Bericht und Eindrücke von der ersten Podiumsdiskussion der Nakba-Ausstellung am 11.6.2012 in der Brunsviga

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Podium mit Pfarrer Eckehard Binder, Dr. Ute Lampe, Michael Kleber und Prof. Rolf Verleger

Auf dem Podium diskutierten Eckhard Binder  (evangelischer Gemeindepfarrer), Michael Kleber (DGB-Vorsitzender von Südostniedersachsen) und Prof. Rolf Verleger (Psychologe jüdischen Glaubens). Die Moderation übernahm Frau Dr. Ute Lampe (Ökologin).

Hier die Notizen von Helmut Käß  und im Anschluss die Eindrücke von Ingeborg Gerlach zur Veranstaltung:


Prof. Rolf Verleger
ist vor 60 Jahren in Deutschland geboren; sein Vater war ein Überlebender von Auschwitz, dessen erste Frau und  seine ersten drei Söhne  wie so viele ermordet wurden. Prof. Verleger war  ein Wunschkind, der Vater bei seiner Geburt  53; seine Mutter kam als Waise nach Berlin zurück und heiratete gern den „älteren Herrn“, auch aus Sicherheitsgründen.  Rolf Verleger hat Hebräisch  gelernt  und war bis 17 religiös. Seine Geschwister wanderten nach Israel aus. In seiner Heimatstadt Lübeck gründete Prof. Verleger eine jüdische Gemeinde und wurde bis zum Libanonkrieg Landesverbandsvorsitzender. Er kritisierte den Krieg, bekam Gegenkritik, verlor seine Stellung als Landesverbands-vorsitzender der jüdischen Gemeinden und schrieb das Buch „Israels Irrwege, eine jüdische Sicht“. Michael Kleber ist vor fünfzig Jahren  in Perleberg (ehemalige DDR) geboren, wo die unverbrüchliche Freundschaft zum palästinensischen Brudervolk galt. Nach der Wende wurde er Gewerkschaftssekretär des DGB, war siebenmal in Israel und bekam dadurch  eine ziemlich differenzierte Sichtweise auf die Situation in Palästina. Er ist der Meinung, die Ausstellung sei für den Friedensprozess möglicherweise problematisch, da sie nur eine Seite darstelle und auf die  Zionisten ein schlechtes Licht werfe.

Eckhard Binder hat sich auf die Nakba-Ausstellung gefreut, damit er sie sehen und beurteilen könne. Er als evangelischer Gemeindepfarrer vertritt die Auffassung „komm und sieh“. Er hält es für wichtig, sich als Christ bewusst zu sein, dass das Christentum jüdische Wurzeln habe (Jesus = König der Juden), daher halte er es für paradox,  als Christ antijüdisch eingestellt zu sein.  Bei seinen häufigen Besuchen in Palästina (vor allem in der Partnerstadt von Braunschweig Kiryat Tivon und in Bethlehem) lernte er  das unglaublich reichhaltige palästinensische  Christentum kennen. Es gebe dort das älteste Christentum mit so vielen religiösen Konventionen wie in keinem anderen Land auf der Welt. Man müsse genau hinsehen und hinhören, um sich ein subjektives Bild von der dortigen Situation machen zu können. Eine objektive Sicht der Geschichte könne es nicht geben. Die Menschen in Palästina leiden unter den dortigen Zuständen.  Weil in der Ausstellung die palästinensische Sicht dargestellt werde, sei sie einseitig, aber trotzdem wichtig.

Prof. Rolf Verleger sagte, er sehe die Ausstellung nicht so einseitig, die Differenzierung und die harten Diskussionen würden ihn schmerzen, Zionismus sei Geschichte. Weizmann und seinerzeit Welsch waren überzeugte Zionisten, lehnten aber einen jüdischen Staat und eine Vertreibung der Araber ab. Dies war bis 1942 offizielle Meinung. Jabotinsky dagegen sagte schon 1921, eine Staatsgründung in Palästina sei nicht vom Einverständnis der Araber abhängig, die USA hätten die Indianer auch nicht gefragt, ob sie dort wohnen dürften… Dies erinnerte an die Ausrottungsaktionen der europäischen US-Amerikaner…  Er habe von Ben Gurion  keine gute Meinung, dagegen halte er viel von  Martin Buber, Hannah Ahrend und Uri Avnery, die sich alle als Juden für den Friedensprozess engagieren, wobei sie der Politik der israelischen Regierung kritisch gegenüber stehen. Irgendwann müsse der Zeitpunkt kommen, an dem die Juden die palästinensischen Araber um Verzeihung bitten.

Michael Kleber meinte daraufhin, dass man die Angriffe Israels sowohl als legitime Vergeltungsangriffe sehen könne, als auch als Terrorangriffe. Offiziell gäbe es von israelischer Seite keine Ausrottungsaktionen.

