aber in einer Wahl-Aristokratie, die alles andere als statistisch repräsentativ ist… Im Bundestag haben 82 Prozent der Abgeordneten einen Hochschulabschluss, in der Gesamtbevölkerung sind es 18 Prozent.“ Trotzdem wird der Ansatz der Letzten Generation als autoritär abgelehnt.
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­Frankfurter Rundschau: »Auf in die Räte-Republik!«
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­In der Frankfurter Rundschau wird die Kombination von Bürgerräten und direkter Demokratie beschrieben. So sollen Vorschläge, die ein Bürgerrat erarbeitet, auch direkt in Volksabstimmungen entschieden werden können. Das schließt auch für uns eine Lücke. Die nötige demokratische Legitimation für politische Entscheidungen kann auch aus unserer Sicht entweder durch gewählte Abgeordnete oder durch Abstimmungen erfolgen.
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ZEIT: »Es ist angerichtet«
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­Dies ist aus unserer Sicht einer der umfassendsten und am besten recherchierten Artikel, der alle wichtigen Aspekte beinhaltet.

Lesen Sie selbst: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-05/buergerrat-ernahrung-bundestag-beratung

Zusammenfassend lässt sich zur Berichterstattung sagen:
Wir waren überrascht, wie breit, aber auch wie kritisch berichtet wurde. Offensichtlich werden Bürgerräte jetzt, da sie „offiziell“ werden, auch als Bedrohung des Althergebrachten erlebt. Das ist verständlich, denn es geht um eine andere politische Kultur: Integration statt Spaltung. Dialog statt Debatte. Vertrauen statt Kontrolle. Transparenz statt Verwaltungshandeln hinter verschlossenen Türen. Für viele Menschen in der Medienwelt, aber auch in der Politik, wahrscheinlich auch in der Bevölkerung, beginnt jetzt erst die Auseinandersetzung mit dem Instrument Bürgerrat. Wir von Mehr Demokratie wollen klarmachen: Das Wissen und die Erfahrung der Bürgerinnen und Bürger sind eine wertvolle Ressource und nichts Bedrohliches.
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­Cicero: »Es gibt einen Graben zwischen Bevölkerung und Parlament« 
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­Hier kommt unsere Vorstandssprecherin Claudine Nierth zu Wort und erklärt, wie Mehr Demokratie zum aktuellen Bürgerrat steht – und wie er in das größere Bild unserer Positionen und Aktivitäten passt.

Das ganze Interview können Sie hier lesen:
https://www.cicero.de/innenpolitik/burgerrate-und-direkte-demokratie-ampelkoalition-claudine-nierth-interview
 

Die Diskussionen der nächsten Wochen und Monate werden spannend – bleiben Sie mit uns dran.

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Herzliche Grüße,
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Roman Huber
Geschäftsführender Bundesvorstand

P.S. Für den Bürgerrat zur Ernährung ist festgelegt, dass der »Anteil der sich vegetarisch oder vegan ernährenden Personen« abgebildet sein muss. Der SPIEGEL dazu: »Dagegen ist nichts zu sagen. Man fragt sich allerdings, warum es in Kleindeutschland eine Tofu-Quote geben muss, aber keine für Nackensteaks.« Darauf können wir antworten: Die Quote dient dazu, zu verhindern, dass zu viele vegetarisch oder vegan lebende Menschen den Bürgerrat dominieren. Sie stellt sicher, dass auch genügend „Fleischesser“ teilnehmen.
Mehr Demokratie e.V. unterstützen!
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­Direkt abstimmen über wichtige Zukunftsfragen – von der regionalen bis auf die internationale Ebene. Mit Bürgerräten gemeinsam Lösungen finden. Mit einem fairen Wahlrecht mehr Einfluss auf die parlamentarische Demokratie nehmen. Schleichenden Demokratieabbau durch Lobbyismus, intransparente Entscheidungsstrukturen und Machtkonzentration bei wenigen verhindern. Dafür setzen wir uns ein. Wir könnten aber noch viel mehr bewegen – mit Ihrer Unterstützung!

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