Charlotte Wiedemann las über Mali in ihrem leisen, aber hoch politischen Buch.

0
Charlotte Wiedemann bei einem Vortrag im Kulturzentrum Nordbahnhof in Braunschweig. Foto: Uwe Meier

Charlotte Wiedemann zu Gast im Haus der Kulturen im Rahmen der Braunschweiger Buchwochen

Seit vielen Jahren reist Charlotte Wiedemann nach Afrika, und insbesondere nach Mali. Das hatte auch private Gründe – aber nicht nur. Ihre Begegnungen mit den Menschen hat sie in einem Buch zusammengefasst. In einem Punkt ist sie sich ganz sicher: Der Westen wird das Land nicht retten.

Aus dem Buch „Mali oder das Ringen um Würde“ liest Frau Wiedemann nur wenige Kernbereiche vor. Mit leiser, aber deutlicher Stimme, spricht sie Sätze, die unter die Haut gehen. Sie spricht über den Baumwollanbau und wie schwer es die Bauern haben mit ihrem Produkt auf dem Weltmarkt zu bestehen, weil die USA ihre Baumwolle hoch subventionieren. Den Chancen beraubt kommt es zu Fluchtbewegungen – aber hauptsächlich in Afrika bis nach Südafrika, die mehr Flüchtlinge bisher aufgenommen hat als ganz Europa. Die in Europa etablierten Flüchtlinge, so der 2. Abschnitt der Lesung, leben hauptsächlich in Frankreich. Mehrere Milliarden Euro überweisen sie jährlich in ihre Dörfer und versorgen so nicht nur ihre Familien, sondern Dorfgemeinschaften.

Wenn sich Charlotte Wiedemann mit einem Land befasst, dann intensiv. So intensiv, dass sie versucht jedes Detail aufzuspüren, zu verifizieren und in Zusammenhänge zu setzen. Ihre journalistische Stärke vermag das Aufgespürte den LeserInnen mit den Hintergründen der Details deutlich zu machen. Charlotte Wiedemann beschreibt lebendig und eindringlich ihre Begegnungen mit einfachen Leuten, geistlichen und weltlichen Führern, mit Sozialwissenschaftlern und Aktivisten. In ihre detaillierten Beschreibungen mischt sie tiefes Wissen über die Geschichte und die Kultur des Landes und verändert so zum Beispiel den Blick auf den Sahel.

Vor etwa zwei Jahren bestimmte Mali die Schlagzeilen, als die Regierung weggeputscht wurde, islamistische Milizen Timbuktu einnahmen und dann mit Hilfe französischer Truppen zurückgedrängt werden konnten. Der Westen rettete Mali! So lautete damals die Kurzfassung. Dass aber die Wirklichkeit wesentlich komplizierter war und ist, beweist das neue Buch von Charlotte Wiedemann, ein recherchestarkes Werk voller kluger Beobachtungen und Gedanken. In einem Punkt ist sie sich ganz sicher: Der Westen wird das Land nicht retten. Im Gegenteil, er scheint zu stören. Deutlich wird das in der von ihr erstellten Dokumentation im Auftrag der Heinrich Böll Stiftung, und die erst im Januar 2018 fertiggestellt wurde „Viel Militär, weniger Sicherheit. Mali – fünf Jahre nach Beginn der Intervention.“ Eine lesenswerte Analyse über den Sinn oder UnSinn dieses deutschen Auslandeinsatzes, der nichts sicherer macht.

Das Buch wagt keine Prognose, wie und wohin sich Mali entwickelt. Charlotte Wiedeman beschreibt die Menschen in Bamako, Timbuktu, Gao und Falea, wie sie ihre Wirklichkeit erleben und welche Zukunft sie sich erträumen. Und die Autorin lässt offen, ob sie die Kraft haben werden, dem Land und sich eine gute Zukunft zu geben.

Eines aber macht sie ganz klar: Die Rettung kommt nicht von außen – auch wenn westeuropäische Politiker so tun, als könnten sie das Land entwickeln. Sie muss von innen kommen, aus dem Vertrauen und das Rückbesinnen auf die alten Kulturen, auf das lange Zusammenleben unterschiedlicher Völker. Mit mehr dezentraler Demokratie und mehr Selbstvertrauen, eigene Maßstäbe für Entwicklung zu finden.

Das Buch, auch wenn es auf leisen Sohlen daherkommt, ist ein politisches Buch vom Feinsten, das über Mali ein Brennglas auf unsere gesättigte Kultur mit ihrem oft unmenschlichen Verhalten richtet.

Ausschnitt aus der Arbeit von Charlotte Wiedemann

Charlotte Wiedemann im Gespräch über Flüchtlinge beim DLF

Möchten Sie den Artikel kommentieren

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.