Anlässlich des Gerichtsverfahrens über Abwassergebühren am 24.09.2013 schreibt Karl Eckhardt in mehreren Folgen für den Braunschweig-Spiegel eine historische und aktuelle Betrachtung des braunschweiger Abwassermanagements.
– Teil I: Abwassergebühren: Berufungsverfahren des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg findet am 24. September in Braunschweig statt
– Teil II: Einrichtung und Ausbau der Braunschweiger Stadtentwässerung im ausgehenden 19. Jahrhundert.
– Teil III: Die kostendeckende Finanzierung der Stadtentwässerung in Braunschweig durch Beiträge von 1888 bis 1961, durch Gebühren seit 1962.
– Teil IV: Haushaltsreform von 1974:
a) Zusammenführung der städtischen Einzelhaushalte und Einführung des Gesamtdeckungsprinzips.
Seit Einführung der Kanalbaukasse im Haushalt von 1889 hatte die Stadtentwässerung einen eigenen, separaten Haushalt, der durch Beiträge gespeist wurde. Aus der Kanalbaukasse wurden nicht nur die Baukosten beglichen. Aus dem Beitragsaufkommen wurden 1889 beispielsweise für 3000,00 Mark auch Instandhaltungs-, Reinigungs- und Spülkosten veranschlagt und 1200,00 Mark für einen Zuschuss an die allgemeine Stadtkasse für die Rechnungsführung (S. 170 des Haushaltsplanes von 1889). Die Stadtentwässerung war finanziell in der Folge immer gesichert, denn die Höhe der Beiträge war gesetzes- und satzungsgemäß so bemessen, dass sämtliche Kosten für die Stadtentwässerung aus der Kanalbaukasse beglichen werden konnten. Änderten sich die Kosten, dann wurde das ausgeglichen durch eine Änderung der Abgabenhöhe.
Mit der Haushaltsreform von 1974 wurde dann aber das Gesamtdeckungsprinzip eingeführt. In einer Art Solidaritätsprogramm der Einzelhaushalte konnten die notleidenden defizitären Haushalte – insbesondere der aus Steuern gespeiste allgemeine Verwaltungshaushalt – von den Haushalten gestützt werden, die Rücklagen angespart hatten. Zu Letzteren gehört der Gebührenhaushalt der Stadtentwässerung. Auf Grund des gesetzlich festgelegten, langfristigen Kostendeckungsgebots sind die Abgaben so bemessen, dass neben dem direkten Kapitaldienst (Zinsen und Tilgungen für langfristige Kredite) zusätzlich Rücklagen angespart werden konnten für Sanierungen, Erneuerungen und Erweiterungen. Wenn seit dem Rechnungsjahr 1965 die Erneuerungsrücklagen erstmalig durch „Abschreibungen“ gebildet wurden, heißt das nicht, dass nicht auch zuvor schon solide und vorausschauend gewirtschaftet wurde, nur wurden zuvor die Rücklagen unter derselben Haushaltsnummer 3/930 nicht durch „Abschreibungen“, sondern durch „Überschüsse“ gebildet, ein funktionales Äquivalent. Grundsätzlich geändert hatte sich an der langfristig ausgerichteten, kostendeckenden Finanzierung der Einrichtung auch durch die Einführung einer kalkulatorischen Kostenrechnung nichts.
Damit gehörte der Entwässerungshaushalt zu den potentiellen Geberhaushalten, denn er bedurfte grundsätzlich keiner zusätzlichen Finanzierung, hatte aber Rücklagen aus Eigenmitteln gebildet – Eigenmittel des Entwässerungshaushalts wohlgemerkt, nicht des allgemeinen Verwaltungshaushalts. Bevor Kredite für Aufgaben des allgemeinen Haushalts aufgenommen wurden, sollte unter dem Gesamtdeckungsprinzip des reformierten Haushaltsrechtes erst einmal auf Mittel zurückgegriffen werden, die bei den Kommunen schon für eine anderweitige Verwendung bereit lagen, aber noch nicht benötigt wurden. Man sparte Zinsen für Fremdkredite bzw. konnte diese Zinsen im eigenen Gesamthaushalt vereinnahmen, wenn erst einmal die in der Stadt schon vorhandenen Mittel zum Haushaltsausgleich verwendet wurden.
