1914: Der Wille zum Krieg

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1914: DER WILLE ZUM KRIEG

von Wolfram Wette

Was war das für eine Welt im Sommer 1914, als der Erste Weltkrieg begann? Ein Krieg, an dem sich am Ende 40 Nationen beteiligten. Ein Krieg, in dem etwa 70 Millionen Menschen unter Waffen standen. Ein Krieg, der das Leben von etwa 17 Millionen Menschen forderte. Ein Krieg, den der amerikanische Historiker und Diplomat George F. Kennan als die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“  bezeichnet hat, weil dieser Krieg mit dem Friedensschluss von Versailles nicht wirklich beendet war, sondern sich in den Köpfen fortsetzte, und weil von ihm aus direkte Kontinuitätslinien hinführen bis zu Hitler und zum Zweiten Weltkrieg.

In ganz Europa, nicht nur in Preußen-Deutschland, hatte sich seit den 1870er Jahren mit dem Militarismus eine neuartige politische und gesellschaftliche Erscheinung herausgebildet und sich in den folgenden Jahrzehnten immer stärker entwickelt. Der Militarismus prägte die europäischen Nationalstaaten und die Mentalität ihrer Menschen. Der preußisch-deutsche Militarismus galt weltweit als der Prototyp einer kriegerischen Kultur. In dieser Welt galt der Krieg als ein selbstverständliches und legitimes Mittel der Politik. In den Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 war vergeblich der Versuch gemacht worden, Regeln gegen den Krieg auszuhandeln.

Herausgekommen waren lediglich Regeln im Krieg, also Kriegsführungsregeln. Das Deutsche Reich hatte sich durchgängig dagegen gesperrt, seine Spielräume durch internationale Vereinbarungen einschränken zu lassen.

Die Welt vor 1914 war zugleich geprägt durch einen Imperialismus, der von den europäischen Staaten ausging und der sich bis in alle Regionen der Welt erstreckte. Die kolonialen Bestrebungen waren gleichermaßen von wirtschaftlichen wie von militärisch-machtpolitischen Interessen geprägt. Seit 1890, dem Beginn der Regierungszeit des deutschen Kaisers Wilhelm ll wurde in den national eingestellten Kreisen der deutschen Gesellschaft die Vorstellung diskutiert, dass Deutschland sich nun – als eine wirtschaftlich und demographisch aufstrebende Nation – einen „Platz an der Sonne“ erobern müsse. Es sei berufen, in den Kreis der Weltmächte einzutreten und selbst „Weltmachtpolitik“ zu treiben.

Man versteht die europäische und die deutsche Welt von 1914 jedoch nur unzureichend, wenn man lediglich auf die kriegsträchtigen Phänomene Militarismus, Imperialismus, Weltmachtanspruch, Wettrüsten und Flottenpolitik abhebt. Diese Welt war komplizierter  und hielt auch ganz andere Optionen bereit. Da ist zunächst die Erfahrung langer Friedensjahrzehnte zu berücksichtigen. Seit dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 hatte es in Mitteleuropa keine kriegerische Auseinandersetzung mehr gegeben. Die Balkankriege waren auf den südosteuropäischen Raum beschränkt geblieben, ohne auf die Regionen der europäischen Großmächte überzugreifen. Immer wieder war es der Diplomatie gelungen, vorhandene Machtkonflikte zu deeskalieren und Kriege zu verhindern. Parlamentarier der verschiedenen Nationen Europas arbeiteten in der „Interparlamentarischen Union“ zusammen. Die sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien organisierten sich europaweit in der  II. Sozialistischen Internationale. Bürgerliche Pazifisten in England, Frankreich und Deutschland pflegten auf persönlicher Basis internationale Kontakte. In den Haager Friedenskonferenzen (1899 und 1907) beschloss man die Einrichtung eines Internatlonalen Schiedsgerichtshofs, der 1913 in Den Haag in den „Friedenspalast“ einzog und seine Arbeit begann, ohne dass er sich jedoch auf obligatorische Anerkennung der Großmächte berufen konnte. Die Länder Europas waren auch wirtschaftlich eng miteinander verknüpft. Darüber hinaus gab es eine rege Kommunikation und einen zunehmenden Kulturaustausch zwischen den Nationen. Das alles ließ die damaligen Kriegsgegner hoffen, der Frieden ließe sich politisch, wirtschaftlich und völkerrechtlich organisieren, und kein anderer als der Pazifist Alfred Hermann Fried (1864-1921), Mitbegründer der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) im Jahre 1892, einer der ersten Träger des Friedensnobelpreises (1911), hat seine Theorie von der internationalen Organisation der Friedenssicherung auf die Beobachtung der internationalen Vernetzung gestützt. Das Deutschland des Jahres 1914 war ambivalent. Es gab sowohl militaristische als auch pazifistische Tendenzen und Strömungen. Oder, um es mit der gefälligeren Formulierung des deutsch-amerikanischen Historikers Fritz Stern auszudrücken: Es gab sowohl den „ Traum vom Frieden“ als auch die „Versuchung der Macht“.

