In Sachen 4. IGS: „Offene“ Antwort auf einen „offenen“ Brief

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Kürzlich veröffentlichten wir hier einen „offenen“ Brief an die Landtagsabgeordnete Heidemarie Mundlos. Frau Mundlos gab eine „offene“ Antwort:

Sehr geehrte Frau Dr. Lubitz, sehr geehrter Herr Blanke,
nun komme ich dazu Ihnen zu antworten. Bitte haben Sie Verständnis, dass ich dies nicht in der Form eines „normalen“ Briefes tue, sondern auf Ihre Darlegungen direkt an den Stellen unten in Ihrem Schreiben eingehe:

I. Lubitz / U. Blanke:
Sehr geehrte Frau Mundlos,
als Eltern eines zukünftigen Fünftklässlers sind wird sehr froh, dass unser Sohn durch Losglück einen Platz an einer der drei Braunschweiger Gesamtschulen erhalten hat. Wie viele andere Eltern auch sind wir nämlich davon überzeugt, dass eine IGS die besten Bedingungen für die zukünftige Entwicklung unseres Kindes bietet.

H. Mundlos:
Ihre überzeugung respektiere ich selbstverständlich. Leider hatte ich für keines meiner drei Kinder nach der 4. Klasse auch nur die Chance auf einen Platz im gegeliederten Schulwesen, den wir uns sehr gewünscht hätten. Allen Bestrebungen – wenigstens versuchsweise – 5. und 6. Klassen an den weiterführenden Schulen einzurichten wurden von der damaligen Landesregierung brüsk zurückgewiesen, meist mit dem Hinweis auf die „Gesetzeslage“. Ich kann Ihre Freude über den ergatterten Platz an Ihrer Wunsch-Schule also verstehen und gratuliere Ihnen.

I. Lubitz/ U. Blanke:
Bei unserer morgendlichen Zeitungslektüre hat es uns heute dann aber fast die Sprache verschlagen. Obwohl laut Braunschweiger Zeitung die Gesamtschulen 328 Bewerber, also 46 Prozent, ablehnen mussten, sehen Sie als hiesige Landtagsabgeordnete keinen Bedarf für eine vierte IGS in Braunschweig. Das, sehr geehrte Frau Mundlos, können wir beim besten Willen nicht verstehen, denn Ihre Begründung erscheint uns wenig überzeugend. Sie bezweifeln, dass die veröffentlichten Zahlen richtig sind, und verweisen darauf, dass angeblich Eltern Ihre Kinder auf allen drei Gesamtschulen angemeldet hätten.

Die von Ihnen geforderte Auswertung durch die Schulbehörde wäre zu begrüßen, damit an dieser Stelle Klarheit herrscht. Wir selbst haben unser Kind nur auf einer und nicht auf allen Gesamtschulen angemeldet, genau wie andere Eltern aus unserem Bekanntenkreis. Wenn überhaupt, so wird es sich bei den vermuteten Mehrfachanmeldungen nur um Einzelfälle handeln, die im Grunde aber auch belegen würden, wie groß der Bedarf bzw. der Wunsch nach einem IGS-Platz tatsächlich ist.

H. Mundlos:
Ich habe (leider) sehr glaubwürdige Hinweise von Eltern auf Mehrfachanmeldungen bekommen und empfinde es als meine Pflicht, der Sache auf den Grund zu gehen. Allerdings ist dieser Gesichtspunkt, da es sich vermutlich um nicht allzuviele Fälle handelt, eher nachrangig. Zeitungsartikel sind nun mal verkürzend in ihren Aussagen, und oft reduziert sich dann alles auf einen einzigen Satz.

Viel wichtiger ist für mich die Frage nach der Zusammensetzung der Anmeldungen und der Ablehnungen:
Das pädagogische Konzept der IGS beruht nämlich gerade auf der Leistungsheterogenität der Schülerschaft mit einer möglichst gleichmäßigen Verteilung hinsichtlich der Grundschulempfehlungen. So bemüht man sich meist, je ca. ein Drittel Schüler mit Hauptschul-. Realschul- und Gymnasialempfehlung aufzunehmen, die man „insgesamt“ bzw. „gemeinsam“ unterrichtet – deshalb heißt diese Schulform ja gerade „Gesamtschule“. Wenn diese Drittelung der Grundschulempfehlungen unter den angemeldeten Schülern aber nicht vorhanden ist, sondern überwiegend Schüler mit Hauptschulempfehlung zur IGS wollen, dann wird meist ein „quotiertes“ Losverfahren verwendet, das in der Regel dazu führt, dass fast alle Gymnasialempfohlenen und die meisten Realschulempfohlenen aufgenommen werden, während Hauptschulempfohlene überwiegend abgelehnt werden. So kann die Chance für ein „Gymnasialkind“, an einer IGS angenommen zu werden, durchaus 10-mal so groß sein wie für ein „Hauptschulkind“. Das Motto der IGS „Fördern und nicht aussortieren“ wird hier derart ins Gegenteil verkehrt, dass man von Täuschung sprechen könnte.

