Offener Brief an Kanzler Olaf Scholz

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Olaf Scholz Foto: pixabay

Der folgende Brief wurde von der Zeitung emma.de veröffentlicht. Hier schreiben 28 prominente Intellektuelle und KünstlerInnen einen Offenen Brief an Kanzler Scholz. Sie befürworten seine Besonnenheit und warnen vor einem 3. Weltkrieg. Der vollständige Brief hier, als auch der Link zur Gesamtliste der ErstunterzeichnerInnen und zum Unterschreiben.

In kürzester Zeit haben schon 57.920 Menschen unterzeichnet.

Der Brief:

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

wir begrüßen, dass Sie bisher so genau die Risiken bedacht hatten: das Risiko der Ausbreitung des Krieges innerhalb der Ukraine; das Risiko einer Ausweitung auf ganz Europa; ja, das Risiko eines 3. Weltkrieges. Wir hoffen darum, dass Sie sich auf Ihre ursprüngliche Position besinnen und nicht, weder direkt noch indirekt, weitere schwere Waffen an die Ukraine liefern. Wir bitten Sie im Gegenteil dringlich, alles dazu beizutragen, dass es so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand kommen kann; zu einem Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können.

Wir teilen das Urteil über die russische Aggression als Bruch der Grundnorm des Völkerrechts. Wir teilen auch die Überzeugung, dass es eine prinzipielle politisch-moralische Pflicht gibt, vor aggressiver Gewalt nicht ohne Gegenwehr zurückzuweichen. Doch alles, was sich daraus ableiten lässt, hat Grenzen in anderen Geboten der politischen Ethik.

Zwei solche Grenzlinien sind nach unserer Überzeugung jetzt erreicht: Erstens das kategorische Verbot, ein manifestes Risiko der Eskalation dieses Krieges zu einem atomaren Konflikt in Kauf zu nehmen. Die Lieferung großer Mengen schwerer Waffen allerdings könnte Deutschland selbst zur Kriegspartei machen. Und ein russischer Gegenschlag könnte so dann den Beistandsfall nach dem NATO-Vertrag und damit die unmittelbare Gefahr eines Weltkriegs auslösen. Die zweite Grenzlinie ist das Maß an Zerstörung und menschlichem Leid unter der ukrainischen Zivilbevölkerung. Selbst der berechtigte Widerstand gegen einen Aggressor steht dazu irgendwann in einem unerträglichen Missverhältnis.

Wir warnen vor einem zweifachen Irrtum: Zum einen, dass die Verantwortung für die Gefahr einer Eskalation zum atomaren Konflikt allein den ursprünglichen Aggressor angehe und nicht auch diejenigen, die ihm sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln liefern. Und zum andern, dass die Entscheidung über die moralische Verantwortbarkeit der weiteren „Kosten“ an Menschenleben unter der ukrainischen Zivilbevölkerung ausschließlich in die Zuständigkeit ihrer Regierung falle. Moralisch verbindliche Normen sind universaler Natur.

Die unter Druck stattfindende eskalierende Aufrüstung könnte der Beginn einer weltweiten Rüstungsspirale mit katastrophalen Konsequenzen sein, nicht zuletzt auch für die globale Gesundheit und den Klimawandel. Es gilt, bei allen Unterschieden, einen weltweiten Frieden anzustreben. Der europäische Ansatz der gemeinsamen Vielfalt ist hierfür ein Vorbild.

Wir sind, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, überzeugt, dass gerade der Regierungschef von Deutschland entscheidend zu einer Lösung beitragen kann, die auch vor dem Urteil der Geschichte Bestand hat. Nicht nur mit Blick auf unsere heutige (Wirtschafts)Macht, sondern auch in Anbetracht unserer historischen Verantwortung – und in der Hoffnung auf eine gemeinsame friedliche Zukunft.

