Von Reinhard Faudt
Das gab es wohl so noch nie, dass junge wirtschaftsliberale Abgeordnete der Union ihrem Kanzler, der ihre neoliberale Orientierung eigentlich teilt, die Gefolgschaft öffentlich aufkündigen und dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Rentenpaket ihr Veto entgegen setzen: Der Gesetzentwurf sei „in seiner jetzigen Form nicht zustimmungsfähig“, hieß es in einem Beschluss der Gruppierung, weil die Stabilisierung des Rentenniveaus von 48% bis 2031 und darüber hinaus Milliarden kosteten und „gegenüber der jungen Generation nicht zu rechtfertigen“ sei.
Sofort stimmten „Wirtschaftsverbände“ (präziser: die Lobbyorganisationen der Arbeitgeber) und Wirtschaftsjournalisten der großen Zeitungsverlage in den Chor der 19 Jung-Unionisten ein, als hätten sie nur darauf gewartet. Es sieht nach einer konzertierten Aktion aus, denn unter anderen Umständen hätte man den Abweichlern kein so großes mediales Forum geboten und ihnen die Fraktionsdisziplin mit ihren Konsequenzen verdeutlicht, was künftige Karriere und Kandidatenaufstellung betrifft.
Schon seit vielen Jahren schlagen arbeitgebernahe Institute und Experten (besonders die sog. „Wirtschaftsweisen“) die Kriegstrommeln gegen die angeblich zu hohen Sozialkosten. Und nun, wo die Wirtschaft in eine Energie- und Absatzkrise geraten ist, trifft ein gigantisches schuldenfinanziertes Paket für Aufrüstung und Infrastruktur auf eine anstehende Reform des Sozialstaats und der Rente.
Es wird fälschlich unterstellt, dass die Generation der Jungen eine immer älter werdende und zahlenmäßig wachsende Zahl von Rentnern alimentieren müsse und das Umlageverfahren der Rente an seine Grenzen bringe. Der Generationenkonflikt wird daher von den Lobbyisten der Finanzbranche gern drastisch ausgemalt und vor einer wachsenden Milliardenlast zur Stützung der Rentenkasse gewarnt. In Wahrheit aber wird in demagogischer Weise Angst vor Altersarmut, sozialer Unsicherheit und finanzieller Überforderung bei den jüngeren Generationen geschürt, um sie als künftige Kunden für private Absicherungsverträge zu gewinnen. Warum wirkt diese Argumentation bei vielen offenbar überzeugend?
Was sind die „schlagendsten“ Argumente der Rentenkritiker und warum finden sie so viel Resonanz, auch wenn sie ernsthafter sachlicher Kritik nicht standhalten?
- Es wird eine bildhafte Verzerrung der angeblichen Generationenungerechtigkeit propagandistisch verbreitet, indem an Stelle von differenzierten Finanzströmen ( Einzahlungen und Leistungen) ein Personen-Verhältnis (Erwerbstätige und Rentner) erzählt wird: Immer weniger Erwerbstätige müssten immer mehr Rentner „ernähren“, was auch der Dümmste verstehen kann, aber grob falsch ist: Denn nur ein Teil der Erwerbstätigen finanziert im Umlageverfahren die jetzigen Rentner, die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, und nur bis zu einer bestimmten Einkommenshöhe! Alle Besserverdiener sind raus. Und die jungen Unionsabgeordneten werden sicher nicht davon träumen, später zu dieser Gruppe zu gehören, ihre Karriereaussichten (Junge Union, Uni, Abgeordnete und danach Job in der Wirtschaft oder in Kanzleien) werden wohl nicht dazu führen, in die Rentenkasse einzahlen zu müssen.
- Die demografische Entwicklung führe dazu, dass eine wachsende und älter werdende Rentnergeneration von einer immer kleineren Zahl von Erwerbstätigen finanziert werden müssten, dass somit die Alten auf Kosten der Jungen leben.
