Umfrage – Mehrheit für Verhandlungen über Ende des Krieges in der Ukraine – alle nur „Putinknechte“?

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Umfrage Foto: Pixabay

Eine Umfrage der Körberstiftung namens „The Berlin Pulse“ zum Ukrainekrieg kommt zu erstaunlichen Ergebnissen. Erstaunlich vor allem deshalb, weil in den meisten Leitmedien seit Monaten ganz andere Positionen – im Wesentlichen eigentlich nur eine – in der Bevölkerung verbreitet werden. Offenbar machen sich viele Menschen eben doch ihre eigenen Gedanken. Oder ist die Körberstiftung vielleicht ein Einflussagent der Russen? Nein, erstens ist sie amerikafreundlich und zweitens findet sie selber nicht alle Ergebnisse erfreulich. Allerdings unterscheidet sie klar zwischen den Ergebnissen der Umfrage und ihrer eigenen Bewertung – wie es sich gehört.

Wie denken die Deutschen?

I.

Eine Mehrheit der Deutschen (52 Prozent) wünscht sich eine internationale Zurückhaltung Deutschlands – allgemein wie im Ukrainekonflikt. 41 Prozent sehen das anders, allerdings denken zwei Drittel von ihnen dabei an diplomatische Anstrengungen und nur 14 Prozent an mehr militärischen Einsatz (13 Prozent treten für einen höheren finanziellen Einsatz ein). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt übrigens eine Umfrage, die RTL/ntv Ende August veröffentlichte: 77 Prozent waren der Meinung, der Westen (!) sollte Verhandlungen über eine Beendigung des Ukrainekrieges anstoßen. (Die jüngste ARD- DeutschlandTrend – Umfrage geht übrigens in dieselbe Richtung.)

II.

60 Prozent der Befragten befürworten zwar eine bessere Ausrüstung der Bundeswehr, aber zwei Drittel (68 Prozent) lehnen eine militärische Führungsrolle Deutschlands in Europa ab.

Nach der RTL/ntv – Umfrage vertraten 31 Prozent die Ansicht, Deutschland sollte mehr schwere Waffen an die Ukraine liefern. Dagegen waren 62 Prozent der Meinung, dass Deutschland das nicht tun sollte.

III.

75 Prozent sehen für Deutschland durch Russland eine geringe oder gar keine militärische Bedrohung. Dabei halten 80 Prozent eine Ausweitung des Krieges auf das NATO-Bündnisgebiet durchaus für möglich, etwa auf die baltischen Staaten oder Polen. Und 69 Prozent machen sich Sorgen um einen russischen Atomschlag (31 Prozent „stark bis sehr stark“, 38 Prozent „ein wenig“).

Was zeigen die Umfragen – und was nicht?

Natürlich sind Umfragen Augenblicksaufnahmen. Sie sagen auch nichts darüber aus, was richtig oder falsch ist. Aber es wird doch sehr deutlich, dass es keineswegs so ist, dass alle – bis auf eine verstockte radikale Minderheit – derselben Meinung sind. Während die Leitmedien fast unisono die Auffassung verbreiten, Verhandlungen seien unmöglich oder abzulehnen, sieht eine Mehrheit der Konsumenten dieser Medien das völlig anders. Während sich in den abendlichen Fernsehsendungen – in Nachrichten wie in Talkshows – und in zahlreichen Äußerungen von Politikern für mehr Waffenlieferungen ausgesprochen wird, gibt es im Volk dazu mindestens drei unterschiedliche Meinungsblöcke, wie etwa die Umfrage von RTL/ntv zeigt: ein Viertel unterstützt diese Position, ein Viertel ist dagegen und knapp die Hälfte erachtet die bisherige Unterstützung als „gerade richtig“. Diese unterschiedlichen Meinungen sind auch völlig in Ordnung. Aber warum spiegeln sie sich nicht in unseren Medien wider? In den meisten Talkshows wird allenfalls ein Vertreter eingeladen, der die Gegenmeinung vertritt und über den die drei oder vier anderen dann – meist mit Unterstützung der ModeratorInnen – herfallen. Die Kommentare, die Interviewpartner, die Berichte – fast alle zeigen in dieselbe Richtung.

