„Das wird keine Fassade für ein Einkaufscenter, das wird ein richtiges Schloss“ (2. Folge)

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C. Die Berichterstattung der BZ

Basierend auf einer Sammlung von mehreren Hundert Zeitungsartikeln hauptsächlich der Jahre 2004–2006 wurde untersucht, was die BZ zum Thema „Schloss“ berichtet hat: Was wird da gebaut und wie soll es genutzt werden? – und weiter wie die Zeitung das berichtet hat.* Ohne für die Vollständigkeit zu garantieren, scheint es sehr unwahrscheinlich, dass wesentliche Artikel übersehen wurden, die das im Folgenden skizzierte Bild in Frage stellen könnten. Ggf. wäre es Sache der BZ, den Gegenbeweis anzutreten.** Nicht verschwiegen sei allerdings, dass dort, wo die Sammlung der Print-Artikel Lücken aufwies, auf Artikel der Internet-Ausgabe der BZ zurückgegriffen wurde, die in Details von den entsprechenden Artikeln der Print-Ausgabe möglicherweise abweichen.

Auf der Grundlage dieses Archivs ergibt sich kurz gesagt folgendes Bild:

Die BZ entlarvte die Behauptung der Stadtverwaltung, dass das Herzstück des ECE-Projektes der weitgehende Wiederaufbau des Ottmer-Schloss sein solle, nicht als Propaganda.
Im Gegenteil: Wie sich zeigen wird, tat die BZ ihr Möglichstes, die städtische Propaganda zu stützen, indem sie sich in ihrer Berichterstattung im Prinzip darauf beschränkte, die Behauptungen der Stadterwaltung in ausgeschmückter und tendenziell sogar noch übersteigerter Form zu wiederholen. Die entscheidenden Artikel der BZ -das waren vielleicht eine Handvoll- zeichnen sich dabei so konsequent durch fahrlässige Berichterstattung und missverständliche Formulierungen aus, dass es nur eine akademische Frage ist, ob man die BZ der gezielten Irreführung oder schon der glatten Lüge bezichtigen darf.

Zur Berichterstattung der BZ im Einzelnen:

1. Vorgeplänkel: Der „wiederaufgebaute Ottmer-Prachtbau“
( diverse Artikel vor dem 20.4.04)

Im Vorfeld des hier betrachteten Zeitraums -also etwa bis Ende 2003- schrieb die BZ ganz im Einklang mit den damaligen Verlautbarungen der Stadtverwaltung noch unbefangen von einem „Einkaufszentrum hinter einer Schlossfassade“ *** Wohl wurde auch der Begriff „Schloss“ schon verwendet, wenn vom ECE-Center die Rede war. So z.B. in der überschrift eines vom Leiter der BZ-Lokalredaktion R.-H. Meyer geschriebenen Artikels vom 9.7.03, in dem er von der Ratsvorentscheidung für das ECE-Projekt berichtet: „Braunschweig baut das Schloss“. Im Text selbst aber wird das Projekt dann aber freimütig wie folgt beschrieben: „Hinter der Schlossfassade, die an drei Seiten originalgetreu wieder errichtet wird, schließt sich ein großes Einkaufszentrum mit 30 000 qm Verkaufsfläche an.“ In diesem Stil berichtete die BZ die längste Zeit des Jahres 2003.

Der Tonfall änderte sich -wieder im Einklang mit den städtischen Verlautbarungen- mit dem Jury-Entscheid des Architektenwettbewerbs Anfang Dezember 2003. Am 2.12.03 berichtete die BZ über diesen Entscheid. Am 3.12.03 schrieb R.-H. Meyer unter der überschrift „Schloss soll nur kulturell genutzt werden“ zunächst davon, dass CDU und FDP forderten, dass im „Schloss“ nur Kultur untergebracht werden soll. Es folgt der Satz:

Damit wird dem Wunsch der Jury entsprochen, die eine Trennung des modernen, kommerziellen Raumes und des historischen Wiederaufbaus dringend empfahl.

Hier wird wohl (meines Wissens) ganz nebenbei zum ersten Mal in der BZ behauptet, dass es so etwas wie einen historischen Wiederaufbaus des Schlosses -und nicht nur der Schlossfassade- geben wird. ****

Ungefähr ab diesem Zeitpunkt wird von den Redakteuren R.-H. Meyer und E.-J. Zauner das, was da im Zuge des ECE-Projektes entstehen soll, mit immer neuen, immer großartigeren und suggestiveren Formulierungen beschrieben als „Residenzschloss“, als „Rekonstruktionsbau“, als „wiederaufgebauter Ottmer-Prachtbau“ und als „Rekonstruktion des alten Residenzschlosses“.

