Privatisierung ist Diebstahl an der Öffentlichkeit – Das Gemeineigentum braucht Verfassungsrang

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Welche Werte sind gemeint? Monetäre oder gesellschaftliche Bearbeitung Corinna Senftleben

Diese Auffassung vertritt Ugo Mattei, Professor für internationales und vergleichendes Recht am Hasting College of the Law der University of California in seinem Aufsatz in der „Le Monde diplomatique“ Nr. 9700 vom 13.1.2012. Diese Zeitung ist im Braunschweig-Spiegel regelmäßig verlinkt. Hier lesen Sie Auszüge vom vollständigen Text.

„Wie kann das Gemeineigentum geschützt werden, wenn Regierungen die öffentlichen Dienstleistungen meistbietend verkaufen und die natürlichen Ressourcen verschleudern, deren Treuhänder sie doch sind? Das Konzept der Gemeingüter, im angelsächsischen Raum entstanden und in Ländern mit schwacher Zentralgewalt weiterentwickelt, tritt dafür ein, den Gegensatz zwischen öffentlichem und privatem Eigentum zu überwinden.

Wenn ein Staat eine Eisenbahnstrecke, eine Fluggesellschaft oder ein Krankenhaus privatisiert, wenn er ein Stück Land beschlagnahmt, um eine Autobahn darauf zu bauen, wenn er die Trinkwasserversorgung aus den Händen gibt oder Universitäten verkauft, entzieht er der Gemeinschaft einen Teil ihrer Güter – so ähnlich wie er auch Privatbesitz enteignen kann, um eine Straße zu bauen oder ein öffentliches Gebäude zu errichten. Die Regierung bringt sich also, notfalls zwangsweise, in Besitz von etwas, das ihr nicht gehört.[…]“


„Sobald die Gemeingüter erst einmal veräußert, beschädigt oder zerstört sind, existieren sie für das Kollektiv nicht mehr. Sie lassen sich, wenn überhaupt, nur mit viel Mühe wiederherstellen, und das betrifft sowohl unsere Generation – sofern sie erkennt, dass sie mehrheitlich einen treulosen Diener (die Entscheidungsträger, die öffentliches Eigentum verkaufen. Red.) gewählt hat – als auch zukünftige Generationen, denen man nicht einmal vorwerfen kann, eine falsche Wahl getroffen zu haben. Die Frage nach den Gemeingütern ist zunächst eine Frage der Verfassung, da politische Systeme in der Verfassung langfristige Optionen festlegen, die der Willkür der jeweiligen Regierungen entzogen bleiben sollen.

In den meisten Staaten der Welt vergeuden die Regierungen, die über diverse Kanäle den globalen Finanzinteressen unterworfen sind, die Gemeingüter außerhalb jeglicher Kontrolle und rechtfertigen das damit, dass sie schließlich ihre Spielschulden begleichen müssten. Dank dieser Logik erscheint ein Zustand, der das Ergebnis wiederholter und bewusst getroffener politischer Entscheidungen ist, als naturgegeben und unumgänglich.“ […]

„Seit der Neuzeit verschmolzen Recht, Technik und Ökonomie zu einer neuen Vorstellungswelt, in der die „Wissenschaft“ fortan dazu da war, die Schätze der Natur (Kohle, Öl, Gas, Süßwasser) zu nutzen und zu vergeuden – Ressourcen, die wir nicht herstellen können und die sich nicht von selbst erneuern, es sei denn innerhalb von Jahrmillionen. Auf dieser Vorstellung basiert die Wissenschaft der raschen und effizienten Ausbeutung dieser natürlichen Güter, die wir seit drei Jahrhunderten „Ökonomie“ nennen.

Für das moderne Denken gilt es als selbstverständlich, die Gemeingüter auszubeuten – durch einen Konsum, der zwangsläufig zu ihrer Privatisierung führt und dabei diejenigen begünstigt, die sie am effizientesten zu nutzen und zu verwerten verstehen. Mit der Anhäufung kommt die Vermarktung, deren Voraussetzungen Geldwirtschaft, privater Grundbesitz und Lohnarbeit sind. Sie vereinnahmen zu rein kommerziellen Zwecken einzigartige und nicht reproduzierbare Werte.“ […]

„Es ist Zeit, umzudenken. Nur wenn wir die Gemeingüter in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen, schaffen wir die Grundlagen für die überfällige verfassungsrechtliche Trendwende. Dann kann es gelingen, das Paradox der liberalen Verfassungstradition – dass das Privateigentum einen größeren Schutz genießt als das Gemeineigentum – zu entlarven, zu kritisieren und zu beseitigen.“

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