Bürgerbeteiligung am Hagenmarkt krachend gescheitert

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Freifläche des Anstosses: Dieses kleine grüne Fleckchen zwischen den Verkehrsflächen soll seit Ende 2017 umgestaltet werden. Nun erklärte die Stadtverwaltung ihr Scheitern in der Angelegenheit. Foto: ©Stadt Braunschweig, Fachbereich Stadtplanung und Geoinformation, Abt. Geoinformation

Stadtbaurat Leuer: „Gedanklich verbundene Funktionen“

Mit seinen knapp 80 mal 65 Metern Fläche ist er kleiner als ein Standard-Fussballfeld. Auf drei Seiten und bis zu vier Spuren umtost ihn Autoverkehr. Busse parken an ihm, fünf Straßenbahnlinien rattern an ihm vorbei. Braunschweigs Hagenmarkt ist nicht gerade das, was in einer Stadt mit viel Grün „Aufenthaltsqualität“ bietet.

Doch das kleine Plätzchen hat das Zeug dazu, Bürgermeisterwahlen zu entscheiden und den Zusammenhalt der innerstädtischen Gesellschaft zu zerstören. „Was da in der vergangenen Woche im Planungsausschuss passiert ist, ist verheerend und hat das Potenzial, Vertrauen in Bürgerbeteiligungsprozesse zu erschüttern“, tobte ein sichtlich angefressener Oberbürgermeister Ulrich Markurth, der die Planungs-Posse um den Hagenmarkt als „mehr als unglücklich und ausgesprochen ärgerlich“ bezeichnete – wohlgemerkt in einer offiziellen Pressemitteilung der Stadt und nicht etwa am Rande einer Hinterzimmer-Konferenz. Da ist wohl Einem der Kragen geplatzt.

Der Hagenmarkt ist gerade mal etwas größer als ein halbes Fussballfeld. An der Gestaltung rund um den Heinrichsbrunnen dilettiert die Stadt nun seit über dreieinhalb Jahren herum.
Foto: Klaus Knodt

Die Entwicklung bis zum Eklat ist pittoresk und es bedarf einer kurzen Chronologie, um sie überhaupt zu verstehen.

Am 5. Oktober 2017 fegte Orkan „Xavier“ über Braunschweig hinweg und fällte auf dem Hagenmarkt rund ein Dutzend 40 Jahre alte Robinien. Das sind aus Amerika eingeführte Neophyten, die sich u.a. durch ihre problemlose Anpassung auszeichnen. Sie gedeihen selbst auf kargen Böden und wurzeln, je nach Untergrund, in die Tiefe oder die Breite. Auf dem innerstädtischen Trümmergrundstück Hagenmarkt wählten sie letztere Option, was ihnen zum Verhängnis wurde.

„Nachpflanzen oder komplett neu gestalten – Ideen für den Hagenmarkt gesucht“, titelten Braunschweiger Blätter. Denn das unansehnliche Fleckchen Erde zwischen öden Bürobauten, Ampelkreuzung, Katharinenkirche und einem Billig-Discounter drohte langsam zum Freiluftsitz für Alkohol- und Drogenkranke zu verkommen, denen man den Schlosspark genommen hatte.

Da der bis dato glücklose Stadtbaurat Heinz-Georg Leuer die Neugestaltung des Aegidienmarktes krachend an die Wand gefahren hatte, schlug die Verwaltung eine Bürger*Innenbeteiligung bei der „grundlegenden Umgestaltung des Hagenmarkts“ vor. Das zeugte vom modernen Führungsstil der neuen, sozialdemokratischen Rathaus-Zeit und endete im Desaster.

In mehreren Bürgerversammlungen mit anschliessenden Planungs-Workshops durften Baumfreund*Innen, Parkplatz-Freund*Innen, Hobby-Verkehrsplaner*Innen, Vertreter*Innen von Interessenverbänden und auch ein paar Anwohner*Innen stundenlang über Vorschläge zur Neugestaltung des Platzes streiten. Stadtbaurat Heinz-Georg Leuer damals: „Die Diskussionen in der Planungswerkstatt können … für die notwendigen Abstimmungen innerhalb der Verwaltung und dann auch der Politik wichtige Anregungen geben“. Die BiBS monierte schon damals: „Es wurde nicht mal ein ordentliches Protokoll geführt und am Ende galt das, was die Verwaltung sowieso vorgeschlagen hatte.“

