Ab Oktober droht Alkoholkranken die Polizeizelle

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Alkoholiker in der Fußgängerzone. In Braunschweig sollen sie künftig nicht mehr behandelt, sondern eingesperrt werden. Foto: pixabay/honorarfrei

Städtisches Klinikum kapituliert vor zu vielen Partyleichen

Zwischen 500 und 600 Alkoholkranke jährlich suchten vor 12 Jahren wegen akuter Suchtprobleme das Städtische Klinikum Braunschweig auf oder wurden dorthin eingewiesen. Im vergangenen Jahr mußte die Klinik fünf Mal so viel, nämlich 2700 alkoholisierte Menschen behandeln – und kapituliert jetzt vor der Aufgabe. Deshalb sollen „Partyleichen“ ab Oktober ihren Rausch regelmässig in der Polizeizelle ausschlafen.

Polizei, Feuerwehr, Klinikum und Erster Stadtrat Christian Geiger (CDU) stellten unter dem Titel „Modellprojekt Zentrale Ausnüchterungseinheit“ den Rückschritt in der Behandlung Suchtkranker als Fortschritt dar. „Ziel ist es, künftig nur diejenigen alkoholisierten Patienten im Krankenhaus zu behandeln, die auch eine medizinische Therapie benötigen. Personen, die lediglich ausnüchtern müssen, sollen dies unter ärztlicher Überwachung im Polizeigewahrsam tun“, so Geiger. Wer welchem Personenkreis zuzuordnen ist, obliege „der Ersteinschätzung durch den Rettungsdienst“. Im Polizeigewahrsam angekommen, soll auch noch ein Mediziner einen Blick auf die ProbandInnen werfen.

Stellten die Pläne für die neue „Ausnüchterungseinheit“ bei der Polizei vor (v.l.): Polizeiinspektions-Leiter Axel Werner, Erster Stadtrat Christian Geiger, Klinikums-Direktor Thomas Bartkiewicz und Feuerwehr-Fachbereichsleiter Torge Malchau. Foto: Klaus Knodt

Statt Kaffee, Brötchen und dem Gespräch mit einem Suchttherapeuten am verkaterten nächsten Morgen erwartet schwer alkoholisierte Personen in Zukunft eine Rechnung der Polizei über 70,- Euro für die „Polizeihotellerie“ (Fachbereichsleiter Feuerwehr Torge Malchau). Um dem erwarteten Ansturm von ca. 14 KlientInnen täglich auch medizinisch gerecht zu werden, wird in der „Zentralen Ausnüchterungseinheit“ an der Friedrich-Voigtländer-Straße an 118 Tagen im Jahr ein Arzt zu den Party-Kernzeiten (freitags, sonnabends, an Feiertagen) und an „Eventtagen“ wie Magnifest, Silvester oder Karneval stationiert. Kosten: rund 60.000 Euro im Jahr und damit erheblich billiger als die räumliche oder personelle Aufstockung der suchtmedizinischen Notfallstation im Städtischen Klinikum.

Letztere profitiere von der Neuregelung, so ihr Ärztlicher Direktor Dr. Thomas Bartkiewicz. Der Mediziner: „Ich gehe davon aus, dass rund die Hälfte der Personen, die bisher im Klinikum behandelt werden, im Polizeigewahrsam ausreichend aufgehoben sind“. Er beklagte auch die „zunehmende Gewalt“ der eingelieferten Alkohol-Patienten: „Es gab Übergriffe auf Klinikpersonal und andere psychiatrische Patienten.“ Im vergangenen Jahr sei sogar eine Ärztin gewürgt worden. So bedeute das neue Konzept „mehr Schutz vor eskalierenden Situationen“ und „mehr Zeit für Menschen, die die Hilfe einer psychiatrischen Klinik benötigen“.