Das 1974 neu eingeführte Gesamtdeckungsprinzip
widerspricht indes den gebührenrechtlichen Vorschriften, die eine Bindung der Gebührenbemessung an den entstehenden Kosten vorsehen. Insbesondere das Kostenüberschreitungsverbot macht deutlich, dass die Einnahmeerzielung aus Gebühren zu anderen Zwecken als zur Deckung der für die Einrichtung notwendigen Kosten unzulässig ist. (Gunnar Schwarting in: Henneke/Pünder/Waldhoff, Recht der Kommunalfinanzen, S. 774, § 39, Rn. 27)
Angesichts der durchweg angespannten Haushaltslage der Kommunen im ausgehenden 20. Jahrhundert ist es praktisch ausgeschlossen, dass Geld aus dem – immer notleidenden – allgemeinen Verwaltungshaushalt in den – grundsätzlich finanziell gesicherten – Gebührenhaushalt floss. Anderenfalls wäre das darzulegen.
Vielmehr war „angesichts der kritischen Haushaltslage vieler Kommunen“ (Schwarting, wie oben, Rn 37) zu befürchten, dass die von den kostenrechnenden Einrichtungen angesparten Abschreibungen eben nicht in diese Einrichtungen reinvestiert wurden, was allein ihre Erhebung rechtfertigte. Das Benutzungsgebühren nicht zweckwidrig für anderes verwendet werden, „lässt sich allerdings nur durch eine gesonderte Rechnung darlegen.“ (Schwarting, Rn 37; auch Rose, Kommunale Finanzwirtschaft Niedersachsen, 6. Aufl. 2013, S. 451)
b) Wiederausgliederung der Stadtentwässerung aus dem Gesamthaushalt im Jahre 1997 und Vereinnahmung eines Einlageerlöses durch den Verwaltungshaushalt.
1997 wurde die Stadtentwässerung aus dem Gesamthaushalt wieder herausgelöst. Es wurde wieder eine „Sonderrechnung“ für die Stadtentwässerung eingerichtet. Hierfür sollte dann das Vermögen der Stadtentwässerung
in Form eines Trägerdarlehens auf das Sondervermögen umgegliedert werden. Es liegt also ein einlageähnlicher Vorgang vor. (Gutachten Caspar/Malcher, S. 8)
Diese Einlage – ein Grundvermögen der Stadtentwässerung – erechnete man auf ca. 172 Mio. DM, ggf. könne man – auch von 198 Mio. DM ausgehen, meinte der Gutachter, wofür sich die Stadt dann entschied.
Der Transaktionsvorgang: Man schaffte einen neuen eigenständigen Haushalt, überließ dem neuen Haushalt den Betrieb der Stadtentwässerung, und holte sich dann den errechneten Wert der Stadtentwässerung im Ausgleich dafür aus dem Sonderhaushalt zurück, indem man den neuen Haushalt in gleicher Höhe verschuldete. Man behandelte die Auslagerung wie eine Art Verkauf des Abwasserbetriebs an den Sonderhaushalt und überführte den Verkaufserlös – 198 Millionen DM – aus dem in gleicher Höhe frisch verschuldeten Sonderhaushalt in den allgemeinen Verwaltungshaushalt, wo man ihn dann für allgemeine Haushaltszwecke „verfrühstücken“ konnte. – Genial! – sollte man meinen.
Allerdings vermied man es, bei dieser Transaktion Folgendes zu bedenken:
Veräußerungsgewinne, die den eigenen Finanzierungsbeitrag übersteigen sind daher nach unserer Auffassung dem Gebührenhaushalt gutzuschreiben (ebenso: Anders,“Welches Entgelt muß eine Kommune für die Übertragung ihrer Abwasserbeseitigung verlangen„, in: Gemeindehaushalt 1996, S. 279 ff. [281]) (Gutachten Caspar/Malcher, S. 18)
Der allgemeine aus Steuern gespeiste städtische Haushalt hat aber – wie wir in der letzten Folge ausführten – keinen Finanzierungsbeitrag in die Stadtentwässerung geleistet, insofern wäre der komplette Verkaufserlös dem Gebührenhaushalt gutzuschreiben. Und ein vergleichbarer Vermögensausgleich hatte – selbstverständlich – auch nicht stattgefunden, als nach der Haushaltreform von 1974 die vermögende Stadtentwässerung mit dem schon damals hungerleidenden allgemeinen Haushalt zusammengeführt wurde. Damals bezahlte der Steuerhaushalt nichts für die Zusammenführung (Vereinnahmung) des Entwässerungshaushaltes. Jetzt ließ er sich für die Wiederausgliederung bezahlen. Alles in allem also ein Hütchenspielertrick.
Dabei widerspricht eine solche Entnahme dem Kostenüberscheitungsverbot für Benutzungsabgaben. Damit lässt man die Abgabenpflichtigen die schon mit ihren Abgaben bezahlten Kanäle ein zweites Mal bezahlen. Dies ist nicht nur gesetzwidrig, es widerspricht auch der Finanzverfassung des Staates, wenn mit Gebühren, die nur als Ausgleich für eine konkrete Leistung erhoben werden können, Aufgaben des allgemeinen Steuerhaushaltes finanziert werden.