Wie sollten wir in der Demokratie mit unterschiedlichen Meinungen umgehen?

Man sollte sich darüber auseinandersetzen, klar, das würde jeder antworten. Aber seltsamerweise geschieht das nur noch selten. An die Stelle der Auseinandersetzung ist in vielen Fällen der Schlagabtausch oder gar die Diffamierung getreten: wer den Andersdenkenden als „Putinversteher“ oder gar als „Putinknecht“ abtut, braucht sich nicht mehr mit dessen Meinung auseinanderzusetzen. Jedenfalls denkt er (oder sie) das.

Dazu ein Beispiel: ein Politikprofessor aus Köln twittert, dass schon der Begriff der „Eskalationsspirale“ reine Putinpropaganda sei. Wer also zu beobachten meint (und es dann ausspricht), dass sich Russland einerseits und die Ukraine und der Westen andererseits gegenseitig aufschaukeln und dadurch eine gefährliche Entwicklung in Gang gesetzt haben, die irgendwann nicht mehr kontrollierbar sein könnte – der betreibt angeblich das Spiel Putins. Ebenso der (oder die), der sich Sorgen um einen russischen Atomschlag und die möglichen Reaktionen macht – er hat eben nur Angst und spielt dadurch Putin in die Karten, der uns weichkochen will. Hier wird also nicht nur diffamiert, sondern es werden riesige Denkverbotsschilder aufgestellt! Und Druck ausgeübt, bestimmte Gedanken lieber gar nicht mehr zu äußern, um sich nicht unbeliebt zu machen.

Wie sollte die Politik mit den Umfrageergebnissen umgehen?

Die Allerweltsantwort auf diese Frage wäre: die Politik sollte sie ernst nehmen. Ja, und dann? Sollte sie vielleicht ihre eigene Position überprüfen? Darüber nachdenken, ob sie sich vielleicht verrannt hat, sich zu schnell auf Positionen festgelegt hat, deren Tragweite sie vor einigen Monaten nicht überblickt hat? Vielleicht eine Politik entwickeln, die die Ukraine weiter unterstützt, aber gleichzeitig mit aller Kraft auf eine diplomatische Lösung hinarbeitet?

Derzeit sieht es nicht danach aus, dass unsere Regierung dazu bereit wäre. Ein Teil ist so durchdrungen von seiner „Mission“, dass sogar die eigenen Wähler hintangestellt werden, (selbst „Volksaufstände im Herbst“ können da nicht schrecken). Ein anderer Teil mag davor zurückscheuen, weil man dann Fehleinschätzungen und Schwächen zugeben müsste, und vor allem, weil mächtige Verbündete erheblichen Druck ausüben würden (und die Macrons oder Helmut Schmidts sind selten geworden) Und teilweise spielt wohl auch eine Rolle, dass man dem Volk nicht allzu viel zutraut. Sogar in der Bewertung durch die Körberstiftung schimmert diese Haltung durch: „Die ´Zeitenwende` in den Köpfen der Menschen zu verankern … wird also Zeit brauchen.“ Mit andern Worten: Wir wissen, was richtig ist, Ihr habt es nur noch nicht verstanden.“

Es gibt ein historisches Beispiel, das zeigt, wo man mit einer solchen Haltung als Regierung schlimmstenfalls landen kann. Als die Regierung der DDR sich 1953 einer unerwarteten Aufstandsbewegung des eigenen Volkes gegenübersah, kommentierte Bertolt Brecht ironisch:

Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt.

Wäre es da nicht doch einfacher,

die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“

2 Kommentare

  1. Der Beitrag ist eine lehrreiche und treffende Analyse über die Diskussionskultur in unserem Lande. Ich befürchte nur,, dass die zunehmende Vergiftung des Diskussionsklimas hinsichtlich Ukrainekrieg gewollt sein könnte, um nichts mehr glaubwürdig und ethisch begründbar erscheinen zu lassen. Alle Argumente werden agressiv beliebig. Dem muss entgegengewirkt werde.

    Dieser Beitrag von AM ist wohltuend argumentativ.

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