Altstadtrathaus: Ein Kontrapunkt zur Welfen-Verherrlichung

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Kuratorin Heidemarie Anderlik (links) stellte die Ausstellung „Zwischen Herzogtum und Freistaat. Braunschweigs Weg in die Demokratie“ im Altstadtrathaus vor. – Foto: Marcus von Bucholz

Es dauerte keine zwei Jahre, bis der nationale Überschwang der Ernüchterung angesichts bitterer Wirklichkeit wich. Schon 1916 waren weite Teile der deutschen Bevölkerung kriegsmüde – die Soldaten in den Schützengräben sowieso, ihre Familien in der „sicheren Heimat“, Zivilisten, KriegsarbeiterInnen, politische Kreise ebenso.

„1916 wußte man, was passiert ist, aber nicht, was wird“ charakterisiert Kuratorin Heidemarie Anderlik vom Städtischen Museum Braunschweig die Stimmung eines Volkes zwischen Hoffen und Bangen, Entbehrung und beginnendem Hunger. In Feldpostbriefen, Fotos, Karten, seltenen Filmdokumenten und politischen Dokumenten aus jener Zeit hat sie mit ihrem Team im Altstadtrathaus die kleine, aber nachdenkenswerte Ausstellung „Zwischen Herzogtum und Freistaat. Braunschweigs Weg in die Demokratie“ gestaltet. Was der Titel nicht erkennen lässt, aber ebenfalls in den Fokus rückt, ist die ganz persönliche Auseinandersetzung der „normalen“ Soldaten, der kleinen Bürger, der Zivilgesellschaft mit dem ersten Maschinenkrieg der Weltgeschichte, in dem es keine heroischen Helden, sondern nur noch millionenfach namenlose Tote gab.

 

Sanitäter Heinrich Hamann aus Jerxheim überlebte „die große Völkermühle“ nur um neun Jahre. – Foto: Leihgabe Paul Luttmann, ©Foto: Dirk Scherer

Während Firmen wie Büssing und Voigtländer als Kriegsgewinnler ihre Umsätze vervielfachten, mussten sich Millionen junger Männer „für Gott und Vaterland“ an Marne und Somme opfern oder psychisch und körperlich verstümmeln lassen. Beispielhaft erzählt die Ausstellung das Schicksal des Frontsanitäters Heinrich Wilhelm Adolf Hamann aus Jerxheim, der im Zivilberuf als Krankenpfleger der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Königslutter arbeitete. Er überlebte das seelenlose Gemetzel an der Westfront und kehrte 1918 verhärtet und innerlich zerstört zu seiner Familie zurück, mit der er „nichts mehr anfangen“ konnte. 1927 starb er. Seine Witwe hat seinen Tod nie erklärt, sondern nur gesagt: Er starb an den Kriegsfolgen.

 Auch die politische Seite des Ersten Weltkriegs wird beleuchtet. Nach dem Aufruf von Kaiser Wilhelm II. („Ich kenne keine Parteien mehr. Ich kenne nur Deutsche!“) hatten auch die Sozialdemokraten, 1914 größte Fraktion im Reichstag, dem Kriegsermächtigungsgesetz zugestimmt. Anderlik: „Abweichler von diesem Kurs wie Minna Fasshauer wurden aus der Partei ausgeschlossen.“ 1916 spaltete sich die USPD um Kriegsgegner Karl Liebknecht von der fortan MSPD genannten Partei um Friedrich Ebert ab. Als die Opposition gegen das Schlachten lauter wurde, zog die Reichswehr gezielt Gewerkschafter, Oppositionelle und missliebige Intellektuelle zu den Waffen ein – zur zynischen „Vernichtung im Felde“.

Ohne den umfangreichen Katalog oder eine Führung erschliesst sich die Ausstellung nicht jedem Besucher. – Foto: Klaus Knodt

Um der Kriegsmüdigkeit entgegen zu wirken, setzte das Kaiserreich in seiner Abenddämmerung erstmals professionell das neue Medium Film ein. In einem extra aufgebauten Mini-Kino im Altstadtrathaus zeigt das Museum diese Propagandastreifen: Für Titel wie „Fürstliches Familienglück“ oder „Bei unseren Helden an der Somme“ wurde von General Ludendorff eigens die spätere Gesellschaft UfA gegründet. Kontrapunktisch entgegen gestellt wird dem „Die Legende vom toten Soldaten“ (Berthold Brecht).

Die Ausstellung erschliesst sich aufgrund der Fülle des überwiegend schriftlichen Materials nicht durch den einfachen Rundgang. Wer sich dem Thema vertiefend nähern möchte, sollte unbedingt den umfangreichen Ausstellungskatalog erwerben.

Schon die Reichswehr setzte auf Massenpropaganda. Mit solchen Projektoren wurde Kriegsverherrlichung unter das Volk gebracht. –  Foto: Marcus von Bucholz

Als Begleitprogramm bietet das Städtische Museum donnerstags und sonntags jeweils um 15 Uhr Führungen durch die Ausstellung an. Führungen für Gruppen und Schulen sind nach Voranmeldung auch außerhalb der Öffnungszeiten möglich. Filme zur Geschichte des Ersten Weltkriegs werden am 19. und 26. November um 13 Uhr gezeigt, weitere Termine werden bekannt gegeben.
 
Für Schulklassen der Stufen 7 und 8 gibt es auf Anfrage ausstellungsbegleitende Arbeitsmaterialien. Weitere Informationen gibt es unter der Telefonnummer (05 31) 4 70 45 04 oder per E-Mail an martin.baumgart@braunschweig.de.

 

 

 

1 Kommentar

  1. In diesem Artikel fällt doch einiges auf: der Einladungsflyer spiegelt noch die eigentliche Zielsetzung der angedachten Ausstellung, nämlich „Sonst geht’s uns gut. Braunschweiger Biografien 1916“. Sie sollte Auftakt und Hinleitung zu den Aktivitäten in 2018 sein sollen. So jedenfalls war es den Referaten zu entnehmen.
    Biografien jener Jahre hätten den Menschen, die gegen das Dreiklassen-Wahlrecht, den alles beherrschenden Militarismus und für die Beendigung des Krieges kämpften, den ihnen gebührenden Platz in einer solchen Ausstellung geben müssen. Die Ankündigung des Flyers erfüllte die Ausstellung nicht. Die Nicht-Präsentation der handelnden Protagonisten im vorrevolutionären Braunschweig unterschlägt die bewußt handelnde Arbeiterschaft, ihre Unterdrückung, ihre Forderungen und Ziele. Eine Chance, die stolze Seite Braunschweiger Geschichte darzustellen, wurde vertan.
    Interessant wäre auch, die Quelle zu erfahren, derzufolge Minna Faßhauer aus der SPD ausgeschlossen worden sein soll, wie hier behauptet wird. Richtig ist, daß sie mit der Mehrheit der kämpfenden organisierten Braunschweiger Arbeiter*innenschaft in die neugegründete USPD eintrat, weil sie die Politik von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht unterstützte. Dort war sie friedenspolitisch aktiv bis hin zur Novemberrevolution, mit der der Krieg beendet wurde. Ihre Verdienste würdigte der Arbeiter- und Soldatenrat, indem ihr das Volkskommissariat für Volksbildung – entsprechend des Kulturministeriums – übertragen wurde, der ersten Frau in einem Ministeramt Deutschlands. Auch hier: vertane Chance.

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