Ansprache zum Tag der Befreiung von Wolfenbüttel durch die Amerikaner

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Dr. Kristlieb Adloff Foto: Uwe Meier

Erinnerung an den 11. April 1945, als der Einmarsch der Amerikaner in Wolfenbüttel den Krieg beendete

Von Dr. Kristlieb Adloff

Dieser 11. April 1945 war nun wirklich ein Freedom Day, jedenfalls für die beiden jüdischen Frauen Elli Bücher und Melitta Dahlmann, die im Versteck dem Mordterror der Nationalsozialisten entgangen waren. Freiheit war für sie Befreiung. Ich weiß nicht, ob sie religiös waren, aber wie alle Juden wussten sie, was das Pessachfest bedeutet, wo Juden in aller Welt allen Verfolgungen und Pogromen zum Trotz Jahr für Jahr der Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten gedenken. Das Fest wird auch in diesem Jahr, wo der Putin-Krieg in der Ukraine im Angesicht der dortigen Schoa-Überlebenden tobt, gefeiert.

Für die Deutschen war das Ende des Krieges lange Zeit keine Befreiung, sondern ‚Zusammenbruch‘. Man rief ‚Ami go home‘, obwohl doch die Amerikaner als unsere Befreier zu Deutschlands Befreiung nicht verpflichtet gewesen waren und unzählige GIs als Opfer dieses Krieges beklagen mussten. Im Kalten Krieg war die Sowjetunion (wozu auch die Ukraine gehörte!) der ‚Feind‘, der der Krieg unter unzähligen Opfern an Leib und Leben aufgezwungen worden war. Die (es gab sie auch!) mutigen kleinen Leute, die wie in Wolfenbüttel der Kunsthändler Koch und seine Mitarbeiterin Herta Pape unter Lebensgefahr Juden versteckten, wurden vergessen – bis heute, wie das Beispiel Herta Papes zeigt. Ja, es gab in Deutschland den massenhaften Tod von Soldaten im Krieg und Flucht und Vertreibung zu beklagen. Aber die Einsicht fehlte, dass dies allein Hitler und der ihm gläubig folgenden Mehrheit der Deutschen zu verdanken war. Durch die berühmte Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zum 8. Mai wurde das Wort der Befreiung der Deutschen von der Verstrickung in die verbrecherische Herrschaft der Nationalsozialisten öffentlich. Wie weit das in die Herzen der Menschen gedrungen ist, lasse ich offen.

Eine kleine persönliche Bemerkung. Meine Eltern, die heimlich BBC hörten und auch sonst gut informiert waren, was uns Kindern nicht verborgen blieb, wussten alles, was zu wissen nötig war. Wir Kinder – ich: 10jährig – hassten Hitler, dem wir unsere Flucht aus Danzig im Januar 1945 zu ‚verdanken‘ hatten. Und als wir im April 1945 zu Fuß von Schwerin nach Lübeck unterwegs waren, entlang von Leichen an den Bäumen von ‚Verrätern‘ und Deserteu-ren, unter ständigem Beschuss britischer Tiefflieger, hatten wir natürlich Todesangst, aber über allem den sehnlichen Wunsch: „Hoffentlich machen sie bald Hitler und seinen Verbre-chen ein Ende“.

Von daher weiß ich bleibend, dass Freiheit, von der wir in unserem Staat Gebrauch machen können, immer Befreiung bedeutet. Immer noch. Meine Freiheit ist nicht nur die Freiheit des Anderen, sondern bedingt durch ihn, ihm zu verdanken. Was das heute nicht nur in Zeiten des Krieges bedeutet, mögen Sie ermessen. Wer befreit uns von der Lüge, wir seien frei, obwohl wir doch Sklaven unserer Selbstsucht sind? Von der offenbar unausrottbaren Krankheit des Antisemitismus, von dem Hass gegen ein Volk, das wie kein anderes für eine Freiheit steht, die durch Befreiung erkämpft und erlitten werden muss?

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