Wachsende Stadt Braunschweig – noch zeitgemäß?

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Blick auf eines der Neubaugebiete im Norden Braunschweigs. Foto: Hans-Georg Dempewolf

Seit 1975 beträgt im Gegensatz zu vielen Großstädten die Einwohnerzahl Braunschweigs im Durchschnitt 250.000 Menschen. Nach neuesten Prognosen der Stadtverwaltung, wird die Einwohnerzahl bis 2034 auf 254.000 geschätzt.

„Angesichts der nur eingeschränkt kalkulierbaren weltweiten Entwicklung der Flüchtlingsströme (Naher Osten/Syrien, Türkei, Afrika) und der aktuell ebenso unwägbaren Lage im Hinblick auf die Corona-Pandemie, ist ein prognostischer Ausblick auf die künftige Entwicklung einer einzelnen Großstadt wie Braunschweig zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit mehr Unwägbarkeiten behaftet als es bei der Bevölkerungsvorausschätzung in 2013 der Fall war.{….}

Nach Abschluss dieser „Bauboom-Phase“ ab ca. 2026/2027 und nicht zuletzt aufgrund eines kontinuierlichen Geburtendefizits, dürfte sich der bereits in den Jahren 2014-2019 beobachtete Trend des Einwohnerrückgangs bei der deutschen Bevölkerung zumindest in abgeschwächter Form fortsetzen. {….}

Wenn sich die äußeren Rahmenbedingungen nicht durch unvorhersehbare Sonderereignisse wesentlich ändern, dürfte sich die Bevölkerungsentwicklung Braunschweigs bis zum Jahr 2035 im dem hier aufgezeigten Rahmen (+/- 1-2 %) bewegen.“ ( s. Bevölkerungsschätzung 2020-2035 in: stadtforschung aktuell, 9-2021).

Also 6-8.000 neue Wohnungen noch bauen zu wollen, die nicht klimaneutral gebaut werden, die die öffentliche Infrastruktur dafür nicht gleichzeitig anpasst, zu klimaschädlichem Flächenfraß führt, geht am Bedarf vorbei. Diese Wohnungen gingen auch am Bedarf vorbei für Wohnungssuchende mit niedrigen Einkommen. Vielmehr ist dringender Handlungsbedarf, die vorhandene Bausubstanz in der Stadt energetisch zu optimieren und statt alte Bauten abzureißen, sie zu sanieren.

Denn die fortschreitende Digitalisierung und die Transformation in allen gesellschaftlichen Bereichen, insbesondere in der Industrie wird es schwer machen, die Einwohner- und Beschäftigtenzahl bis 2035 zu erreichen bzw. die bisherige zu halten. Das Arbeiten im Homeoffice und die Verkürzung/Erhöhung der Verkehrstakte in den regionalen ÖPNV- Netzen des Großraumverbandes tragen dazu bei, dass die Nachfrage nach Gewerbe- und Wohnraum in Braunschweig abnehmen wird. Wenn Städte, wie empfohlen wird, nur auf versiegelten Flächen Gewerbe- und Wohnbauten zu errichten und nicht neu zu bauen, sondern vorhandene umzunutzen, leistet Braunschweig seinen Beitrag, den Flächenfraß zu reduzieren und macht ein großen Schritt, seine Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Wenn Neubauten, dann muss Green Building- klimaneutrales Bauen- Standard sein. Hat doch gerade die Bauwirtschaft ihre Reduktionsvorgaben in 2020 um 2 Millionen Tonnen Treibhausgase verfehlt, so dass mit schärferen Maßnahmen nachgebessert werden musste.

Braunschweig ist eine der wenigen Städte in Europa, deren Stadtfläche zu 50 % aus grüner Infrastruktur besteht, also aus Wald-, Wiesen-, Acker-,Brach-, Park-, Garten- Naturschutz- und Wasserflächen. Wenn wenigstens 10 % der Waldflächen aus der Nutzung genommen werden, die Ackerflächen auf ökologischen Anbau umgestellt werden und bei den anderen Flächenarten die Biodiversität gefördert wird, trägt das nicht nur zum Klimaschutz und Lebensqualität sondern auch zum sanften Tourismus bei. Diese Grünen Infrastrukturflächen müssen den gleichen Stellenwert in der Stadtplanung bekommen wie Verkehrs-, Gewerbe-und Wohnflächen.

Das vor drei Jahren vom Rat beschlossene Strategiepapier ISEK setzt zu stark auf Wachstumsziele, die nicht mehr mit der neuen Rechtslage (Bundesverfassungsurteil) und insbesondere den eigenen angestrebten Klimazielen vereinbar sind. Der neugewählte Rat der Stadt Braunschweig muss hier dringend nachbessern, um die Klimaneutralität so früh wie möglich zu erreichen.