Der Vorwurf der „Selektion“, der von IGS-Befürwortern gern dem gegliederten Schulwesen gemacht wird, fällt so auf sie selbst zurück: Die IGS selektiert – und zwar vor Eintritt in die Schulform IGS. Sie sichert sich damit die Leistungsmischung und entledigt sich zugleich der Mehrzahl der lern- oder verhaltensauffälligen Kinder, die zur Hauptschule weitergereicht werden und dort aufgenommen werden müssen.

Fazit: Nicht allein die Anzahlen der angemeldeten, angenommenen und abgelehnten Schüler geben Aufschluss über den Bedarf für eine weitere IGS, sondern zusätzlich die angemessene Leistungsmischung hinsichtlich der Grundschulempfehlungen.

I. Lubitz / U. Blanke:
Insgesamt drängt sich uns aber der Verdacht auf, dass es in Wirklichkeit gar nicht um die Anmeldezahlen geht. Wäre es nicht ehrlicher, sehr geehrte Frau Mundlos, offen zu bekennen, dass Sie die Gesamtschule für die falsche Schulform halten, anstatt sich hinter vermeintlichen Ungenauigkeiten in der Statistik zu verstecken? Dann aber müssten Sie vermutlich zugestehen, dass Sie aus ideologischen Gründen den Braunschweiger Eltern das Recht auf eine freie Schulformwahl verwehren. Oder wollen Sie behaupten, dass alle Eltern, die für Ihr Kind einen Platz an einer IGS in Braunschweig wünschen, diesen auch bekommen?

H. Mundlos:
Dass ich kein Anhänger der Schulform IGS bin, haben Sie richtig erkannt. Dennoch respektiere ich andere Auffassungen und habe mich in der Vergangenheit auch immer wieder schon für Eltern eingesetzt, die aus bestimmten Gründen ihr Kind auf eine IGS schicken wollten. Ich habe allerdings auch erlebt, dass IGSn solche Eltern, die ihr Kind von einer IGS auf eine andere Schulform umschulen wollten, regelrecht bedrängt und „geklammert“ haben.

Zur vollständigen Beurteilung der Situation in Braunschweig benötige ich aber dringend mehr Informationen über das hier verwendete Losverfahren und die Zusammensetzung der aufgenommenen und abgelehnten Schüler. Nachdem vor einigen Monaten auch die Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule (GGG) mit der aus ihrer Sicht zu hohen Anzahl abgelehnter IGS-Bewerber in Niedersachsen operierte, erhoffte ich von dort eine Auskunft zu bekommen. Doch angeblich liegt der GGG nur die Aufschlüsselung für die angenommenen Kinder vor, nicht für die abgelehnten, weil „für eine statistische Auswertung keine Zeit“ war. Ich muss also davon ausgehen, dass die Erfahrungen anderer Städte auch auf Braunschweig übertragbar sind: Dann würde die Schülerschaft einer vierten IGS zum größten Teil aus Hauptschulempfohlenen bestehen und die Schule wäre keine IGS mehr. Es wäre geradezu absurd, womöglich eine oder zwei Hauptschulen in der Stadt Braunschweig zu schließen und zugleich eine neue IGS zu gründen. Oder, um es etwas deutlicher zu sagen: Dann sollte man so ehrlich sein und eine der Hauptschulen umbenennen, wie wäre es mit „IGS-H“?. Ob man damit den Elternwünschen und -hoffnungen auf eine chancengerechte Beschulung ihrer Kinder entgegenkommen würde, ist allerdings zweifelhaft.

Abschließend muss ich Ihnen noch ehrlich sagen, dass der Wunsch von Eltern oder Kindern zwar ein hohes Gut ist, aber nicht jeder Wunsch ist erfüllbar. Dies gilt für alle „Dienstleistungen“ des Staates, denn letztlich zahlt der Steuerzahler. In einem Flächenland wie Niedersachsen wird man deshalb zwei Schulsysteme nie in der Form vorhalten können, dass ein „Recht auf freie Schulformwahl“ ohne jegliche Einschränkung und überall erfüllt werden könnte. Wer dies verspricht, spielt nicht mit offenen Karten. Ich bin schon froh, dass seit 2004 wenigstens für alle Kinder ab Klasse 5 die Chance besteht, die gewünschte Schulform besuchen zu können und nicht mehr über 90% der Kinder auf die OS gezwungen werden.

Für durchaus sinnvoll erachte ich es, über eine Erweiterung der bestehenden IGSn Franz´sches Feld und/oder Querum nachzudenken. Eine Aufstockung zunächst um je einen Zug sollte möglich sein, um z. B. Härtefälle besser berücksichtigen zu können ohne die Leistungsmischung zu gefährden. Beide Schule könnten dann auch genügend viele Schüler für eine gemeinsame Oberstufe liefern. Und einer Aufstockung der Zügigkeit steht das niedersächsische Schulgesetz nicht im Wege.

Mit freundlichem Gruß
Heidemarie Mundlos

PS: Da Sie mir einen „offenen“ Brief gesendet haben, möchte ich gern wissen, an wen Sie den Brief außer mir gerichtet haben, so dass ich auch den weiteren Empfängern meine „offene“ Antwort zur Kenntnis geben kann.

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