Der Westen hat sich Russland zum Feind gemacht – nun drohen üble Folgen

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Krieg Foto: Pixabay

Es ist fast schon überflüssig, die gegenwärtige Zuspitzung der Konfrontation zwischen der NATO und Russland noch im Einzelnen zu belegen. Auch wenn Viele es nicht wahrhaben wollen: Es fehlt nicht mehr viel – und es kracht. Ob das dann bewusst herbeigeführt war oder aus Versehen passierte, kann den Opfern der Konfrontation gleichgültig sein. Und diese Opfer wären wir in Europa. Nicht die USA, die deshalb munter an der Eskalationsschraube mitdrehen.

George F. Kennan, der allgemein als Architekt der „Eindämmung“ der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg gilt, hat das, was jetzt passiert, vor 25 Jahren vorhergesagt. Es lohnt sich, seine Prognose noch einmal genau anzuschauen. Als die Entscheidung anstand, die NATO bis an die Grenzen Russlands auszuweiten, schrieb er in der New York Times am 5.2.1997:

„Diese Entscheidung kann erwarten lassen, dass die nationalistischen, antiwestlichen und militaristischen Tendenzen in der Meinung Russlands entzündet werden; dass sie einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung der Demokratie in Russland haben, dass sie die Atmosphäre des Kalten Krieges in den Beziehungen zwischen Osten und Westen wiederherstellen und die russische Außenpolitik wieder in Richtungen zwingen, die uns entschieden missfallen werden.“

Hinter jeden Teil der Prognose lässt sich heute ein Haken machen, ohne Ausnahme.

Drei Jahre zuvor hatte William Burns, hoch angesehener Spitzendiplomat und Außenpolitiker der USA, ebenfalls davor gewarnt, dass eine NATO – Erweiterung erhebliche negative politische Folgen auslösen könne. Und selbst einer der Hardliner der US-Außenpolitik, Zbigniew Brzezinsky, schlug noch 2015 vor, der Westen solle endgültig auf den NATO-Beitritt der Ukraine verzichten und stattdessen nach Lösungen suchen, wie sie zum Beispiel schon lange für das neutrale Finnland bestünden; Österreich, Schweden und auch Irland seien auch nicht in der NATO. Aber alle US – Präsidenten schlugen die Warnungen in den Wind.

US-Präsident: „Wieso, wir haben gewonnen und nicht die!“

George Bush Senior etwa sah keinen Grund, auf die russischen Befürchtungen einzugehen: „Wieso, wir haben gewonnen und nicht die!“ Er meinte den „Sieg“ im Ost-West-Konflikt. Dessen unblutiges Ende hatte – nach Jahrzehnten gefährlicher Konfrontation – die Tür für eine ganz andere, friedliche Entwicklung in Europa geöffnet. Aber die Tür wurde immer weiter zugedrückt. Heute ist kaum noch ein Spalt auszumachen.

Klaus von Dohnanyi, einst hochrangiger Politiker der SPD, hat vor zwei Jahren in einem Artikel in der ZEIT sehr genau nachgewiesen, dass und wie der Westen sich Russland wieder zum „Feind Nummer eins“ gemacht hat (in der Ausgabe vom 19.6.2019). Die Erweiterung der NATO nach Osten bis an die Grenzen Russlands spielte dabei die entscheidende Rolle. Dohnanyi belegt ausführlich, dass die USA der damaligen Sowjetunion die Zusage gegeben hat, die NATO nicht über die Grenze der damaligen DDR weiter nach Osten auszuweiten. Das war die Grundlage dafür, dass sich Gorbatschow darauf einließ, der deutschen Wiedervereinigung zuzustimmen. Der begnügte sich allerdings mit der wiederholten mündlichen Zusicherung, vor allem durch den damaligen Außenminister Baker.

Sehr dumme Schachzüge des Westens“ (Jack Matlock)

Zahlreiche Zeugen werden zum Beweis angeführt, und zwar vor allem hochrangige Politiker und Wissenschaftler der USA. So die amerikanische Wissenschaftlerin Mary Elise Sarotte oder der oben schon zitierte William Burns, der in seinem Buch „The back channel“ die Expansion der NATO als „bestenfalls verfrüht und schlimmstenfalls eine sinnlose Provokation“ nannte. Robert Hunter, von 1993 bis 1998 Botschafter der USA bei der NATO, schrieb 2015, die Hauptschuld für die Lage (nach der Annexion der Krim) treffe hier die USA. Man könnte noch Jack Matlock anfügen, von 1987 bis 1991 erlebte er die Verhandlungen als Botschafter der USA in Moskau aus nächster Nähe mit. Sein Buch über die Vorgänge trägt den aussagekräftigen Titel „Sehr dumme Schachzüge des Westens“, es erschien 2014.

William Burns, heute übrigens CIA-Chef, ging auch schon auf die Gründe für die Politik des Westens ein: „Wir müssen uns der Gefahr der Hybris (Überheblichkeit, A. M.) und des amerikanischen Unilateralismus bewusst werden.“ Die USA waren die Jahrzehnte nach 1990 die einzige Supermacht auf der Erde. Und sie wollten auf die Analysen dieser Fachleute nicht hören, sondern stattdessen alles tun, um diesen Status zu verteidigen und auszubauen. Und so bezeichnet der amerikanische Präsident den russischen Präsidenten als „Mörder“ und die deutsche Verteidigungsministerin sekundiert mit der Bemerkung, man müsse Putin nun „ins Visier nehmen“. Um dann gleich wieder zu beteuern, wie wichtig sie den Dialog nähmen.

