Erste Raddemo auf Autobahn in Niedersachsen

1
Die Abseil-Aktivist:innen mit Unterstützer:innen oben auf der Brücke, die Demo-Teilnehmenden darunter auf der A39. Motto: Gurt an für die Verkehrswende Fotos: Hans-Georg Dempewolf

Es war eine echte Premiere: die erste Fahrrad-Demonstration und Kundgebung in Niedersachsen auf einer Autobahn. Bisher, so hatte es das Oberverwaltungsgericht des Landes Niedersachsen 1994 beschlossen, waren Autobahnen dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit entzogen.

Das führte jahrzehntelang dazu, dass Autobahnen für Proteste gegen Autobahnen nicht genutzt werden durften. So auch im Juni 2021 im Rahmen eines bundesweiten Aktionstages gegen Autobahnbau . Mit großem Polizeiaufgebot wurden Raddemos auf kleineren Straßen begleitet, um Annäherungsversuche an die großen Magristalen der automobilen Gesellschaft zu verhindern (siehe hier). Allerdings hatte das Oberverwaltungsgericht schon im letzten Jahr im Zuge der juristischen Auseinandersetzung um diese Frage seinen früheren Beschluss aus dem Jahr 1994 gekippt. Dazu Mitorganisator Edmund Schultz: „Im Juni 21 hat das OVG Lüneburg entschieden, dass Fahrraddemos auf Autobahnen grundsätzlich zulässig sind. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit muss mit der Beeinträchtigung des Autoverkehrs abgewogen werden. Was liegt also näher, als eine Fahrraddemo auf einem Autobahnstück anzumelden, dass ohnehin für eine Versammlung gesperrt ist?“

Mit ein Anlass für die heutige Demonstration ist ein Strafprozess wegen einer ähnlichen, allerdings unangemeldeten Abseilaktion im Jahr 2021. Dieser findet am 11.4.22 um 9:30 Uhr am Amtsgericht in Helmstedt statt.

Das Demonstrationsverbot auf Autobahnen ist aber nun endgültig Geschichte. Schon am letzten Sonntag (3.4.) konnten Verkehrswende- und Klimaaktivistis über der umstrittenen A39 nördlich von Lüneburg Transparente aufhängen und sich dafür abseilen.

Heute gab es hier in Braunschweig die erste Demonstration und Kundgebung auf der A39.

Harald Walsberg (VCD Niedersachsen) bei seinem Redebeitrag auf dem Kohlmarkt

Start der Fahrrad-Demo war auf dem Kohlmarkt. Initiator Edmund Schulz eröffnete die Auftakt-Kundgebung und begrüßte die gut 300 Fahrrad-Aktiven, die sich bei kühlem, typischem April-Wetter dort versammelt hatten. Harald Walsberg vom VCD Niedersachsen erläuterte danach, was Verkehrswende eigentlich bedeutet und dass Elektromobilität eben nicht die Lösung und das Ziel dabei sein kann. Dieser Gedanke zog sich wie ein roter Faden durch fast alle weiteren Redebeiträge, die noch später auf der Kundgebung auf der A39 gehalten wurden.

Die Demo unterwegs auf dem Altewiekring Richtung Hauptbahnhof

Danach startete die Fahrrad-Demo, zog mit einigen Schleifen durch die Innenstadt, vorbei am Hagenmarkt zum Altewiekring vorbei am Hauptbahnhof und schließlich zur A39. Die Zahl der Teilnehmenden ist laut Initiatoren im Laufe der Demo auf 400 bis 500 angewachsen.

Auffahrt der Demo auf die A39

Nach kurzer Fahrt auf der Autobahn (bis zum Ziel Schwartzkopffbrücke waren es nur einige hundert Meter) begrüßte Mitinitiator Jörg Bergstedt die ankommenden Demo-Teilnemer:innen. Er freute sich sichtlich, dass dies die ersten Minuten einer echten Umnutzung von Autobahnen sind, zu denen nun noch sehr viele dazukommen werden.

Die Abseil-Aktivist:innen in Aktion

Zunächst kamen die Abseil-Aktivist:innen zum Zug und demonstrierten, wie so eine Aktion (Abseilen mit Transparent) abläuft. Alle Details, die akribische Überprüfung aller sicherheitsrelevanten Teile der Ausrüstung wurden ausführlich erklärt und dokumentiert. Am Ende hängt das Transparent, gesichert durch zwei abgeseilte Menschen, gut lesbar an der Brücke.