Weil die geburtenstarken Jahrgänge („Boomer“ genannt und damit schon begrifflich als Sündenböcke gekennzeichnet) angeblich bald in Rente gehen (obwohl sie das schon seit 6 Jahren tun) und nicht genügend junge Leute in Arbeit kommen, werde die Rente angeblich bald unbezahlbar. Das Argument gewinnt bildlich an Schlagkraft, wenn man unterstellt, bald würden (2030) nur noch 1,5 Arbeitnehmer einen Rentner finanzieren (IW Köln).
O Schreck, denken junge Leute, dann wird ein riesiges Stück meines Einkommens für die Generation der Alten weggenommen? Muss ich bald fast einen ganzen Rentner finanzieren? Und die Rentner fürchten Altersarmut oder bekommen ein schlechtes Gewissen gegenüber den Jüngeren. Dieser Zwist der Generationen ist argumentativ beabsichtigt, der behauptete Konflikt zwischen den Alten und den Jungen soll politischen Druck auf die Regierenden ausüben.
Was ist daran falsch oder mindestens tendenziös?
Es ist schlicht die Unwahrheit, dass nach 2030 die Boomer-Generation das Generationenverhältnis bei der Rente umkippen lässt, wie folgende Darstellung der Rentenversicherung zeigt:
„Im Mai 2023 veröffentlichte die DRV eine Untersuchung, die aus den Erfahrungen seit 1957 erklärte: „Die Demographische Belastung steigt… aber weniger als in der Vergangenheit!“ Darin wird ausgeführt:
„Es ist allerdings nicht so, dass mit dem Renteneintritt der Babyboomer ein Belastungsanstieg einhergeht, wie ihn unsere Gesellschaft noch nie erlebt hat. Der bis 2040 zu erwartende Anstieg der demographischen Belastung ist nach der aktuellen Vorausberechnung keineswegs beispiellos. Im Gegenteil: In der Vergangenheit hat die Bundesrepublik Deutschland bereits mehrfach vergleichbare Phasen erlebt – teilweise hat sich die demographische Belastung innerhalb von zwei Jahrzehnten sogar noch stärker erhöht als das für die Zeit von 2020 bis 2040 zu erwarten ist.“[1]
Erstens lässt sich die demografische Entwicklung nicht präzise voraussagen (Migration, Sterblichkeit, Krisen, Geburten), zweitens ist die demografische Entwicklung allein gar nicht entscheidend,sondern:
– der Anteil sozialversicherungspflichtiger (Vollzeit-)Beschäftigung an den Erwerbstätigen, der tendenziell sinkt
-die wirtschaftliche Produktivität und die Verteilung ihrer Erträge, auch die Automatisierung wirft Fragen nach einer Wertschöpfungsabgabe auf, wenn immer mehr Arbeit durch Automaten und KI ersetzt wird
-die Erwerbsbeteiligung von Frauen, wobei beitragsfreie Erziehungszeiten durch Steuermittel ausgeglichen werden müssten, nicht durch die Rentenkasse
-die privaten und betrieblichen Altersversorgungen,
-die Lohnentwicklung und der Arbeitsmarkt, Höhe der Arbeitslosigkeit
-die zusätzlichen Leistungen, die der Staat der Rentenkasse auferlegt (versicherungsfremde Leistungen)
Die Rente wird seit Jahren systematisch kaputt reformiert
Hinzu kommt auch die gesetzliche Ausgestaltung des Rentensystems: Die Beitragsbemessungsgrenzen (höhere Einkommen dürfen sich privat versichern, zahlen nicht in die Rentenkasse), das Renteneintrittsalter und die Rentenversicherungspflicht sowie das Rentenniveau, das auf Druck der Lobbyisten in den letzten Jahrzehnten von über 55% in den 1970er Jahren auf 47,7% im Jahr 2015 abgesenkt wurde und inzwischen bei 48% bis 2031 stabilisiert wurde, was Teile der Union kritisieren.
Politiker, Beamte, Richter, Soldaten und bestimmte Selbständige wie Ärzte, Anwälte und Architekten zahlen ebenfalls nicht in die Rentenkasse (gilt auch für die Krankenversicherung) ein. Dabei handelt es sich im statistischen Mittel um deutlich höhere Einkommen, die im Falle einer allgemeinen Rentenversicherungspflicht 18,6 % (davon die Hälfte vom Arbeitgeber) in die Rentenkasse einzahlen würden. 18% von 5000 Euro bringen der Rentenkasse mehr als 18% von 1500 Euro.