Wir hoffen und zählen auf Sie!
Hochachtungsvoll

Zur Liste der Unterzeichnenden und auch zum Unterschreiben bei emma.de

5 Kommentare

  1. Der Brief verschleiert da etwas ZUR LAGE und zu unseren AUFGABEN.

    zum „Irrtum“ Nr. 1 sei klargestellt: der Aggressor braucht gar kein +“Motiv“+, weder brauchte er das für die Invasion am 24.2., noch für die Fortsetzung seiner „Spezialoperation“.

    zum „Irrtum“ Nr. 2:
    von wegen + „Moralisch verbindliche Normen sind universaler Natur“ +

    … hört sich zwar sehr klug an, aber etwas verschlungen soll damit ja wohl die ukrainische Regierung in ihren Entscheidungen ausgebremst werden, …
    weil „die Zuständigkeit“ über „moralisch verbindliche Normen“ nicht „ausschließlich in die Zuständigkeit ihrer Regierung falle“, wie im Brief geschrieben steht, oder ?

    Im Klartext hieße das:

    Also liebe Ukrainer*innen – müsst Ihr einsehen … das Verteidigungsrecht steht Euch zwar grundsätzlich nach Völkerrecht zu,
    aber – nun verteidigt Euch mal nicht zu dolle, denn damit gefährdet Ihr uns alle und beschert uns vielleicht damit auch noch den atomaren Unmut des Aggressors.

    Meint Ihr nicht, dass das etwas vermessen ist ?

    Da waren wir vor 50 Jahren (Vietnam-Krieg) schon mal weiter.

    Stichwort SOLIDARITÄT mit dem überfallenen Land, mit den zerbombten Dörfern, Städten, Familien und Geschundenen, sowie mit den durch Terror Vertriebenen und Flüchtenden.

    Im Ubrigen: Nur mit dieser Klarheit vor Augen wird das auch was mit der Diplomatie.

  2. Die Verfasser des Offenen Briefes wollen uns vor zwei Gefahren warnen.

    Sind diese Warnungen gerechtfertigt? Ich glaube, ja. Selbst die Medien und Politiker, die sich für die Lieferungen von immer mehr und schwereren Waffen aussprechen, betonen, dass sie „natürlich“ die direkte Konfrontation der NATO mit Russland nicht anstrebten, weil sich daraus ein Atomkrieg entwickeln könnte.

    Sollte man dann die Warnungen schlicht in den Wind schlagen? Natürlich bleibt es jedem überlassen, die Gefahren zu ignorieren und erst gar nicht auf sie einzugehen. Besser wäre es allerdings, das öffentliche Gespräch darüber zu führen, um sich einigen zu können, wo die Grenzen der Eskalation liegen sollten.

    Wer nur der – durchaus berechtigten – Wut und Empörung über die russische Aggression folgt und vernünftige Abwägungen als Verrat an der gerechten Sache auffasst, könnte einer Politik Vorschub leisten, die das Leid und das Elend enorm vergrößert, anstatt es so schnell wie möglich beenden zu helfen.

    Wut ist kein guter Ratgeber. Und die Position, die in dem lateinischen Wort „Fiat iustitia et pereat mundus“ (Es möge Gerechtigkeit herrschen, auch wenn darüber die Welt zugrunde gehe) zum Ausdruck kommt, bewirkt meist eher das Gegenteil dessen, was eigentlich angestrebt wird.

    Also: die Verfasser des Offenen Briefes sollten ernst genommen werden, ihre Warnungen und die Diskussion darüber können uns davon abhalten, wie die Lemminge unbeirrt auf den Abgrund zuzurennen.

  3. „wie die Lemminge unbeirrt auf den Abgrund zuzurennen.“

    Hier werden wieder die Lemminge verunglimpft !

    Faktencheck:
    „Wie die Lemminge“:
    Besonders bekannt sind die Lemminge durch den im Jahre 1958 von Walt Disney veröffentlichten Film „White Wilderness“. In diesem Film wurde eine Massenwanderung von Lemmingen („der Zug der Lemminge“) mit anschließendem kollektiven Freitod dargestellt. Hier handelte es sich jedoch um GESTELLTE SZENEN, die sich so NIE in der Natur abgespielt haben.
    Durch diesen Film wurde das Bild von den Lemmingen nachhaltig im Bewusstsein vieler Menschen geprägt. [LEIDER!]

    https://www.google.com/search?q=Lemminge+%2B„joscha.com“&tbm=isch

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