Gewerbegebiet „Scheppau“? Machbar, aber schädlich!

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Grafik: Koreg- Flächensteckbriefe Landkreis Helmstedt

Von Amadeus Martin

Die Cremlinger Grünen haben vor Kurzem ein vernichtendes Urteil über das geplante Riesen-Gewerbegebiet „Scheppau“ im Braunschweig-Spiegel veröffentlicht. Der Plan wird von den Städten Braunschweig und Wolfsburg wie von den Landkreisen Helmstedt und Wolfenbüttel verfolgt. Zunächst soll eine sogenannte Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben werden; der Helmstedter Kreistag hat schon zugestimmt, der Rat der Stadt Braunschweig scheint am 9. Februar grünes Licht geben zu wollen.

Bei der örtlichen Bevölkerung mehren sich aus mehreren nachvollziehbaren Gründen die kritischen Stimmen. Sie allein können aber das Projekt nicht verhindern. Das kann nur gelingen, wenn der Widerstand vor allem aus den beiden Städten unterstützt wird. Je mehr Menschen dieses Gebiet als Teil ihres eigenen Lebensraums begreifen, je mehr Menschen erkennen, dass dieser Lebensraum bereits angeschlagen ist, dass es andererseits aber eine echte Alternative zum geplanten Gebiet gibt, desto eher kann es gelingen, dieses unsinnige Vorhaben zu vereiteln.

Dazu im Folgenden einige Informationen:

Das steht schon fest: Amazon – Zentrum im großen Gewerbegebiet „A 2 / Barmke“

Direkt bei der Autobahnabfahrt Rennau (Nr.60) gibt es ein Gewerbegebiet von fast 50 Hektar. Dort wird zur Zeit für Amazon ein großes Vertriebszentrum errichtet, ganz in der Nähe des schönen, bewaldeten Höhenzuges Dorm. Im August soll die Anlage fertig sein. Man braucht nicht lange nachzudenken, um sich vorzustellen, was das für den Verkehr auf der A 2 und in der Umgebung bedeuten wird. Die Stadt Helmstedt erwartet dabei allerdings „bis zu 1200 Arbeitsplätze“ und Gewerbesteuereinnahmen. Zur Lage dieser Stadt unten mehr.

Das Gewerbegebiet Ochsendorf „An der Autobahn“ soll zum Riesen-Gewerbegebiet Ochsendorf / Neindorf ausgebaut werden

Nur etwa 7 Kilometer weiter westlich liegt Ochsendorf (Autobahnabfahrt Nr. 59). Dort besteht bereits ein Gewerbegebiet von knapp 20 Hektar (zur Zeit baut der Autozulieferer AUNDE dort, er zieht übrigens von Groß Bartensleben um und bringt einen Teil der Arbeitskräfte mit). Die Stadt Wolfsburg sowie die Stadt Königslutter wollen dort nun ein Gewerbegebiet einrichten, das planerisch sogar 227 Hektar Fläche umfasst. Zum Teil sollen dafür Landschaftsschutzgebiete aufgehoben werden. Der Boden wird bisher landwirtschaftlich genutzt, die Bauern wollen Bauern bleiben und deshalb keine Flächen verkaufen, allenfalls tauschen. Allerdings haben weder Wolfsburg noch Königslutter solche Tauschflächen zu bieten. Auch dort gibt es Widerstand. So lehnt etwa Klein Steimke das Projekt ab, weil es befürchtet, vom zusätzlichen Verkehr verlärmt und eingenebelt zu werden. Das Gebiet liegt übrigens nördlich des Naturschutzgebietes zwischen dem Rieseberg und dem Wolfsberg. Trotz alledem treiben Wolfsburg und Königslutter das Projekt voran.

Und nun das Gewerbegebiet Scheppau?

Keine zehn Kilometer westlich von Ochsendorf soll nun also auch an der Autobahnabfahrt Nr. 58 ein Gewerbegebiet errichtet werden. Es soll sich über 186 Hektar bisher landwirtschaftlich genutzte Fläche erstrecken und dem Naturschutzgebiet um den Rieseberg von Westen her ziemlich nahe kommen, von Osten her dem Wohld. Laut dem Regionalordnungsplan des Regionalverbandes soll das Gebiet neben der Landwirtschaft für das Erlebnis von „Natur und Landschaft“ und „Erholung“ genutzt werden.

In einer gemeinsamen Erklärung Braunschweigs, Wolfsburgs und der beiden Landkreise wird ein „modellhaftes grünes Gewerbegebiet“ in Aussicht gestellt (Referat Kommunikation der Stadt Braunschweig, 26.11.2020). Die Braunschweiger Grünen haben das beim Wort genommen und den Antrag gestellt, verschiedene konkrete Untersuchungsaufträge für die Machbarkeitsstudie aufzunehmen (Stichworte: Verkehr, Umwelt, Flächenverbrauch, Wirtschaft, Energie, Abfallvermeidung, Ausgleichsflächen). Das wurde aber abgelehnt. Verständlicherweise kommen da erhebliche Zweifel an der Behauptung auf, das Ganze sei ja völlig offen und man solle doch bitte erst einmal die Studie abwarten, ehe man Kritik äußere.

Allein die Tatsache, dass damit drei Gewerbegebiete, davon zwei mit Riesenausmaßnahmen, dicht hintereinander plaziert werden sollen, lässt den Eindruck aufkommen, dass Natur und Landwirtschaft hier als reine Verfügungsmasse betrachtet werden. Allen schönen Worten, an denen es tatsächlich nicht mangelt, zum Trotz.

