915 Hektar Landwirtschaftsfläche, 393 Hektar Wald – Wie nutzt die Stadt ihr Eigentum?

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Foto: pixabay

Die Stadt Braunschweig ist in der glücklichen Lage, rund 393 Hektar Wald und 915 Hektar landwirtschaftliche Flächen ihr eigen zu nennen, 350 Hektar davon sind Ackerfläche und 565 Hektar Grünland. Die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen sind fast komplett verpachtet.

Angesichts des rapide zunehmenden Artensterbens kamen die SPD- und die Grünen-Fraktion 2022 auf die einleuchtende Idee, dass die Stadt auf ihren Flächen einen hervorragenden Beitrag zum Schutz der Artenvielfalt leisten sollte. Sie wollten erreichen, dass die städtischen landwirtschaftlichen Flächen auf ökologische Bewirtschaftung umgestellt werden und erwirkten einen Beschluss zur Einrichtung einer „Projektgruppe Ökolandbau“. 

Nun, nach immerhin über zwei Jahren, hat die Verwaltung  einen Beschlussvorschlag vorgelegt, der zwar einen gewissen Fortschritt bringen soll – der aber vom ursprünglichen Ziel weit entfernt ist: im Wesentlichen ist vorgesehen, dass auf 10 Prozent der jeweils gepachteten Fläche Blühstreifen angelegt werden. Also nur 10 Prozent Blühstreifen – statt 100 Prozent Ökolandbau. Bernd Hoppe-Dominik, Naturschutzbeauftragter der Stadt, teilt dem Braunschweig-Spiegel dazu mit:

„Ich hätte mir gewünscht und habe es auch immer wieder gefordert, dass die Stadt Braunschweig in Vorbildfunktion alle städtischen landwirtschaftlichen Flächen vorrangig an Bio-Landwirte verpachten möge. Dann wären wir insgesamt auf ca. 10 % Flächenanteil im Stadtgebiet gekommen. Das war politisch nicht gewollt, obwohl die Förderung der Bio-Landwirtschaft in den Absichtserklärungen und Programmen von SPD und Grünen immer wieder betont wird.“

Hoppe-Dominik hat trotzdem dem Beschluss als Kompromiss zugestimmt, weil sich „mehr mit dem Dezernenten und der SPD leider nicht umsetzen ließ“. Am Dienstag, dem 28.1., hat nun der Umweltausschuss sich für den Beschlussvorschlag ausgesprochen, die endgültige Entscheidung fällt am 6. Februar. Änderungsanträge gibt es nicht. Dabei unterstreicht Hoppe-Dominik die Dringlichkeit des Artenschutzes:

„Ich habe in den Diskussionsrunden immer auf den starken Rückgang der Biodiversität, insbesondere auf den katastrophalen Rückgang der Feldvögel in der Agrarlandschaft hingewiesen“ wie auch darauf, dass die Mehrheit der Bevölkerung auch in Braunschweig die Naturschutzbestrebungen unterstütze. Enttäuscht sei er auch, dass ein guter Vorschlag, wie man alle städtischen Flächen ohne Pestizideinsatz in einem längerfristigen Zeitplan ohne finanzielle Einbußen der Landwirte bewirtschaften könne, nicht akzeptiert wurde.

„Leider konnten wir hierfür keine Mehrheit finden…“

Rochus Jonas von den Grünen (Vorsitzender des Umweltausschusses) nennt den Beschluss gegenüber dem Braunschweig-Spiegel „einen ersten bedeutenden Schritt zum Schutz der Artenvielfalt in Braunschweig“, der aber zweifellos ein politischer Kompromiss sei. Und weiter:

„Wir hätten uns jedoch gewünscht, dass alle städtischen Pachtflächen künftig unter den Standards der Biolandwirtschaft bewirtschaftet werden. Leider konnten wir hierfür keine Mehrheit finden…“

Da bekanntlich im Rat eine Mehrheit von Rotgrün das Sagen hat, ist es nach dieser Aussage die SPD-Fraktion, die nicht am ursprünglichen Ziel festhalten wollte. Ein wenig hatte sich das zögerliche Verhalten schon vorher angedeutet. Anstatt das im November 2022 festgelegte Ziel zügig zu verfolgen, ließ sich die Verwaltung (hier in der Verantwortung des Dezernenten Herlitschke) Monate Zeit, um die Sache anzugehen, so dass die Grünen Mitte März 2023 nachsetzen mussten. Auf ihre Nachfrage nach dem Stand der Dinge musste die Verwaltung einräumen, dass noch keine Sitzung des einzuberufenden Arbeitskreises stattgefunden hatte. 

Wer die Artenvielfalt schützen will, muss mutige und wirkungsvolle Maßnahmen ergreifen – jetzt!

Und für insgesamt fünf Sitzungen dieses Arbeitskreises wurden sage und schreibe zwei Jahre benötigt. Wäre das Ziel Erhalt der Artenvielfalt eine Herzensangelegenheit, hätte man sich vermutlich nicht so viel Zeit gelassen. Auch die Umbenennung des Arbeitskreises von „Projektgruppe Ökolandbau“ in „Arbeitskreis Erhöhung der Artenvielfalt in der Landwirtschaft“ wirkt im Nachhinein doch ziemlich subversiv.  

Zwar war die Einrichtung eines Arbeitskreises, in dem die verschiedenen interessierten und betroffenen Gruppen ins Gespräch kommen, sicher sinnvoll, allerdings gab und gibt es keinen Grund, die Entscheidung der gewählten Vertreter der Stadt von den Vorstellungen eines solchen Kreises abhängig zu machen. Gerade angesichts des sich dramatisch entwickelnden Artensterbens wären mutige und vor allem wirkungsvolle Maßnahmen gefordert. Und zwar von unseren Vertretern im Rat! Denn die bestimmen über das Eigentum der Stadt.

1 Kommentar

  1. Artenvielfalt nimmt rapide ab, auch innerhalb der Arten Verlust an genetischer Diversität

    Heute (am 3. Februar) berichtet die Braunschweiger Zeitung unter der Überschrift „Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen nimmt rapide ab“ über die bisher umfangreichste Untersuchung zur genetischen Diversität. Dabei seien 628 Arten (Tiere, Pflanzen, Pilze) analysiert worden. Zwei Drittel seien vom Verlust genetischer Vielfalt betroffen. Ergebnis: nicht nur, dass die Artenvielfalt weltweit in einem nie dagewesenen Tempo abnehme, sondern auch die genetische Diversität innerhalb von Arten. Vögel seien am stärksten betroffen.

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