Beispiele:
Am 2.2.04 schrieb R.-H. Meyer unter der überschrift „Heiraten im Residenzschloss“ u.a. :

Das wird ein Renner: Im Residenzschloss soll nach Fertigstellung des Rekonstruktionsbaus geheiratet werden.
Die von der Jury […]geforderte kulturelle Nutzung des wiederaufgebauten Ottmer-Prachtbaus soll zielstrebig umgesetzt werden. Die Vorstellung, dass im Schloss profane Verkaufsräume angesiedelt werden könnten, war stets auf breite Ablehnung gestoßen.

Am 26.3.04 schrieb E.-J. Zauner unter der überschrift „Quadriga steht zur Eröffnung der Schloss-Arkaden über dem Portikus“ u.a.:

Höchst zufrieden zeigten sich gestern die Braunschweiger Unternehmer Richard Borek und Michael Munte von der Vereinigung der Schlossfreunde über die Entwicklung der Rekonstruktion des alten Residenzschlosses im Rahmen des geplanten Baus des ECE-Centers „Schloss-Arkaden“.

Einschränkend erläutert -um etwaige hochfliegende Erwartungen zu dämpfen- wurden diese Begriffe nicht. So konnten sie ihre suggestive Wirkung voll entfalten. Die Erwartungshaltung des Lesers wird dabei noch geschürt, indem ihm en passant mitgeteilt wird, dass es eine Entwicklung der Rekonstruktion des alten Residenzschlosses gäbe, die die Schlossfreunde höchst zufrieden stellt. Die Dinge wenden sich also zum Positiven, man darf offensichtlich deutlich mehr erwarten als eine bloße Rekonstruktion der Fassaden, die ja bereits seit langem versprochen wurde.

Ansonsten teilte die BZ dem Leser vor dem 20.4.04 über das ‚Schloss’ im wesentlichen nur noch etwas über dessen künftige Nutzung mit. In den interessierten Kreisen wurde damals heiß diskutiert, ob der Bereich direkt hinter dem Schloss-Portikus -über den man, soviel war klar, in das Kaufhaus gelangen würde- selbst von kommerzieller Nutzung freigehalten werden würde, oder ob das Kaufhaus besitzergreifend ins ‚Schloss’ drängen und direkt hinter dem Portikus beginnen würde.

Suggeriert wurde dabei seitens der BZ, dass die Planungen darauf hinauslaufen, dass das „Schloss“ rein kulturell genutzt und vom Einkaufszentrum zu trennen sein werde. So schrieb E.-J. Zauner im erwähnten Artikel vom 26.3.04 über die Schlossfreunde:

Zufrieden ist man [= die Schlossfreunde] mit der Bereitschaft von ECE, für den übergang vom Schloss zum Einkaufszentrum eine sensible Lösung zu suchen.

„Schloss“ und Einkaufszentrum werden hier wie selbstverständlich gegeneinandergestellt. Nun mag man einwenden, dass hier E.-J. Zauner ja nur etwas über die Befindlichkeit der Schlossfreunde berichtet, ihre Zufriedenheit. Das ist wohl wahr.

Aber wer sich erinnert, wie unwahrscheinlich einem durch allgemein erhältliche öffentliche Pläne informierten Interessenten schon damals ein im Portikusbereich kommerfreies „Schloss“ erscheinen musste (und nur das kann mit dem „sensiblen übergang“ gemeint sein), wer sich erinnert, wie der OB auf entsprechende Fragen im Rat nur diffuse Verweise auf angebliche Verhandlungen geben konnte, die mit ECE diesbezüglich im Gange seien, der wünschte doch, dass Herr Zauner die Schlossfreunde um Herrn Borek etwas genauer gefragt hätte, wie man sich denn das Resultat dieser Bereitschaft der ECE, einen „sensiblen übergang“ vom Schloss zum Kaufhaus zu suchen, vorzustellen hätte.

Diese Kritik gilt um so mehr, als auch in weiteren Artikeln suggeriert wurde, dass die Planungen darauf hinauslaufen würden, das ‚Schloss’ ausschließlich nichtkommerziell zu nutzen, so z.B. im bereits oben gebrachten Textbeispiel von R.-H. Meyer vom 2.2.2004:

Die von der Jury […]geforderte kulturelle Nutzung des wiederaufgebauten Ottmer-Prachtbaus soll zielstrebig umgesetzt werden. Die Vorstellung, dass im Schloss profane Verkaufsräume angesiedelt werden könnten, war stets auf breite Ablehnung gestoßen.

und im Artikel vom 13.3.04 von R.-H. Meyer „Skepsis gegenüber ECE-Projekt sinkt“ :

Zu der Verknüpfung von Einkaufszentrum und Schloss äußern sich die Mitglieder der Akademie ebenfalls positiv. Anfangs habe die Sorge bestanden, dass die Rekonstruktion der Schlossfassade als Dekoration für ein Einkaufszentrum missbraucht werden könnte. Der prämierte Entwurf sehe aber nicht nur die Fassade, sondern eben den gesamten Schlossbaukörper vor. Das Ansinnen, das Schloss mit nichtkommerziellen Nutzungen zu füllen, wird ausdrücklich begrüßt.

