Mark Milley, Generalstabschef der USA, für Verhandlungen mit Russland

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Mark Milley, Generalstabschef der USA Foto: Wikipedia

Wer sich in den letzten Monaten angewöhnt hat, alle diejenigen, die für eine diplomatische Lösung des Ukrainekrieges eintreten, als Verräter, „Putin-Knechte“ oder „letzte Anhänger des Kremls-Regimes“ zu diffamieren, müsste nun eigentlich ins Grübeln geraten: kein Geringerer als Mark Milley, Chef des US-Generalstabes, plädiert für eine diplomatische Lösung!

Milley ist oberster militärischer Berater des Präsidenten

Der General ist der oberste militärische Berater des US-Präsidenten. Man kann davon ausgehen, dass er dem Präsidenten seine Sicht der Dinge ausführlich dargelegt hat. Wenn er sich nun öffentlich per New York Times zu Wort meldet, kann das eigentlich nur den Grund haben, dass er nicht den Eindruck hat, dass der Präsident seinen Gedanken folgt, und dass er einer Entwicklung vorbeugen möchte, die den USA selber schaden könnte. Eine solche öffentliche Wortmeldung eines Präsidenten-Beraters ist jedenfalls höchst ungewöhnlich; in diesen Situationen erfolgt meist die sofortige Entlassung, in diesem Fall aber – seit einer Woche – nicht. Übrigens kann man Milleys Selbstbewusstsein und seine politisch-militärische Übersicht auch daran erkennen, dass er während der Unruhen in den USA (“Sturm aufs Kapitol“) aus eigenem Antrieb den chinesischen Generalstabschef anrief, um ihm zu versichern, dass China nichts zu befürchten habe.

Warum tritt Milley für eine diplomatische Lösung ein?

In der Mehrzahl westlicher Medien wird der Eindruck verbreitet, dass die Ukraine drauf und dran sei, den Krieg zu gewinnen und die russischen Truppen zu vertreiben. Besonders seit dem russischen Rückzug aus Cherson auf das linke Ufer des Dnjepr ist das zu beobachten. Doch Milley sieht das gründlich anders. Er glaubt nicht daran, dass die Ukrainer ihr Ziel in absehbarer Zeit erreichen werden. Die russische Armee konnte sich organisiert und ohne größere Verluste zurückziehen; sie kann ihre Position hinter der natürlichen Barriere des Flusses leichter verteidigen, Truppen für andere Frontgebiete freisetzen und vor allem Zeit gewinnen, um sich zu reorganisieren. Und trotz aller gegenteiligen Prophezeihungen geht ihr offenbar die Munition doch nicht so schnell aus. Deshalb erwartet Milley einen langwierigen Abnutzungskrieg, der weitere hohe Verluste und umfassendere Zerstörungen, aber keine Entscheidung bringen würde.

Milley hat vermutlich noch einen zweiten Grund

Milleys Sichtweise wird allerdings von den Zivilisten des Außenministeriums ausdrücklich widersprochen. Und auch Präsident Biden „zieht sich weiter auf die Formel zurück, die Ukrainer hätten selbst zu entscheiden, wann und wie sie verhandeln wollen“ (FAZ, 22.11.22) Andere Kräfte setzen sich nun aber für deutlich offensivere Strategien ein. General Petraeus, einst viele Jahre im Irak und später in Afghanistan aktiv und von 2008 bis 2010 Oberbefehlshaber des US Central Command, schlug jüngst die Aufstellung einer Kampftruppe von 90.000 Soldaten vor, die aus Freiwilligen aus den USA, aus Polen und Rumänien bestehen könnte. Diese Truppe sollte dann in die Ukraine einrücken. Zunächst scheint der Vorschlag die Analyse von Milley zu bestätigen, dass die Ukraine ihre Ziele trotz aller bisher geleisteter Unterstützung nicht erreichen wird. Die Umsetzung des Vorschlages würde vermutlich die weitere Eskalation sprunghaft steigern. Sie wäre purer Sprengstoff. Denn dann würden US-Soldaten direkt gegen russische Soldaten kämpfen – mit allen möglichen Konsequenzen. Ob dann auf den Uniformen noch ein NATO-Aufnäher ist oder nicht, dürfte bedeutungslos sein. Genau das scheint Milley verhindern zu wollen. Und sein ungewöhnlicher Schritt (siehe oben) spricht dafür, dass er es für denkbar hält, dass Präsident und Minister sich auf diese abschüssige Bahn begeben könnten – ohne die Konsequenzen richtig einzuschätzen. Wenn man seine militärische Karriere aufs Spiel setzt, wie Milley es getan hat, muss es schon um etwas Wichtiges gehen.

Was, wenn besonnene Kräfte wie Milley in den USA ins Hintertreffen gerieten?

Auch Nikolas Busse, einer der realistischeren Redakteure der FAZ, hält fest, dass die ukrainischen Streitkräfte „in absehbarer Zeit nicht mit einem Sieg gegen die Invasoren rechnen (können)“. Sein Schluss: „Die politische, finanzielle und vor allem militärische Unterstützung der westlichen Führungsmacht ist für sie überlebensnotwendig.“ Die Aussichten für Kiew blieben schwierig, was zu dem offenen Dissens in Washington geführt habe.

Was aber würde passieren, wenn die besonnenen Kräfte wie Milley in der Führung der USA ganz beiseite geschoben würden? Hätten die Europäer, vor allem die Westeuropäer, dann den Mut und die Kraft, den Weg auf die abschüssige Bahn zu blockieren? Man kann es nur hoffen.

2 Kommentare

  1. Der ehemalige Pentagon-Berater Colonel Doug Macgregor geht in einem Interview in der New York Times mit dem US-amerikanischen Journalisten Aaron Maté, auf die Hintergründe ein, die Mark Milley wahrscheinlich zu der Forderung nach Verhandlungen gebracht haben. Die Informationen und Argumente, die dort genannt werden, weichen sehr weit von den Informationen ab, die wir sonst in fast allen Medien erhalten. Hier die deutsche Übersetzung von Max Stadler.(https://www.nachdenkseiten.de/?p=90830)

  2. Bei der phantastischen Veranstaltung gestern in der Magnikirche: „Verhandlungen Jetzt“ https://helmutkaess.de/wp-content/uploads/2022/11/ruferplakatV8_13-11-2022.pdf wurde auch darüber gesprochen. (Die obige Übersetzung des Interviews https://www.nachdenkseiten.de/?p=90830) ist bei mir in word 10 Seiten lang.

    Ich habe sie auch in kürzerer Form auf meine Homepage https://wp.me/paI27O-4i6 und mit Zitaten und Hervorhebungen markiert… Der pensionierte Oberst der US-Army und ehemalige Pentagon-Berater Colonel Doug Macgregor versucht ja im Interview mit dem US-amerikanischen Journalisten Aaron Maté, unsere Sinne für die militärische Realität zu schärfen.
    Zitate: „Nun, Du weißt, dass wir seit mindestens 20, eher 30 Jahren das amerikanische Volk belügen – wieso belügen – wir haben immer gesagt: „wir sind die größte Militärmacht der Welt, niemand kann sich mit uns messen.“ Und: „Es ist (nun!) im russischen Interesse, die Europäer frieren zu lassen. Ganz besonders die Deutschen. … So haben die Russen den Gegner falsch eingeschätzt, diese Einschätzung müssen sie nun korrigieren und unbarmherzig werden, um diesen Krieg zu einem Ende zu bringen. …“

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