 Die Ermordung des österreichischen Erzherzogs Franz Ferdinand von Österrreich (1863-1914) in Sarajewo am 18. Juni 1914 bot der deutschen Reichsleitung den erwünschten Vorwand, um ein mehrwöchiges diplomatisches Verwirrspiel zu inszenieren, das als „Julikrise 1914″ in die Geschichte eingegangen ist. Seit den Forschungen von Fritz Fischer wissen wir, dass Deutschland den Krieg wollte, um seine Machtposition in Europa auszubauen und seinen Anspruch auf Weltgeltung durchzusetzen. Aber die Reichsleitung tat alles, um öffentlich nicht als Verursacher in Verdacht zu geraten. Stattdessen  suchte sie dringend nach einem Vorwand, um den Krieg zu bekommen, und zwar nicht irgendwann, sondern bei dem 1914 noch für Deutschland vorteilhaften Rüstungsstand.

Das bekannte Diktum, alle europäischen Großmächte seien in den Ersten Weltkrieg mehr oder weniger „hineingeschlittert“, hat in Deutschland den Weg geebnet zu einer jahrzehntelangen Kriegsunschuldspropaganda. Erst mit den Forschungen Fritz Fischers setzte in den 1960er Jahren die deutsche Selbstkritik ein. Es kam zum ersten großen Historikerstreit in der Bundesrepublik Deutschland. lm Erinnerungsjahr 1914 wird sich erweisen, ob diese Sicht noch Bestand hat. Es gibt deutliche Anzeichen für eine Rückkehr zu alten, längst überholt geglaubten Verfälschungen. Eine nicht unwesentliche Rolle dürfte dabei das Werk des Historikers Christopher Clark spielen, der schon vor Jahren eine preußische Geschichte vorlegte, in der vom Militarismus nichts zu lernen ist. Sein  neues Werk wurde hierzulande vorgestellt unter der Überschrift „Schlafwandelnd in die Schlacht. Die Deutschen tragen Schuld am Ersten Weltkrieg – aber nicht mehr als andere“. Unterschwellig soll also die überwunden geglaubte These vom „Hineinschlittern“ wieder neu aufgetischt werden.

Die zentrale Erkenntnis, die sich aus dem Studium der Quellen ergibt, lautet stattdessen: In der deutschen Reichsleitung fehlte in der Julikrise 1914 durchgängig der Wille zur Kriegsverhütung. Es gab auch keinen Willen zu einer Deeskalation, wohl aber den Willen zum Krieg. Die deutschen Politiker und führenden Militärs sahen, was kommen würde, und ließen dennoch nicht davon. Darin liegt das große Verbrechen an den Millionen von Menschen die nun in den Krieg ziehen mussten.

Wolfram Wette, Historiker & Friedensforscher,  Universität Freiburg www.uni-freiburg.de

Kurzfassung des Vortrags von Wolfram Wette auf dem Bundeskongress der Friedensgesellschaft am 27. September 2013 in Dortmund. Quelle: Netzwerk (um)

 


Kommentare   
 
+2 #1 Matthies 2013-10-24 18:02
Guter Kommentar zu dem hochgejubelten Werk
von Clark. Wette ist immerhin ein renommierter Historiker, der die entscheidenden „Schwachstellen “ bei den angeblichen „Schlafwandlern “ markiert.
 
 

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