Dritte ‚Hygiene-Demo‘ in Braunschweig

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Dritte "Hygienedemo" auf dem Schlossplatz mit Demonstranten und interessierten Zuhörern. Foto: Helge Böttcher

Von Ines Richlick

Als „Kundgebung für Selbstbestimmung, Freiheit und die Grundrechte“ hatte Janine Reinecke aus Cremlingen für Samstag, 16.5.2020, ihren dritten Protest auf dem Platz vor der Braunschweiger Schlossattrappe gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des ‚Corona-Virus‘‘ angezeigt. Dass die Gewährung von Grundrechten nach ihrer Ansicht – trotz vielfach auf diversen Tischen ausgelegten Grundgesetz-Büchlein – jedoch vorzugsweise nur für sie selbst und ihre Gefolgschaft, nicht jedoch für alle anderen zu gelten habe, verdeutlichte sich zusehends in ihrem ca. 90-minütigen Monolog. Ob man überhaupt an die Existenz des Virus‘ glaubt, blieb genauso im Dunkeln wie Aussagen, gegen welche Maßnahmen der Bundesregierung und die der Länder konkret sich der Protest richtet, ganz zu schweigen von Alternativvorschlägen.

Die von ca. 150 Teilnehmenden besuchte Veranstaltung, meist ohne Mund-/Nase-Bedeckung und Abstandswahrung, startete wegen fehlender Ordner/-innen mit halbstündiger Verspätung gegen 16 Uhr. Schon im Vorfeld sollten kritische Beobachter/-innen und Journalist/-innen eingeschüchtert werden, indem Frau Reinecke alle Interessierten bat, sich in den mit Absperrband markierten Bereich zu begeben. Alle außerhalb Stehenden sollten verschwinden, da sie ansonsten Platzverweise von der Polizei bekämen. Die Umstehenden bleiben jedoch und die Polizei, die mit einem Großaufgebot vor Ort war, beobachtete lediglich das Geschehen.

Redete Frau Reinecke anfänglich noch von Ethik und Respekt und davon, dass sie ein Zeichen für Menschlichkeit setzen wolle, ergoss sie sich alsbald in Selbstmitleid sowie Anfeindungen und Schuldzuweisungen gegenüber Journalist/-innen. Ihr Leben habe sich seit den ersten Kundgebungen komplett geändert, sie käme sich vor wie in einem Krimi, wolle in nichts hineingezogen werden und sei keine Marionette. Hintergrund seien die Berichterstattung der Braunschweiger Zeitung und eine Äußerung von David Janzen, dem Journalisten und Sprecher des Bündnisses gegen Rechts, der vermeintlich hinter allem stecke.

Nach Medienberichten wurden bei der letzten Versammlung 7 Neonazis von der Polizei des Platzes verwiesen. David Janzen machte auf ein Twitter-Posting von Frau Reinecke aufmerksam, in dem sie die 7 Weggeschickten bat, sich bei ihr privat zu melden. Das wertete Frau Reinecke als Angriff, sie fühle sich verfolgt und ihr Leben bedroht. Selbstverständlich dürften die Neonazis dabei sein, wenn sie friedlich sind. Das taten sie dann auch. Der als ‚NO-Schläger‘ bekannte Pierre Bauer war mit Kleidungsaufdruck „Invictus“ z. B. ebenso willkommen wie der Vorsitzende der NPD-Jugendorganisation Junge Nationalisten (JN) in Niedersachsen, Sebastian Weigler, der sich u. a. auch an einer Demonstration im September 2019 in Hannover gegen drei namentlich benannte Journalisten beteiligte, darunter auch David Janzen. (https://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2019/11/23/feldzug-gegen-die-presse_29345).

Die Gefahr ginge nach Meinung von Frau Reinecke von Herrn Janzen aus, der sie angeblich in einen Krieg hineinziehe. Nach eigenem Bekunden kenne sie ihn allerdings gar nicht. Ihm solle verboten werden, für die Presse zu arbeiten. Es tue ihr zwar leid, dass ihm kürzlich ein vergammelter Schweinekopf zugeschickt wurde (Anmerkung der Autorin: vermutlich von rechtsgerichteten Kreisen nach einer Vielzahl von Bedrohungen seit einem Jahr, er solle sich jedoch fragen, was er dazu beigetragen habe.

Frau Reinecke berichtete, dass sie in einfachen Verhältnissen aufgewachsen und in der Schule ständig gemobbt worden sei. Mit 16 habe sie in Berlin Häuser besetzt auf der Suche nach Gerechtigkeit. Herr Janzen solle trotz allem, was er ihr angeblich angetan habe, mit ihr kommunizieren. „Wir wollen keine Spaltung.“ Als sei David Janzen jemals Teil ihrer Community gewesen.

Nachdem sich die Rednerin über eine Viertelstunde an dem Sprecher des Bündnisses gegen Rechts abgearbeitet hatte, wiederholte sie mehrfach lautstark den Slogan „Wir sind die Demokratie“. Nur skandierte niemand mit.