Die Suchtstation des Städtischen Klinikums in der Salzdahlumer Straße. Ihre Kapazität ist inzwischen erschöpft. Foto: Klaus Knodt

In der Pilotphase des „Modellprojekts“ entscheidet der abgestellte Arzt im Polizeigewahrsam, welcher Alkoholpatient aufgrund weiterer gesundheitlicher Probleme (Atemnot, Bewußtlosigkeit, Organversagen etc.) dann mit dem Rettungswagen trotzdem in die Klinik transportiert werden muss. Axel Werner, Leiter der Polizeiinspektion Braunschweig, ist sich sicher: „Falls alkoholisierte Personen aggressiv werden, ist die Polizei der bessere Aufbewahrungsort für die“. Man habe für solche Fälle „geschultes Personal“. Dass aufgegriffene Betrunkene aggressiver werden, wenn sie statt in einen Rettungswagen in eine grüne Minna steigen sollen, befürchtet Werner nicht: „In alkoholisiertem Zustand reflektieren die doch gar nicht mehr, wohin man sie verbringt“.

Minderjährige TrinkerInnen sollen während der Laufzeit des „Modellprojekts“ von einer Polizeiunterbringung ausgenommen werden, zumindest wenn sie noch nicht ganz so erwachsen sind. Bei 16- und 17-Jährigen entscheidet der Beamte vor Ort nach eigenem Gusto.

Der Reporter fragt, ob die künftig geplante Unterbringung von Alkoholkranken im Polizeigewahrsam nicht die Gefahr birgt, diese zusätzlich zu stigmatisieren und zu kriminalisieren, wenn man z.B. bei ihrer Durchsuchung kleine Mengen an Betäubungsmitteln findet. Polizeichef Werner: „Wir reden hier über Menschen, die die Ursachen ihres Verhaltens selbst gesetzt haben. Das Risiko, mit Drogen oder auch Waffen aufgegriffen zu werden, trägt jeder selbst.“

Erster Stadtrat und Rettungsdienst-Dezernent Christian Geiger (CDU) stimmt dem zu: „Wenn Jemand gegen Regeln verstößt ist das nicht Sache derer, die diese Verstöße entdecken.“

3 Kommentare

  1. „Zwischen 500 und 600 Alkoholkranke jährlich suchten vor 12 Jahren wegen akuter Suchtprobleme das Städtische Klinikum Braunschweig auf oder wurden dorthin eingewiesen. Im vergangenen Jahr mußte die Klinik fünf Mal so viel, nämlich 2700 alkoholisierte Menschen behandeln – und kapituliert jetzt vor der Aufgabe“, so schreibt Herr Knodt im Beitrag.

    Wenn das so stimmt, dann ist doch dringend die Frage zu stellen, warum ein so starker Anstieg der alkoholbedingt Eingelieferten im vergangenen Jahr. Was ist da los in Braunschweig? Da sollten sich doch mal die Sozialdezernentin und die Drogenbeauftragten äußern.

    Oder ist die Drogenpolitik in ihren Widersprüchen durcheinander gekommen? Alkohol als Droge wird gern geduldet und befördert von der Stadt; siehe Magnisfest, Karneval, versteckte Wolters-Subventionierung. Bei Besitz von Cannabistee kommt man wochenlang in den U-Knast, bei fünf Cannabispflanzen im Garten geht´s ab in den Bau Die Spielbank ist hoch willkommen – trotz der endlos Spielsüchtigen, oft bis zu Selbstmord.

    • Zunächst mal ist die Ausnüchertungszelle absolut nichts neues, da saßen schon vor 30 Jahren meine ehemaligen Kumpels drin.
      Irgendwie habe ich das Gefühl, dass hier etwas als neu verkauft werden soll, was es schon seit Jahrzehnten gibt. Es gibt sogar ne Doku in Youtube, wo vor Jahren schon jemand in der Voigtländer eingeliefert wird.

      Es gibt immernoch einen Unterscheid zwischen Suchtkranken, die gehen in der Regel von sich aus zur Entgiftung in die Klinik bzw. Therapie, weil sie das Problem los werden wollen, und andererseits eben „nur“ völlig Betrunkene, die zwangsweise eingeliefert werden, weil sie im öffentlichen Raum sich und andere durch ihren Zustand gefährden, den Rausch ausschlafen sollen. Bei Beiden gibt es eine hohe Überschneidung, aber die Betrunkenen sind sich eben entweder noch nicht bewusst dass sie ein Suchtproblem haben oder ignorieren es, sind nicht am persönlichen Tiefpunkt angelangt. Es gibt aber auch Betrunkene, die nur ein mal richtig gesoffen haben und dann eben so abgestzürzt sind, dass sie eingeliefert werden müssen.