Darum fordern viele Bürger: Macht aus der Rentenversicherung eine echte Bürgerversicherung, in die ALLE einzahlen müssen.
Das sei doch eine Milchmädchenrechnung, heißt das Gegenargument der Rentenkritiker: Alle, die einzahlen, müssten später ja auch wieder eine Rente beziehen, oder?
Klingt erstmal überzeugend, aber ignoriert folgende Fakten:
Unter Kanzler Schröder (SPD) ist in Deutschland der europaweit größte Niedriglohnsektorentstanden und niedrige Löhne finden sich meist in sozialversicherungspflichtigen Jobs. Hinzu kommen zu niedrige Lohnabschlüsse der letzten Jahre, immer mehr Teilzeit- und prekäre Jobs, was zu niedrigeren Einzahlungen in die Rentenkasse führt.
Allgemein kann man folgende Trends beobachten:
- Der Anteil aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (inklusive Teilzeit) lag 2019 bei 74 Prozent.
- Der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Vollzeit sinkt tendenziell.
- Die Teilzeitquote steigt leicht an.
- Der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Alter ab 55 Jahren steigt jedoch.
Weil nur die in die Rentenkasse einzahlen, die überwiegend weniger verdienen und oft prekärer beschäftigt sind als diejenigen, die sich oberhalb der Bemessungsgrenze privat versichern dürfen, hat die Rentenkasse tendenziell ein Problem.
Obwohl: eigentlich würde unser Rentensystem selbst mit diesen Bedingungen immer noch ganz gut funktionieren, wenn nicht folgender „Betrug“ jährlich stattfinden würde:
Der staatlich organisierte Betrug an der Rentenversicherung:
Politiker der jeweiligen Regierung erklären uns gern, die Rentenbeiträge reichten nicht aus, um alle Renten zu bezahlen, deshalb müsse der Staat jedes Jahr einen größeren Anteil aus dem Haushalt in die Rentenkasse zahlen, wenn die Beiträge nicht erhöht werden sollen.[2] Und die Journalisten der Leitmedien schreiben dann Warnungen vor dem „Kollaps der Rentenversicherung“ oder aktuell „Schwarz-Rot streitet über das Rentenpaket“, wobei schon das Wort „Streit“ eine die Sache abwertende Bedeutung suggeriert und das Wort „Paket“ Geschenke-Assoziationen weckt. Die Finanzlobby trägt ganz dick auf: „Rentenversicherung dominiert Bundeshaushalt: Fast jeder vierte Euro fließt in die Rente“. Dabei werden Steuermittel und die Versicherungsbeiträge einfach dreist zusammengerechnet, Äpfel und Birnen!
So geht Journalismus heute!
Wie sind aber die Fakten? Bei Spiegel-Online konnte man im Februar dieses Jahres ganz anderes lesen:
„Über die Finanzierung der gesetzlichen Rente in Zukunft gibt es erbitterten Streit. Die Zuschüsse aus Steuergeld fielen zuletzt verhältnismäßig jedoch geringer aus als noch 2004. Auch gemessen an der deutschen Wirtschaftskraft gab der Bund weniger für die Rente aus: 2004 waren es 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, 2023 dann noch 2,0 Prozent.“ (21.02.2025)
Der größte sozialpolitische Betrug: Die Rentenkasse wird von der Regierung geplündert für Leistungen, die aus Steuermitteln bezahlt werden müssten: Teil 2 folgt !
[1] https://renten-zukunft.de/rentenzukunft-broschuere-2025-babyboomer-keine-kostenexplosion/
ebenso: https://overton-magazin.de/top-story/die-rentner-sind-immer-zu-teuer-egal-wie-billig-sie-sind/
[2] Im Jahr 2024 wurden dafür rund 117 Mrd. Euro bereitgestellt, das entspricht in etwa 25 % des Bundeshaushaltes



























