„Verzögerte Moral der Eliten“

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Hermann Bode aus Braunschweig (1911-1944), war einer der sog. "Kleinen Leute" und Widerstandkämpfer von Beginn an. Quelle: Ausschnitt aus dem Buch von Hans P. Klausch: "Ein Braunschweiger Stadtverordneter im Kampf gegen Faschismus und Krieg", 2003

„In selektiver Wahrnehmung der Widerstandsformen wird den Funktionseliten ein Privileg zum Widerstand eingeräumt, unter Ausgrenzung des Widerstandes der „kleinen Leute“.“ (Wolfram Wette)

Wir brauchen endlich einen Gedenktag, der allen Widerstandkämpfern gerecht wird. Die Fahnenflucht ist, neben dem bewaffneten Widerstand, die radikale Verweigerung. Sie ist der Widerstand des kleinen Mannes.

Deserteursdenkmal an der Magnikirche

Die Erzählungen der Widerstandgeschichte in Deutschland hat noch viele Leerstellen. Forschungsbedarf besteht u.a. über die Motive der Widerstandkämpfer vom 20.Juli 1944, über den Widerstand in der Bevölkerung und den der Deserteure. Die Erforschung wäre friedenspolitische Arbeit, die auch den Kirchen gut anstünden, denn schließlich geht es um Frieden, um Tod und um Leben.

Immer wieder liest und hört man am 20.Juli vom Mut beim Kampf gegen das NS-Regime und vom Eintreten für Demokratie. So auch wieder in diesem Jahr. Die Reden im Rahmen der offiziellen Gedenkrituale, und um diese handelt es sich, sind seit Jahrzehnten dieselben. Dabei ist längst bekannt: Um Demokraten handelte es sich nicht bei den Widerständlern vom 20.Juli 1944 und sie fanden erst zum Widerstand als die Niederlage Deutschlands absehbar war. Helmut Kramer, ehemaliger Richter am Oberlandesgericht in Braunschweig und kritischer Rechtshistoriker, spricht in diesem Zusammenhang von der „Verzögerten Moral der Eliten“. Es tun sich Fragen auf: Ist die Glorifizierung Stauffenbergs und seiner Verschwörer-Gruppe berechtigt? Und sind die Verschwörer des 20.Juli Helden“. Sicherlich erforderte es Mut zum versuchten Attentat auf Hitler, aber ist die Erhöhung zum Helden berechtigt? Wohl kaum. Durch Briefe belegt scheint zu sein, dass die Rassenpolitik Hitlers von der militärischen Elite um Stauffenberg nicht abgelehnt wurde und dass Stauffenberg und Mitverschwörer Antisemiten waren.

Ohnehin wurde der Widerstand von Offizieren gegen Hitler von der NS-Militärjustiz mit Zurückhaltung bewertet, wie der Militärhistoriker Wolfram Wette in seinem Buch „Das letzte Tabu – NS-Militärjustiz und Kriegsverrat“ ausführt:

Diese Zurückhaltung der NS-Justiz in der Verfolgung von Offizieren gibt Gelegenheit zu einer generellen Beobachtung: Die vielen – längst gut erforschten – landesverräterischen Auslandskontakte von Politikern, Diplomaten und Offizieren, die dem nationalkonservativen Widerstand angehörten, hätten eigentlich wegen Landes- und Kriegsverrats verfolgt werden müssen. Allerdings sahen sich die Mitglieder dieser Widerstandsgruppen aus den Reihen der alten Eliten selbst nicht als Verräter, sondern als deutsche Patrioten, die das Land vor Hitler und seiner Politik retten wollten. Im höheren Offizierskorps gehörte es zum guten Stil und zum viel beschworenen Korpsgeist, sich nicht gegenseitig “ans Messer” zu liefern. Von der Gestapo und der Justiz wurden die Widerstandgruppen nur mit geringem Nachdruck oder gar nicht verfolgt wurden und daher auch nicht bestraft. Erst nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurden einige von ihnen verhaftet und dann auch zum Tode verurteilt und hingerichtet. Zuvor – also in den Jahren 1938 bis 1944 – kam es gegen keinen von ihnen zu einer Anklage und Verurteilung wegen Landes- oder Kriegsverrats. Es ist zu vermuten, dass der Verzicht auf die strafrechtliche Verfolgung dieser landesverräterischen Auslandskontakte auch etwas mit ihrer Zugehörigkeit zu den traditionellen, staatstragenden Machteliten zu tun hat. Im höheren Offizierskorps gehörte es zum guten Stil und zum viel beschworenen Korpsgeist, sich nicht gegenseitig “ans Messer” zu liefern.

Widerstand des „kleinen Mannes“

„Die mutige Tat des „kleinen Mannes“ zählt nicht“. Hartnäckig ausgeblendet wurde der nicht zum bürgerlichen Lager zählende Widerstand bis 2002. Dabei versuchten die Widerständler aus dem Arbeitermilieu viel früher zu tun, wozu sich die Eliten in Militär, Adel und Großbürgertum nur mit verzögerter Moral entschließen konnten.

Das Sprengstoffattentat eines Georg Elser vom 8.November 1939 im Münchener Bürgerbräukeller durfte vor wenigen Jahren noch als „kriminell“ verschmäht werden. „Warum fällt es uns so schwer, die Widerstandkämpfer zu würdigen, fragt Elisabeth Ruge, die Enkelin eines von den Nazis ermordeten Widerstandskämpfers, in der Süddeutschen Zeitung: „Warum machen wir den 20. Juli nicht zu einem offiziellen Feiertag?“

„Umso unverzichtbarer ist die Erinnerung an jene mutigen Menschen, die selbst unter allergrößtem Risiko mit Zivilcourage gegen den Strom geschwommen sind und dem Unrechtsstaat die Stirn geboten haben, bis zuletzt ungebrochen, auch unter Todesdrohung.“ (Helmut Kramer). Zu diesen Menschen zählt z. B. Hermann Bode aus Braunschweig. Bemerkenswert am Rande ist, dass er bis heute keinen Wikipedia-Eintrag hat.

Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Andacht-Reihe „Denkmal“. Sowohl der ehemalige Landesbischof Friedrich Weber als auch Helmut Kramer sprachen im Rahmen dieser Andacht-Reihe zum Thema „Die Vergangenheit ist gegenwärtig“ vor der Magnikirche. Der Braunschweig-Spiegel berichtete seinerzeit ausführlich. Lesen Sie hier noch einmal den Bericht zur Veranstaltung mit der Rede Helmut Kramers und der Predigt des damaligen Landesbischofs Weber.

Die Predigt findet sich interessanterweise nicht im offiziellen Archiv der Landeskirche sondern in den alternativen Blättern der „Kirche von unten“ in der „Alternatives aus der/für die Braunschweiger Landeskirche“ berichtet wird.

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