Eckhard Binder erwiderte, dass diese Diskussion nicht weit führe, es gehe darum, die Menschen zu Wort kommen zu lassen.  Er erzählte eine von dem Erzbischof Elias Shakur, einem Erzbischof der Griechisch/Katholischen Melkite- Kirche (orthodoxe christliche Glaubensrichtung mit enger Verbindung zu Rom) in seiner Familie erlebte Geschichte. An einem Frühlingsabend 1947 vertrat der Vater des Erzbischofs im Kreise der anwesenden Familie die Meinung , dass die Juden in Europa viel gelitten hätten und nun als Flüchtlinge in ihre uralte Heimat Haganah zurückkämen. Einige würden hier hinziehen,  sie (die dort lebenden Araber) müssten besonders freundlich zu ihnen sein, ihnen Frieden vermitteln. Die älteren Geschwister von Elias Shakur waren darüber alles andere als erfreut. Der Vater gewann sie damit, dass er ihnen in Aussicht stellte, auf dem Flachdach schlafen zu dürfen. Darauf kamen  jüdische Soldaten  mit Maschinengewehren und ihr Anführer sprach von  drohender Gefahr, „zieht ein paar Tage hinaus in die Hügel, ich verspreche Euch baldige Rückkehr.“  Die Familie zog in den  Olivenhain. Nach einigen Tagen machten sich einige Familienmitglieder auf den Weg nach Hause.  Dort sahen sie, dass Türen eingebrochen waren. Sie wurden unfreundlich behandelt und es wurde ihnen gesagt, dass sie nicht mehr in ihr Haus zurück dürften.

Prof. Rolf Verleger bezeichnete dieses Vorgehen als Tragödie. Beide  Seiten  würden  sich im Recht fühlen. Den Juden wurde 1905 das Leben im russischen Zarenreich durch entsprechende Repressalien fast unmöglich gemacht, weswegen Hunderttausende  nach Israel auswanderten.  Auch Großbritannien hatte gute Gründe, über den Völkerbund die Gründung von Israel zu genehmigen, um sich einen Verbündeten für den Weg nach Indien zu schaffen. Die Juden Europas hatten das Gefühl, als Maus in der Falle zu sitzen. Sie flohen in Nachbarländer, aber Hitlers Armee hat sie eingeholt.

Eckhard Binder meinte, dass Erinnern  der erste Schritt zur Versöhnung sei. In Israel  müssten sich alle Bürger die Holocaust-Ausstellung ansehen, während die Erinnerung an die Nakba verboten sei. Die Beschäftigung mit dem  Holocaust sei seiner Meinung nach unverzichtbar, aber das Totschweigen der Nakba kritisiere er.

Michael Kleber wies darauf hin, dass   die Raketenangriffe der Palästinenser Ursache für die Angriffe Israels seien.

Eckhard Binder berichtete darüber, dass aktuelle Erinnerungskultur in Israel sehr schwer gemacht würde. So sei  ein Verein zur Förderung der Begegnung von Opfern von Selbstmordattentätern zwischen Juden und Arabern in Israel verboten worden und viele kirchliche Begegnungsversuche würden erschwert.

Prof. Rolf Verleger fühlte sich darauf als Psychologe angesprochen und erwähnte, dass die zentrale Behandlungsmethode des posttraumatischen Belastungssyndroms sei, das Trauma wieder zu durchleben, aber zu betonen, dass dies  an einem bestimmten Ort und damals geschehen sei und nicht hier und jetzt. Dadurch sei Aufarbeitung möglich. Das „Suhlen in der Vergangenheit“ sei kontraproduktiv.  Das  Betonen, dass dies „nie wieder geschieht“, sei unglaubwürdig , vor allem vor dem Hintergrund, dass man die Palästinenser aktuell so behandle, dass sie mit Schlimmen rechnen müssten. Dies sei eine doppelbödige Moral. Es werde niemand fabrikmäßig ermordet, aber völkisch, um nicht zu sagen rassistisch behandelt.

Dr. Ute Lampe fragte  Michael Kleber, ob er bei seinen häufigen Besuchen des Histadrutmit den Israelis über die Situation in Palästina spreche  und ob der DGB auch palästinensische Gewerkschaften unterstütze.

Michael Kleber berichtete, dass sich im Histadrut  auch immer arabische Bürger mit israelischem Pass aufhalten würden. Es gebe vielfältige Kontakte und  der Nahostkonflikt, der Ort Newe Schalom  und Friedensarbeit seien regelmäßige Themen. 1992 war der Friedensprozess aktueller und die Friedensbewegung aktiver, jetzt herrsche oft Resignation…

Prof. Rolf Verleger meinte, dass der Friedensprozess nur durch Druck auf Israel von außen vorangetrieben werden könne. Die arabischen Staaten haben Frieden angeboten. Es  gäbe gute Leute wie Felicia Langer, Uri Avnery mit  einem 100 Punkteprogramm auf seiner Homepage. Die Palästinenser seien ihrer Lebensgrundlage beraubt. Schwer traumatisiert seien auch die Israelis, durch die Vergangenheit, aber auch dadurch, dass sie viel Unrecht ausgeübt hätten. Es gehe auch um materielle Interessen und um Uneinigkeit im Nahen Osten.