Versammlungsteilnehmende standen außerhalb der Absperrung teils wie Panther zusprungsbereit, um noch Andersdenkende von ihren kruden Vorstellungen zu überzeugen, darunter Impfgegner/-innen und Überzeugte, dass Bill Gates das Virus in die Welt gesetzt habe, um Milliarden daran zu verdienen. Ein Mann fragte mich, warum ich mein Hirn außerhalb des Kopfes trage, ein anderer warum ich nicht in den abgesperrten Bereich ginge, ein weiterer bedrängte mich, um Einblick in meine Aufzeichnungen zu nehmen, ein anderer verfolgte mich ohne Gesichtsmaske spuckend, um mir irgendetwas vorzuwerfen.

Eine Frau echauffierte sich über meine Mund-/Nasen-Abdeckung. Ob ich denn Angst habe. Sebastian Weigler, JN, fotografierte/filmte demonstrativ die Personen außerhalb der Absperrungen.

Protestschilder trugen Aufschriften wie „Schluss mit Panik“, „Immunisieren statt impfen“, „Freiheit“ oder richteten sich gegen Angela Merkel und Jens Spahn.

Derweil wurden seitens der Versammlungsleiterin verschiedene Statistiken von Wissenschaftler/-innen und dem RKI wild durcheinandergewürfelt, mit Einzelaspekten aus dem Zusammenhang gerissen und ‚Corona‘ mit der Grippe verglichen, um sämtliche Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus‘ für obsolet zu erklären und die Presse zu bezichtigen, den Menschen nur Angst einzuflößen. Mit der Regelung von weiteren Beschränkungen ab einer Fallzahl von 50 Infizierten pro 100 000 Einwohner/-innen bezwecke Angela Merkel nur den nächsten Lockdown.

Des Weiteren vertrat Frau Reinecke die These, dass bei allen obduzierten Leichen niemand an ‚Corona‘ gestorben sei. Auf einer Demo in Stuttgart sei berichtet worden, dass Hinterbliebenen von Verstorbenen 5 000 Euro geboten worden seien, wenn sie die Toten als mit Corona infiziert bezeichnen würden.

Um die Kosten für die Veranstaltungen zu decken, wurde um Spenden gebeten. Ferner sei eine Vereinsgründung angestrebt.

Vom Lockdown sei Frau Reinecke selbst zusammen mit ihrem Lebensgefährten betroffen, mit dem sie in der Veranstaltungsbranche gerade starten wollte. Möglicherweise war ihre Tätigkeit als selbsternannte Quantentherapeutin nicht mehr auskömmlich, für was auch immer diese nützlich sein sollte. Mit Physik hat sie zumindest nichts zu tun, für die zweite Alternative könnte die Konsultation eines/-r Orthopäd/-in oder eines/-r Podolog/-in heilsamer sein.

Das ganze Szenario erinnerte stark an die Zeiten von ‚Bragida‘: Wutbürger/-innen im Flatterbandlaufstall, Verschwörungsmythen, Merkelbashing, Presseschelte und Schulterschluss mit Neonazis.

Für Auflockerung außerhalb der Kundgebung sorgte die PARTEI mit Demo Bingo und Aluhüten sowie Martin Struhk mit Esel Ronny und Huhn.

2 Kommentare

  1. Mit Erschrecken habe ich diesen Bericht über die Braunschweiger Demo am 16.5. gelesen. Ich war selbst dort und weiß, dass die Darstellung in großen Teilen einfach falsch und einseitig ist. Frau Reinecke und alle anderen Teilnehmer sind in kleinster Weise rechts orientiert, sondern wenn man genauer hingesehen hätte, eher linksliberal, Ganz normale Bürger in der Mitte der Gesellschaft. Hingegen waren die von Ihnen als erfrischend formulierten Mitglieder der Partei mit eindeutigen Rechten und provozierenden Äußerungen und Handlungen die eigentlichen Störer der Demo, die nicht von der Polizei zurück gehalten wurden. Das mussten die freiwilligen Helfer tun. Hingegen behinderte die Polizei mit ihren neuen Forderungen von 2 statt 1,5 m Abstand den Beginn der Demo. Sicherlich hat Frau Reinecke Ihre Rede etwas lang gestaltet und ist zu sehr auf ihre eigene Person eingegangen. Aber sie wollte sich wehren gegen die Diffamierungen ihre Person. Das ist ihr gutes Recht. Sie lassen übrigens in ihrem Bericht völlig unerwähnt, dass ich auch als Vertreterin von Braunschweiger Familien einen offenen Brief vorgelesen habe, in dem es um die Rechte der Familien und Kinder in diesem Land geht, die unter den Maßnahmen leiden. Nach mir sprach spontan noch eine Frau aus dem Gastgewerbe und es zogen Busse einer Reisegesellschaft als Protest am Schloßplatz vorbei, um auch ihrerseits auf die Mißstände durch die Corona-Maßnahmen hinzuweisen. All das lassen Sie unerwähnt. Wirklich schändlich für die Presse, so einseitig zu falsch zu berichten.

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