Diese Vorschläge fußten im Wesentlichen auf den Ideen des Büros „Ackers Partner Städtebau“. Prof. Dr. Walter Ackers ist immer zur Stelle, wenn die Politik in Braunschweig irgendwas plant: Magniviertel, Schloss, Rathaus-Neubau. Da wollte er alles bis zum 5. Stock abreissen; aber die Fassade erhalten (noch unter Markurth‘s Vorgänger Hoffmann). Für den Hagenmarkt schlug Ackers Partner Städtebau eine klinisch reine Aussensitzterrasse für die benachbarte Gastronomie vor: mit „wassergebundener Decke“ (d.h., da versickert nix) und insgesamt 19 Bäumen. Der Grandplatz-ähnliche Belag sollte auch rollstuhlgerecht werden. So eine Art Szene-Vergnügungsplatz für moderne, junge Menschen, wie sie sich die Haarspray-Werbung vorstellt.

Nach den Plänen von „Ackers Partner Städtebau“ sollte auf dem Platz eine Yuppie-gerechte Spielfläche für die benachbarten Gastronomie-Betriebe entstehen. Das klimaregulierende Innenstadtgrün wurde wegsaniert. Grafik: Stadt Braunschweig

Die Stadt befruchtete den Ackers-Entwurf nach vielfältigen Protesten und gebar einen Kompromiss. „Die Anzahl der Bäume wurde von 19 auf 23 erhöht. Um den Grünanteil zusätzlich zu vergrößern, wurden auch in der Fläche der wassergebundenen (d.h.: versiegelten, Anm. d. Red.) Decke einzelne Bäume mit einer großen, intensiv begrünten Baumscheibe versehen. Der Grünanteil wurde von 9 auf 18 Prozent verdoppelt.“ Drei Bereiche seien in dieser Lösung durch unterschiedliche Materialien gekennzeichnet: Pflaster, wassergebundene Decke, Grünfläche. „Die mit den Bereichen gedanklich verbundenen Funktionen werden deutlich getrennt und stehen nebeneinander für sich“, freute sich Stadtbaurat Heinz-Georg Leuer in einer Mitteilung vom 19. April 2021.

Platzraum, Sichtbeziehungen, Querungen, verschiedene Nutzungen – kein Wortjuwel aus dem Baukasten des Schreibtischarchitekten wurde vergessen, um die Stadt-Vorlage in der Öffentlichkeit zu verkaufen. Im „dichten Grünraum“, so Leuers Amt, solle „das unmittelbare Brunnenumfeld“ zudem zu einer „Lichtung“ werden. Dies verhindere, das dort ein Ort entstehe, „der sich mitten in der Stadt einer sozialen Kontrolle weitgehend entzieht“. Wir wollen nicht, dass zuviel Grünzeug Wildpinklern und Pennern zu viel Deckung bietet, heißt Leuer‘s Geschwurbel wohl auf Deutsch übersetzt.

Nun ist der Masterplan zur Neugestaltung eines halben Fussballplatzes Makulatur. „Die Stadtverwaltung schlägt einen Neustart im Planungsprozess für die Neugestaltung des Hagenmarkts vor“, depeschierte die Verwaltung am 3. Mai. Vorausgegangen war ein interfraktioneller Antrag von SPD, CDU, Grüne, BiBS, Linke und FDP im Planungs- und Umweltausschuss, der die Vorlage der Verwaltung aus unterschiedlichen Gründen ablehnte.

Damit steht das Projekt „Neugestaltung des Hagenmarkts“ wieder bei Null. Stadtbaurat Leuer erklärte, eine Überarbeitung des bisherigen Entwurfs nach Vorstellungen der ablehnenden Fraktionen komme „nicht in Frage“, denn „die Vielzahl zusätzlicher Vorschläge sei in sich zum Teil widersprüchlich“. Die Stadt Braunschweig will jetzt im Rahmen eines beschränkten Wettbewerbs „zehn namhafte Freiraumplanungsbüros“ zur Abgabe von Entwürfen für den Hagenmarkt bitten, über die eine Jury entscheiden soll – mit Bürgerbeteiligung in Form einer Online-Befragung.