All diese Artikel sind -was ihre Aussagen über die ‚Schloss’-Nutzung angeht, formal insofern „korrekt“, wie sie diesbezüglich nur Aussagen von Dritten wiedergeben. Ein argloser Leser liest seine Tageszeitung aber nicht textkritisch, er davon aus, dass ihn die Zeitung so gut und unmissverständlich wie möglich unterrichtet.

Wenn er also liest, dass Herr Borek, in diesen Fragen eine „wichtige“ Braunschweiger Persönlichkeit, sich befriedigt über die Verhandlungsbereitschaft von ECE äußert, soweit es um einen sensiblen übergang vom ‚Schloss’ zum Center geht, und wenn er weiter liest, dass das Rathaus plant, dass „Schloss“ nur kulturell zu nutzen und er dahinter den kommentierenden Satz lesen kann: „Die Vorstellung, dass im Schloss profane Verkaufsräume angesiedelt werden könnten, war stets auf breite Ablehnung gestoßen.“ dann wird er nicht daran zweifeln, dass Verhandlungen mit ECE, das ‚Schloss’ von Kommerz freizuhalten, im Gange sind und realistische Aussichten auf Erfolg haben.

Aufgabe einer unabhängigen Presse wäre es aber, den Leser darauf hinzuweisen, dass diese Aussagen unglaubwürdig sind, wenn es denn entsprechende Verdachtsmomente gibt. Solche Verdachtsmomente gab es überreichlich, und es wäre nicht schwer gewesen, sie zu erhärten. Tatsächlich hat es entsprechende ernsthafte Verhandlungen zwischen ECE und der Stadt nie gegeben. *****
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* Die Auswahl der im Folgenden gebrachten Beispiele beschränkt sich streng auf den vorgegebenen Themenrahmen. Was die BZ also z.B. über die Finanzierung der Schloss-Fassade oder die Grundstückswertermittlung des Schlossparks oder die Frage, wieweit der OB die Bürger zum ECE hätte befragen können etc., wird hier nicht Gegenstand der Betrachtung sein. Die BZ-Berichterstattung folgte grob gesagt auch auf diesen Gebieten den im Folgenden den für die Berichterstattung zum „Schloss“ aufgezeigten Regeln.

** Zwei Lokalredakteure der BZ versicherten bereits auf telefonische Anfrage, dass die BZ natürlich immer wahrheitsgemäß berichtet hätte, was da im Schlosspark gebaut werden würde. Die Bitte, die Artikel zu nennen, auf denen ihr diesbezüglich gutes Gewissen beruht, stieß bei beiden Redakteuren jedoch auf entschiedene Ablehnung.

*** So z.B. am 25.6. 03 unter der überschrift „Hoffmann spricht über ECE-Center“

**** Erinnert sei hier an Fußnote (***) in der ersten Folge: Dass mit dem „historischen Wiederaufbau“ nicht nur ein Wiederaufbau einer Fassade gemeint sein kann, erschließt sich dem Leser unmittelbar aus der Forderung, diesen „historischen Wiederaufbau“ nicht mit kommerzieller Nutzung zu füllen. Diese Forderung wäre sinnlos, wenn sich der !historische Wiederaufbau“ auf eine Fassade beschränkte.

***** So rief der Verfasser auf Grund der gegebenen Zweifel am 17.5.04 bei beim ECE-Projektleiter, Herrn Thätner an, und erhielt als interessierter Bürger zunächst ohne weiteres die Auskunft, dass der Bereich hinter dem Portikus Kaufhaus würde. Die Frage, seit wann das denn feststände, verstand Herr Thätner zunächst nicht. Auf die Erläuterung hin, dass über die kommerzielle Nutzung dieses Bereiches doch verhandelt worden wäre, entgegnete Herr Thätner entschieden, dass es nie zur Disposition gestanden hätte, dass der Bereich direkt hinter dem Portikus etwas anderes als Kaufhaus werden könnte. Welcher Art bei dieser Ausgangslage die Verhandlungen der Schlossfreunde mit ECE über einen sensiblen übergang vom „Schloss“ zum Einkaufszentrum gewesen sein sollen, ist bis heute schleierhaft.

(Fortsetzung folgt)

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