Ukraine Krieg: Warnungen von Politikern seit Jahrzehnten

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Martin K. Burghartz

Von Martin K. Burghartz*

Der jüngst verstorbene Braunschweiger Regierungspräsident Karl-Wilhelm Lange wurde jetzt in einem Zeitungskommentar, vereinfacht ausgedrückt, als Träumer, der jetzt vor den „Trümmern seines Traumes“ stehe, bezeichnet. Unschärfen und Unterstellungen werden ihm vorgeworfen, weil der ehemalige Präsident des Bundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge 2018 in einem Brief von einem „neuen kalten Krieg, der allein den Interessen der USA/ NATO dient und die Kräfte der Versöhnung mit Russland durch Hochrüstung und Manöver an den russischen Grenzen sowie durch wirtschaftliche Sanktionen zu zerstören sucht“ schrieb.

Da empfiehlt sich als Ergänzung ein Brief von Lange vom April 2014 an den damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Er warnt darin schon damals vor der „Strategie der USA und der NATO, Russland und Putin als Alleinschuldige der Krise zu bezeichnen, beide zu Parias der europäischen und internationalen Politik zu machen, sie zu isolieren und sie zugleich politisch und wirtschaftlich zu destabilisieren.“ Und weiter warnte Lange vor den aus den Zeiten des Kalten Krieges bekannten Instrumenten der USA und der NATO mit einer Kombination aus wirtschaftlichen Sanktionen und militärischen Optionen die NATO unmittelbar an die russischen Grenzen heranzuführen. Er bittet in seinem Brief den Außenminister um weiter konstruktive Diplomatie, denn die Alternative laufe auf einen „großen Krieg in Europa aus, eine politisch nicht mehr beherrschbare europäische Katastrophe, deren unvorstellbare Lasten, Opfer und politische Folgen die europäischen Staaten in Ost und West alleine zu tragen hätten“.

Nun war der Braunschweiger Regierungspräsident vor rund acht Jahren ja nun wirklich nicht alleine. Das Ukraine EU-Abkommen wurde international vielfach von Politikern kritisiert: Das Freihandelsabkommen der EU (DCFTA) schließe intensive wirtschaftliche Beziehungen der Ukraine zu ihren bedeutendsten Wirtschaftspartnern in der von Russland geführten Zollunion weitgehend aus. Damit habe man der Ukraine nur ein „Entweder-oder“ angeboten, also die Ukraine nicht als Brücke zwischen der EU und Russland verstanden. Auf diese Weise habe man die derzeitige politische Krise in der Ukraine mitverursacht, so die mehrfache Kritik. Altkanzler Helmut Schmidt bezeichnete in einem Interview im Mai 2014 die Politik der EU-Kommission als unfähig und größenwahnsinnig. Sie mische sich in die Weltpolitik ein und provoziere damit die Gefahr eines Krieges. Die „Bürokraten in Brüssel“ hätten die Ukraine vor die „scheinbare Wahl“ gestellt, sich zwischen West und Ost entscheiden zu müssen. Der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen kritisierte, man habe bei dem sogenannten Euro-Maidan nicht gesehen oder sehen wollen, dass es sich weder um eine landesweite noch um eine homogene Bewegung handelte. Europäische Politiker hätten sich als „blind für die innenpolitischen Spannungen zwischen der Ost- und der Westukraine“ erwiesen. Verheugen weiter: „Weil europäische politische Eliten nur noch in Kategorien wie prorussisch und proeuropäisch denken konnten und den Konflikt statt den Dialog mit Russland bevorzugten, haben sie die schwerste Krise in Europa in diesem Jahrhundert mit ausgelöst. Ein Gutteil der Verantwortung dafür liegt in Berlin.“

Altkanzler Helmut Kohl äußerte am 12. März 2013 gegenüber Bild, die Aufbruchstimmung in der Ukraine sei nicht immer klug begleitet worden. Es habe es an Sensibilität im Umgang mit den russischen Nachbarn gemangelt, insbesondere mit Präsident Putin. Der heute mit einem völlig überzogenen Shitstorm verfolgte Altkanzler Gerhard Schröder kritisierte in der ZEIT 2014, die EU hätte beim Assoziierungsabkommen angesichts der kulturellen Teilung der Ukraine kein entweder oder formulieren dürfen. Ein Sowohl-als-auch wäre vernünftiger gewesen. Schröder verwies auch auf die nachvollziehbaren Einkreisungsängste der russischen Regierung angesichts der Entwicklungen der Vergangenheit. Und der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher forderte, an der Idee einer gemeinsamen Freihandelszone mit Russland festzuhalten: „Es wäre schön, wenn daraus etwas geworden wäre. Dann wäre die Frage der Assoziierung der Ukraine mit der EU möglicherweise anders eingeschätzt worden.“ Der SPD-Politiker Erhard Eppler kritisierte, dass die EU, als der Assoziierungsvertrag ausgehandelt wurde, nicht von sich aus Kontakt mit Russland aufgenommen hatte, weil niemand dafür zuständig gewesen sei. Nur ein europäischer Außenminister hätte diese Kompetenz haben können. „Alles deutet darauf hin, dass eine Einigung möglich gewesen wäre – etwa auf der Basis des Kissinger-Vorschlags: Die Ukraine darf mit der EU alles Mögliche abschließen, wenn sie keinem militärischen Bündnis beitritt.“