Die Demo-Teilnehmenden verfolgen die Abseilaktion und die Redebeiträge von der Autobahn aus. Neben gelegentlichen, kurzen Schauern gab es teilweise auch schöne sonnige Abschnitte

„VW ist heute das Kürzel für Verkehrswende“, so Edmund Schulz in seinem Redebeitrag. Er begründete einen notwendigen Umbau von VW: Für die Verkehrswende brauchen wir keine Autos für den Individualverkehr, sondern ganz viele Dinge für z.B. den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. „Warum müssen wir 3 Jahre auf die Lieferung einer Straßenbahn warten, weil die Hersteller überlastet sind? Warum werden solche Produkte nicht hier, z.B. bei VW produziert?“ Er bekräftigte auch nochmal die Forderungen der Verkehrswendeinitiativen: „Der Verkehrssektor soll endlich seinen Beitrag zu Klima- und Artenschutz leisten, statt auf E-Autos und 850 km neue tödliche Autobahnen zu setzen. Der Bundesverkehrswegeplan muss gestoppt werden. Keine Waldrodungen und keine neuen Autobahnen! Das heißt konkret hier bei uns: kein Ausbau der A39 und kein Großgewerbegebiet Scheppau.“

Auch Sebastian Wertmüller (ver.di) machte deutlich: „Wir brauchen eine Wende in der Klimapolitik und wir brauchen eine Wende in der Verkehrspolitik“. Ohne einen Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs geht das einfach nicht. Wertmüller wies insbesondere darauf hin, dass soziale Verbesserungen der Beschäftigten im ÖPNV dringend notwendig sind. So werden wegen schlechter Arbeitsbedingungen oder schlechter Bezahlung Fahrerinnen und Fahrer von anderen Firmen abgeworben. Ein Ausbau des ÖPNV sei so kaum zu machen. Er lies aber auch keinen Zweifel daran: trotz der Dringlichkeit der Verkehrswende und des Ausbaus des ÖPNV gibt es viel Widerstand dagegen. Widerstand in der Politik, Widerstand in der Wirtschaft, aber auch Widerstand in der Bevölkerung.

Nach einer guten Stunde und einer Reihe weiterer Redebeiträge wurde die Kundgebung auf der Autobahn beendet und klang mit einem „Abseil-Fest“ ganz in der Nähe neben der Autobahn aus.

1 Kommentar

  1. In der Realität sieht die Verkehrswende so aus, dass z.b. der Zwecklosverband Großraum Braunschweig seit 30 Jahren die RegioStadtBahn, später als Regiobahn2014 plus angekündigt hat und außer dem „plus“ (xx Jahre) und warmer Luft nicht viel passiert ist.
    Es wurden reaktivierte/neue Haltepunte in Leiferde, Bienrode, Wendeburg und bei der Weststadt angekündigt und nicht gebaut. Es wurde in Wendessen ein reaktivierter Haltepunkt angekündigt und nicht gebaut.

    Der langfristige Umbau von Hauptbahnhof und Bahnhof Gliesmarode ist faktisch ein Rückbau hinter schöner Fassade. Bei jeder „Modernisierung“ wurden in der Regel Gleise, Weichen und Bahnsteige zurück gebaut , Blocksignalabstände verlängert, Ortspersonal eingespart und damit Kapazitäten verringert.
    Beim Güterverkehr sieht das noch viel schlimmer aus, Anschlussgleise und Rangierbahnhöfe existieren bei den meisten Unternehmen in der Region nicht mehr, die nötige Bahninfrastruktur für ein Güterverkehrsaufkommen ist verschwunden.
    Glauben Sie nicht? Schauen Sie sich einfach mal im Stadtgebiet an, wo noch Gleisanschlüsse sind und ob die noch betrieben werden. Die können Sie mit einer Hand abzählen, nämlich das HKW Mitte, der Hafen, die Müllkippe Watenbüttel (sowie Logistikzentrum Harvesse), VW-Werk, evtl noch Mühle Rüningen (ohne Gewähr).
    Sie brauchen für alles was von der Straße und den Produzenten auf die Bahn soll Laderampen, Verladeanlagen und Gleise zum Rangieren bzw. für die Zugbildung. In Gegenrichtung für die Lieferung zu Kunden wie Großmärkte und Industriebetriebe natürlich auch. Das ist alles verschwunden, das westliche Ringgleis ist in dieser Hinsicht eine gute Informationsquelle, auch wenn man nicht mehr jede Firma mit ehemaligen Gleisanschluss sieht, kann ich sagen, dass es sehr viele waren…. Marienberger Mosaikplattenwerk, Luther-Werke, Mühle Lehndorf, Bühler-Miag, Großmärkte Celler Straße, Hildesheimer Straße, Pippelweg, weitere Stahlbau-Betriebe, Lager, Kohlehändler, Holz, Schrott, am alten Bahnhof waren u.a. Karges-Hammer, Wilke-Werke, usw. mit Gleisen bis Ende der 1980er angeschlossen.

    Die Güterabfertigung im Hauptgüterbahnhof ist dem Straßenbahnbetriebshof gewichen, die anderen früheren Verladegleise und Anlagen sind bis auf eine Containerladestelle weitgehend verwaist und rückgebaut.

Schreibe einen Kommentar zu rad ab? Antwort abbrechen

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.