Vielleicht kann der Hagenmarkt dieser bürokratischen Nachhilfe ja entbehren. „gartenjournal.net“ schreibt über Robinien: „Typisch für diese Arten ist ihre ausgeprägte Vermehrung. Eigentlich müssen Sie bei der Fortpflanzung des Laubbaums gar nicht nachhelfen. Die Robinie vermehrt sich von Natur aus mittels ihrer Samen, welche erstaunlich lange keimfähig sind“. Und einige schlummern sicher noch im Boden des Hagenmarkts…

Denken, was die Stadt nicht wollte

Ein Kommentar von Klaus Knodt

Es wäre ja zu schön gewesen: Bürger*Innen denken sich selbst aus, wie ihre Stadt werden soll. Dann hätten sie sicherlich verhindert, dass Fahrradstraßen im östlichen Ringgebiet immer an jenen Kreuzungen enden, an denen Autos vorbei fahren. Oder Straßenbahnen an den Haltepunkten vorbeifahren, an denen sie früher gehalten haben. Doch anstatt sich um solche Profanitäten zu kümmern, rief die Stadt unter „uns Uli“ Markurth aus: „Denk Deine Stadt!“

Nun dachten am Beispiel Hagenmarkt einige Bürger*Innen intensiv nach. Aber wohl nicht das, was die Stadt gedacht haben wollte. Zwischen Abschaffung des gesamten Individualverkehrs auf dem gesamten Hagenmarkt bis hin zu einem Straßenbahnknotenpunkt direkt neben dem Heinrichsbrunnen fächerte sich das Spektrum der Privat-, Einzel-, Geschäfts- und Gesellschaftsinteressen auf. Die Einen wollten den Bohlweg lahm legen. Andere mehr Blümchen und weniger Penner im Park. Eine aussichtslose Ausgangslage.

Es zeugt von der Unfähigkeit des Stadtbaurats Heinz-Georg Leuer, dass er diese widerstreitenden Interessen innerhalb eines über drei Jahre dauernden Prozesses nicht befrieden konnte. Mehr noch: Er hat seine Verantwortung abgegeben an ein nicht gerade gut beleumdetes „Planungsbüro“ und einen Referatsleiter, der schon die ARGE nicht im Griff hatte. Und geradezu wagemutig weggeduckt in der ganzen Frage hat sich auch der grüne Stadtgrün-Dezernent Holger Herlitschke: Er könne sich am Hagenmarkt einen „Pocket-Park“ vorstellen, verlautbarte er vor Jahren. Danach hielt sich der gelernte Architekt weitgehend aus der Diskussion heraus. Was ein „Pocket-Park“ ist, sucht man immer noch verzweifelt in alten ntv-Videos.

Schluss, Aus, Ende. Wenn eine Stadtverwaltung und ihre Räte in über drei Jahren nicht einmal ein halbes Fussballfeld begrünen können, sollten sie über ihre Legitimation nachdenken. Der nächste Bürgerentscheid steht am 12. September an. Dann ist Kommunalwahl.

3 Kommentare

  1. Bürgerbeteiligungen sind in dieser Stadt nach meinen Erfahrungen der letzten Jahre immer eine Alibi-Veranstaltung gewesen – einschließlich Märchenstunde bestimmter Verantwortlicher der Stadtverwaltung gegenüber den Rats- und Stadtratsmitglieder*Innen sowie den Braunschweiger*Innen. Vertrauensbildung und Auseinandersetzung stelle ich mir anders vor!

    Mit einem Neustart kennt sich der Stadtbaurat auch bestens aus! Weitere Gelder und Zeit werden verschwendet.

  2. Die angebliche Bürger:innenbeteiligung war eine reine Alibiveranstaltung. Unsere Ideen, Vorschläge und ganze Planskizzen wurden nie diskutiert. Es standen immer nur Vorschläge des Planungsbüros Ackers zur Diskussion. Alles andere wurde ignoriert. Viele frustrierte Bürger:innen haben sich enttäuscht zurückgezogen. Als Bürger, der trotzdem bei allen Workshops dabei war, fühle ich mich von dem Gespann Ackers/Hornung missbraucht!
    Löblich der Versuch der Ratsleute von sechs der acht Fraktionen im Planungs- und Umweltausschuss, die ignoranten Vorschläge der Verwaltung zurückzuweisen und ihren gemeinsamen Nenner als Änderungsantrag einzubringen.
    Wie zu befürchten, akzeptieren OB Markurth und die Verwaltung diese Entscheidung ihres Arbeitgebers nicht, SPD und Grüne kippen um und es werden voraussichtlich weitere hundertausende Euro Steuergelder und Zeit verschwendet für weitere steinerne Platzentwürfe, die den vielfach geäußerten Interessen der meisten Bürger:innen zuwiderlaufen.
    So weit, so schlecht. Aber:
    Im September ist Kommunalwahl!!!

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