Die prekäre Lage Helmstedts und Schöningens

Dabei ist allerdings die Lage der verschiedenen Kommunen sehr unterschiedlich. Die beiden Kommunen Helmstedt und Schöningen (wie der Landkreis Helmstedt) leiden schwer unter dem Strukturwandel, die Kohleproduktion wie das Kraftwerk Buschhaus sind stillgelegt. Schon die städtischen Haushalte sind defizitär, die Verschuldung hoch; die Arbeitslosigkeit ist höher als in den angrenzenden Gebieten, immer mehr Menschen haben den Städten (wie den Landkreis) schon den Rücken gekehrt. Kurz: das Wasser steht den Kommunen und dem Landkreis bis zum Hals. Sie tun, was sie können, um neue Betriebe anzusiedeln, aber ihre Möglichkeiten sind begrenzt, so dass sie sozusagen nehmen müssen, was kommt. Wenn also die starken Kommunen Wolfsburg und Braunschweig ein Gewerbegebiet am Autobahnkreuz A 2 / A 39 wünschen und viele Arbeitsplätze und Steuereinnahmen in Aussicht stellen, müssen die zwei Kleinstädte das sehr ernst nehmen.

In der oben erwähnten gemeinsamen Erklärung wird der Eindruck erweckt, als gehe es bei dem angestrebten Gewerbegebiet im Wesentlichen darum, dem Landkreis und den beiden Städten zu helfen. Eine ganze Seite lang (von zwei) ist nur davon die Rede. Braunschweig und Wolfsburg also als edle weiße Ritter, die eigene Interessen nur nebenbei unterbringen wollen?

Zwischen Helmstedt und Schöningen stehen 509 Hektar Brach- bzw. Schüttungsfläche bereit

Die Hamburger Unternehmensberatung Georg Consult hat im Auftrag des Regionalverbandes eine Studie erstellt, in der 55 mögliche Orte aufgeführt sind, die sich für Gewerbeflächen eignen würden. Der Landkreis Helmstedt steht dabei mit 509 Hektar ganz weit vorne, mit den Flächen „Silberkuhle“ und „Buschhaus“. Ein zentraler Vorteil dieser Areale besteht darin, dass es sich um Flächen handelt, die ohne weitere Naturzerstörung und ohne Vernichtung von Ackerland genutzt werden können, weil auf ihnen schon bisher Bergbau und Industrie betrieben wurde. Ein weiterer Vorteil liegt in bereits bestehenden Schienenstrecken. Schließlich liegen die Gebiete genau zwischen den beiden gebeutelten Kommunen. Kein Wunder, dass die beiden vor etwas mehr als einem Jahr beschlossen haben, dort ein gemeinsames Gewerbegebiet aufbauen zu wollen.

Die Studie von Georg Consult sieht allerdings Hemmnisse: „Aber der Landkreis kann die Fläche nur schwer vermarkten.“ Das mag sich zum einen auf die finanzielle und organisatorische Kraft der beiden Kleinstädte wie des Landkreises beziehen, zum andern könnte es auch daran liegen, dass es bis zur Autobahn 12 Kilometer sind, anders als bei „Scheppau“ (z.B. würde das „20-Minuten-Dogma“ der Volkswagen AG, wonach die Zulieferer im Radius von 20 Minuten Fahrzeit liegen sollen, verletzt, es wären etwa 10 Minuten mehr). Jedenfalls würden viele Firmen, wenn sie die Auswahl hätten zwischen „Scheppau“ und „Buschhaus“, vermutlich lieber direkt an der Autobahn zugreifen, also bei „Scheppau“.

Die Probleme können gelöst werden, Braunschweig und Wolfsburg müssen es nur wollen

Der Gedanke liegt nahe: Die Probleme können gelöst werden, indem Braunschweig und Wolfsburg das Gewerbegebiet zwischen Schöningen und Helmstedt zusammen mit diesen Städten betreiben, als interkommunales Gewerbegebiet, dafür aber das Vorhaben am Autobahnkreuz aufgeben. Die Finanzkraft der Großstädte wie deren organisatorische Kompetenzen, aber auch die Beziehungen zur örtlichen und zur überregionalen Wirtschaft würden dem Projekt einen erheblichen Schub geben.

Außerdem: auch das angestrebte Gewerbegebiet bei Scheppau soll ja ein interkommunales Gebiet werden, darauf wollen sich ja alle Akteure sowieso einlassen.

Vor allem aber: es wäre ein Glanzstück der umsichtigen Zusammenarbeit in der Region, die tatsächlich allen zugute käme und die so pfleglich wie möglich mit Natur, Landwirtschaft und den Menschen umgeht. Allein das hätte schon einen starken Werbeeffekt.

1 Kommentar

  1. Sehr gute Dokumentation über drei Gewerbegebiet-Planungen dicht hintereinander an der A2. Hier wird nach der Devise geplant: Wo eine Autobahn verläuft, ist die umgebende Landschaft zur Plünderung freigegeben! Der Alternativvorschlag, die großen Industriebrachen für Gewerbeansiedlungen zu nutzen, ist überzeugend und darf von den Planern nicht ignoriert werden. Freie Landschaft darf nicht versiegelt werden, wenn bereits genutzte Flächen verfügbar sind. Der Autor erinnert Braunschweig und Wolfsburg an ihre Verantwortung für zukunftsfähige Planung, bei der der Schutz des intakten Lebensraums für die Bewohner Vorrang hat vor dem Wettrennen der Kommunen bei der Anlockung von Investoren.

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