      Das Trinkverhalten hat sich geändert, wo früher die Leute in die Kneipen um die Ecke gegangen sind und irgendwie wieder nach Hause kamen gibt es heute nichts mehr. Andere haben daheim gesoffen und sind dann direkt da „ins Koma“ gefallen.
      Seit ca 20 Jahren sieht man vermehrt aber welche, die sich öffentlich im Umfeld vor Discountern und Kiosk mit Billigfusel die Kante geben, da dann umkippen und dann Hilfe benötigen. Auch unter den Rathaus-Arkaden sieht man jeden Tag deratige Schnappsleichen.
      Am Wochenende kommt dazu eine neue Party-Generation, die neben Alkohol sicher auch noch andere Drogen konsumiert, enthemmter und gewaltbereiter als die früheren Generationen sind, wobei reine Alkoholiker von sich aus auch schon aggressive Schläger sein können.
      Ich denke aber auch, dass durch Computerspiele und Actionfilme mit Gewaltszenen die Hemmschwelle für eine Gewaltausübung auch gesunken ist

      Ich hab da gerade in meinem Umfeld einen, der wegen seiner Alkoholsucht schon mehrmals zur Entgiftung war, aber immer wieder anfängt zu saufen. Erst sagt er, er sei trocken, dann sieht man ne Bierdose in der Hosentasche, er behauptet es sein für nen Bekannten, Tage später sitzt er dann wieder volltrunken auf ner Bank oder Mauer. Dann sagt er, er hätte angeblich nen Therapieplatz in Ringelheim (Suchtklinik Erlengrund), nur zum angegegeben Zeitpunkt meinte er dann was anderes machen zu müssen und man sieht ihn weitersaufen.

      Co-Abhängigkeit sollte man auch nicht unterschätzen, das sind Familienangehörige, Ehepartner, Bekannte, Leute mit Helfersyndrom, die das Suchtverhalten des Partners oder Freundes billigen und die ganzen Auswirkungen vertuschen und selbst daran mit zugrunde gehen.

      Dank Corona sieht man derzeit vor der Drogenberatungstelle das ganze richtige Elend, die Junkies müssen nämlich offensichtlich zur gleichen Uhrzeit kommen und stehen vor dem Gebäude Schlange um auf ihre Ersatzdroge zu warten. Das sind dann durchaus mal 30-50 Leute, die da rumlungern; Und die die wieder raus gehen treffen sich beim Löwenwall, Windmühlenberg oder der näheren Umgebung, nochmal 30-50 kaputte Junkies um 10 Uhr vormittags mit der Buddel Schluck am Hals, also mehrfachsüchtig. da gehts dann auch schon mal rauh zu oder man sieht so nen elendigen Kaputten, der mit der Bierdose auf dem Boden sitzt was von „will nicht mehr“ faselt.
      Da bitte nen großen Bogen drum machen, jeder der denen noch hilft ist selbst schuld, wenn er später noch ausgenutzt, belogen und beklaut wird. Traue keinem Junkie, der beklaut und verkauft seine eigene Mutter für die Droge.

      Ja, das sind alles Dinge, die man in der gut behüteten Gesellschaft nicht kennt, nicht sieht und sich auch nicht damit beschäftigen will – es sei denn man hat so nen Fall in der eigenen Familie, dann macht man aber auch vieles falsch.

  2. Ausnüchterungszellen hat es bei der Polizei schon seit vielen Jahren gegeben, denn Volltrunkene und Randalierer gehören nicht in ein Krankenhaus.
    Alkoholiker, die ihre Sucht einsehen, gehen freiwillig in den Entzug. Wenn sie es geschafft haben, können sie auch ganz entspannt mit Anderen darüber reden. Ich habe noch nie einen gehört, der mal sagte: „Ich war mal Alkoholiker, sondern immer, ich bin trockener Alkoholiker.“
    Einfacher ist es natürlich über Gesetze und Polizei zu schimpfen.

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