Eckhard Binder sagte, dass die Einstellung „Mit denen rede ich nicht“ völlig falsch sei. Man müsse mit allen (Konfliktparteien) reden. Wir könnten die Initiativen unterstützen (z.B. das Barenboim-Orchester)und  die Sprache auf den Nahostkonflikt bringen, um eine Auseinandersetzung damit zu unterstützen .

 

Diskussionsbeitrag von Dr. Helmut Käß:

1. Die Schuld der Deutschen als Mitauslöser für die Schuld Israels an den Palästinensern

2. „Wir“ (Deutschland) müssen die Folgen unseres Handelns an der Schuld gegenüber den Palästinensern genauso akzeptieren wie die Schuld gegenüber Israel

3. Kommunikation zwischen den Konfliktparteien ist wichtig (siehe Veröffentlichungen von Prof.Galtung http://de.wikipedia.org/wiki/Johan_Galtung ).

Der Bericht von Ruf, an dem er seine Eröffnungsrede orientierte, ist auf meiner Homepage unter

http://helmutkaess.de/Wordpress/wp-content/uploads/2012/02/Ruf_Standpunkte_naqba-Gaza.pdf  zu sehen

 

mehr Fotos

 


 

 

Zur gleichen Veranstaltung noch die Eindrücke von Ingeborg Gerlach

 

Es war mehr als nur ein Wahren des Anstands: Die drei Herren auf dem Podium behandelten einander sehr verständnisvoll, auch wenn sie als Diskutanten verschiedener Meinung waren. Alle drei, Rolf Verleger, der evangelische Pastor Binder und  der Braunschweiger DGB-Vorsitzende Michael Kleber schilderten ihren persönlichen Zugang zu diesem Thema. Vor allem die beiden letzteren sprachen von ihren eigenen Erfahrungen in Palästina und Israel, während Verleger sein in der Familiengeschichte begründetes, heute kritisches  Verhältnis zum Judentum und der Politik des Staates Israel thematisierte. Unter Ute Lampes souveräner Gesprächsleitung entstand ein facettenreiches Bild möglicher Annäherungen an ein kontrovers diskutiertes.  Thema Das Publikum im Saal ging im Wesentlichen mit, auch wenn die einen mehr dem einen Redner, die anderen bei den beiden anderen Rednern klatschten.

Nicht ins Bild passten die jungen Leute in der letzten Reihe, von denen jede(r) ein Blatt Papier mit einem vorformulierten Satz in der Hand hielt. Am Ende der Veranstaltung wurden sie ausfällig, oder vielmehr: sie wollten es, wurden aber aus dem Publikum zurechtgewiesen. Dem Braunschweiger DGB gereicht es wenig zur Ehre, dass der „Anführer“ dieser Truppe zu seinen Leuten gehört.

Insgesamt bewegte sich die Diskussion stark auf der moralisch-emotionalen Ebene. Die politische tauchte nur in Rolf Verlegers Statement von der Unfähigkeit des israelischen Staates auf, sich selbst aus dem Sumpf einer unsäglichen Politik zu ziehen. Aber dass andere Staaten, beispielsweise der Westen, an einer Lösung des Konflikts interessiert seien, verneinte er mit Blick auf die „materiellen Interessen“, sprich Öl.
Die nächste Podiumsdiskussion am 2. Juli mit dem Friedensforscher Johan Galtung und Felicia Langer wird sich stärker mit der politischen Dimension  befassen müssen.

Zuletzt noch eine Anmerkung zum Bericht von Helmut Käss: die „Haganah“ war der bewaffnete Arm der jüdischen Einwanderer in Palästina.  


s. auch im b-s Beitrag1 und Beitrag2

 

 


Kommentare

0 #1 Manfred Neddens 2012-12-10 13:07
Ich fand die Beiträge der jungen Leute nicht als unsachlich. Vorbereitete Texte als Hilfe in der Diskussion zu verwenden, empfinde ic nicht als schändlich. Vielmehr empfand ich als erschreckend, dass Herr Verleger die Hamas verharmloste und mit unserer CDU gleichstellte. Noch mehr war ich erstaunt, als Herr Verleger die Kassam-Raketen von denen bisher im Durchschnitt wohl mehr ale eine pro Tag von Gaza aus abgefeuert wurden, als „Kinderwaffen“ bezeichnete. Was soll man davon halten?

 
 
 

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