Der Politikwissenschaftler John Mearsheimer sah den Assoziierungsvertrag gar als Teil einer politischen „Dreierpackung“ (triple package of policies) des Westens aus NATO-Osterweiterung, Ausweitung der EU-Expansion und Demokratieförderung, die Öl in das erwartete Feuer goss. „Der Zündfunke kam im November 2013, als der ukrainische Präsident das Assoziierungsabkommen ablehnte und stattdessen das russische Gegenangebot von 15 Mrd. Dollar annahm. ZEIT Chefredakteur Theo Sommer kommentierte eine kritische Äußerung von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker als „Eingeständnis der Wahrheit, dass die Ukraine bei Lichte betrachtet ein failing state oder gar schon ein failed state sei, „ein marodes, kleptokratisches, von bestechlichen Bürokraten und milliardenschweren Oligarchen für ihre eigenen Zwecke ausgeplündertes Staatswesen.“ Die Politik der EU, die Ukraine ins eigene Lager zu ziehen, habe sich als falsch erwiesen. Nun komme es darauf an, Die Ukraine „wieder in das geschichtlich gewachsene Beziehungsgeflecht mit Russland einzuweben“

Diese Warnungen – wohlgemerkt alle aus einer Zeit vor 2015 – spielen aktuell weder in der Politik noch in der Medienberichterstattung eine Rolle. Angesichts des unentschuldbaren, völkerrechtswidrigen und grausamen Putin-Krieges mit unvorstellbaren Opfern mitten in Europa bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar. Aber die Frage, ob der Westen alles getan hat, um diesen Krieg zu verhindern, ist offen.

*Martin K. Burghartz ist PR-Berater und Kommunikationsmanager

Erstabdruck in der Braunschweiger Zeitung am 31.05.2022

1 Kommentar

  1. Der „Putinversteher“

    Dieser Meinungsartikel von Herrn Burghartz stand gestern in der Braunschweiger Zeitung. Die ersten zwei Leserbriefe dazu stehen heute in der BZ. Ein Brief nutzt erwartungsgemäß den Begriff des „Putinverstehers“.

    Es ist aus dem Burghartz-Artikel nicht erkennbar, warum er ein sog. Putinversteher sein sollte. Zu recht führt er die damaligen Problemfelder, Diskussionen und politischen Ergebnisse auf der Grundlage der damals handelnden Politiker auf. Die Frage, ob damals wirklich alles getan wurde, um eine zunächst wirtschaftliche Gemeinschaft unter Einbeziehung Russlands auf gleichberechtigter Ebene zu erzielen, gilt es immer noch zu beantworten. Vielleicht ist es im Diskurs nicht erwünscht zurückzublicken auf die Entwicklung des Krieges in der Ukraine und nutzt deshalb gerne den polemischen Begriff des Putinverstehers.

    Kriege entstehen nicht erst durch einen Überfall, sondern entwickeln sich – oft sehr langfristig. Wer eine Friedenspolitik tatsächlich möchte, muss die Entwicklung von Kriegen untersuchen und der Erkenntnis daraus im politischen Handeln Rechnung tragen. So war die Friedenspolitik von Willy Brandt angelegt. Und diese Politik ist nach wie vor richtig, auch wenn inzwischen die Friedenspolitik mit dem Begriff „Wandel durch Handel“ ständig zu Unrecht negativ besetzt wird. Es gibt gar keine Alternative, wenn man bereit ist längerfritig zu denken. Brandt und Egon Bahr waren Realpolitiker und setzten daher auf fairen Interessenausgleich der Völker, um Spannungen abzubauen. Auch im Disput mit China ist das der einzige Weg, um Kriege zu vermeiden.

    Der Begriff „Putinversteher“ wird gezielt als Kampfbegriff benutzt, um ernst zu nehmende Diskutanten mit einer Polemik zu überziehen. Dieser Begriff kommt nun mal aus der Schwäche der Argumentation. Ähnlich dem im Grunde positiven Begriff des „Gutmenschen“, der etwas Positives, nämlich das Gutsein ins Negative, ins Bösesein, verdrehen soll. Die Nutzer dieser verdrehten Wörter, sollten an ihrer Argumetationsschwäche arbeiten.

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