3 Kommentare

  1. Der Autor, Fritz Walz, liegt absolut richtig mit seinen Anmerkungen zur Braunschweiger Bau(land)politik.
    Es reicht schlicht nicht, wie auch der gewählte neue OB schon bemerkte, ständig irgendwelche Ziele zu formulieren, ohne auch Wege zu gehen um sie zu erreichen, mit allen Mitteln, die Klimaktatstrophe läßt sich nicht austricksen; als ehemaliger Münsteraner kennt er sicher deren Baupolitik!?
    Selbstverständlich gehören dafür SÄMTLICHE geplante Baugebiete auf den Prüfstand, vor allem auch solche, die zwar schon beschlossen sind, bei denen aber noch keine Investition getätigt, bzw. Bautätigkeit in Gang gekommen ist.
    Planungsrechtliche Streitigkeiten dürfen nicht als Verzögerung beklagt, sondern als Chance gesehen werden, innezuhalten und endlich neue Wege zu gehen.
    Dazu bedarf es allerdings einer (Bau)Verwaltung, die ihre Hoheitsrechte auch wahrnimmt und nicht an Investoren „verscherbelt“, weil es ja so einfach ist und die Investoren so nett sind…
    In diesem Zusammenhang sollte die vom Rat beschlossene sog. neue Baulandpolitik einer sorgsamen und kritischen Prüfung unterzogen werden, sonst bleibt doch alles beim Alten – und die Investoren freuen sich!!!

    Cord Kundlich

  2. Die Einwohnerzahlen waren ab 1974 bei der Gebietsreform sogar auf 270034 gestiegen:
    https://www.braunschweig.de/politik_verwaltung/statistik/ez_seit1551.php

    Gleichzeitig gab es viel weniger Wohngebiete/Häuser und kleinere Wohnungen. Im laufe der Jahre leben wir auf immer größren Wohn- und Grundstücksflächen und jammern auf extrem hohen Niveau. Einige Wohnblöcke wie z.B. in der Echternstraße oder Uhlandstraße stehen seit Jahren leer, wurden absichtlich entmietet, sind reine Spekulationsobjekte, welche nach späterer Sanierung zu Höchtpreisen vermietet oder verkauft werden sollen. Zudem möchte man in den Gebieten auch solventere Mieter oder Eigentümer haben und verdrängt sozialschwache Schichten. Wo früher mal das Straßenbahndepot an der Westermann-Allee war, stehen nun teure Stadthäuser, nebenan die Uhlandstraße mit alten Miets-„Bruchbuden“, da treffen Welten aufeinander.
    Der Mietspiegel steigt stetig und alle Vermieter sollen mitziehen, wer zu billig vermietet wird angemahnt, so entsteht eine nach oben steigende Endlosspirale, die fernab vom realen Wert manch einer Immobile oder Wohnung liegt.

    Im Umland sieht es auch nicht besser aus, fast jedes Dorf oder jede Kleinstadt hat irgendwo stetig wachsende Neeubaugebiete, überwiegend mit Einfamilienhäusern bzw Doppelhäusern, Sickte wächst, Cremlingen wächst, Wolfenbüttel-Linden wächst, Groß Denkte wächst, um mal Beispiele zu nennen. Dazu kommen dann noch die angeblich dringend nötigen Groß-Gewerbe- und Industriegebiete, mit denen wir uns die Äcker zubetonieren.
    Wenn nach 30-40 Jahren die einst so emsigen Häuslebauer sterben oder ins Altersheim gehen müssen, werden die hart erarbeiteten Immobilen nicht selten abgerissen, aber nicht neu gebaut oder bewohnt. Ich seh da immer öfter abgeräumte Leerflächen oder seit Jahren leerstehede Häuser in alten Wohn-Gebieten. Häuser von 1950-70 sind heutigen Häuslebauern zu klein, zu eng und energetisch unwirtschaftlich. Schöne Fachwerkhäuser mitten im alten Dorf werden abgerissen für potthässliche Neubauten. Manchmal brennts auch „rein zufällig“ in so einem Haus, warme Sanierung?
    Was für ein Wahnsinn – es geht nur noch um Konsum auf allen Ebenen um das Geld von unten und der Mitte nach oben zu schieben, wo es mehr oder weniger nichts mehr nutzt.

  3. Durch die Eingemeindung von 22 Randgemeinden stieg die Einwohnerzahl Braunschweigs von einem Tag auf den anderen – 28.02.1974/01.03.1974 – um 52.000 auf 270.000. Innerhalb von 12 Jahren sank dann die Einwohnerzahl um 18.000 auf 252.000 Ende 1986. Verursacht durch die Grenzöffnung bewegte sich die Einwohnerzahl zwischen 1990 mit 259.000 und Ende 1992 auf 261.000.
    Bereits Ende 1993 hatte BS noch knapp 255.000 Einwohner und die sank dann kontinuierlich bis Ende 2006 auf 240.000. Ab 2007 stieg dann die Zahl in kleinen Schritten und Rückschritten auf 251.000 bis Ende 2020. Bis Ende 2034 könnte die Einwohnerzahl auf 260.000 steigen oder auch wieder bei 251.000 Einwohner sich einpendeln. So die neuste Bevölkerungsprognose der Stadtverwaltung.

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