Nun haben wir die folgende Lage: allein die europäischen NATO – Mitglieder geben etwa vier Mal mehr für das Militär aus als Russland, die USA allein schon mehr als zehn Mal so viel. Fast alle Abrüstungsverträge sind zerrissen. Die NATO stationiert entgegen dem Geist der NATO-Russland-Abmachung Truppen im Osten (die sie „rollieren“ lässt, um wenigstens dem Buchstaben des Dokuments gerecht zu werden), die USA haben Raketenabwehrstellungen in Polen und Rumänien in Stellung gebracht hat und der Westen veranstaltet immerhin Manöver mit Zehntausenden Soldaten nicht weit von den Grenzen Russlands. Im Schwarzen Meer, zu dessen Anrainern die USA und England nun wirklich nicht gehören, werden ständig Flottenmanöver abgehalten.

Ukraine in der NATO? Nur noch 450 Kilometer bis Moskau!

Wie auch immer man die einzelnen Schritte beurteilen mag: die russische Führung sieht sie als Bruch einer starken ursprünglichen Zusage und als aggressives Umzingeln. Sie befürchtet, dass die NATO die Ukraine als Mitglied aufnimmt. Dann wäre die NATO – Grenze nur 450 Kilometer von der Hauptstadt Moskau entfernt. Das wäre aus russischer Sicht nicht hinnehmbar. Keine russische Regierung könnte das akzeptieren, auch nicht eine, die „lupenrein demokratisch“ wäre. Die USA würden so etwas umgekehrt auch nicht akzeptieren, etwa auf Kuba.

Wenn der Westen das russische Sicherheitsinteresse nicht anerkennt, wird Russland sehr heftig und für den Westen unangenehm reagieren. Leider sieht es gegenwärtig ganz danach aus. Wer sich in die Ecke gedrängt fühlt, muss unter erheblichem Druck handeln. Auf Dauer sind dann auch Fehldeutungen und Überreaktionen nicht mehr auszuschließen.

Mögliche Fehleinschätzungen auf beiden Seiten machen die Lage gefährlich

Vielleicht ist die Lage durch eine zielgerichtete Politik der USA entstanden, die glauben, sie könnten ihre Überlegenheit jetzt noch ausspielen, in ein paar Jahren, wenn China weiter erstarkt wäre, aber nicht mehr.

Vielleicht glaubt auch die russische Führung, dass sie derzeit über eine gewisse militärische Überlegenheit verfügt, weil sie über Überschallwaffen verfügt, auf die die USA erst noch hinarbeiten. Vielleicht gibt es deshalb Überlegungen, die Dinge jetzt noch zu den eigenen Gunsten verändern zu können, in wenigen Jahren aber nicht mehr.

Wahnsinn? Ja, aber möglich. Vor allem dann, wenn der Umzingelte keine andere Option zu haben glaubt, weil die Gegenseite keinerlei Bereitschaft zu Entgegenkommen und Kompromissen zeigt, ohne die ein wirklicher Dialog nun einmal nicht zustande kommt.

Was all das für uns Europäer bedeutet? Wir sitzen mittendrin. Ohne politische Initiative seitens der Europäer, die der fortgesetzten Eskalation Einhalt zu gebieten versucht, sind wir dazu verdammt, hinzunehmen, was sich aus der Konfrontation zwischen den USA und Russland ergibt.

Klaus von Dohnanyi stellt im erwähnten Artikel die Frage: Was also verteidigen die USA in Europa – uns oder ihre geopolitischen Interessen? Für ihn ist das angesichts der Praxis der USA eine rhetorische Frage. Es gibt also keinen Grund, der aggressiven Politik der USA zu folgen.

1 Kommentar

  1. Wenn Russland Westeuropa mit atomar bestückten Hyperschallwaffen angreift, dann hat die Nato keine Abwehrmöglichkeiten. Während Russland zumindest ein Teil der Raketen der Nato abfangen kann mit ihren S400- und S500-Systemen. Russland hat von einem solchem Angriff keinerlei Vorteile, außer einem Angriff der Nato entgegen zu treten oder zuvor zu kommen. Ein solches Höllen-Szenario liegt nicht im Interesse Europas (inklusive Russlands). Daher sind die provozierenden Reden von einzelnen Ministern unserer Regierung einfach nur dumm. Wir müssen schleunigst zu einem Dialog zurückkehren.
    Statt weiter aufzurüsten müssen wir die Ressourcen Europas in Maßnahmen gegen den Klimawandel stecken.
    Übrigens haben wir die parallele Entwicklung im fernen Osten. Dort gelten die Provokationen der USA China. Die USA könnten auf eine militärische Lösung gegen China hoffen, bevor China die USA in allen Bereichen überholt hat. So patrouillieren die USA mit ihren Kriegsschiffen schon lange im chinesischem Meer, wohl wissend, dass ihre Schiffe einem Angriff Chinas nicht standhalten könnten. Japan hat daher vor kurzem versprochen in einen Krieg gegen China einzutreten, wenn China US-Kriegsschiffe angreift (dies könnte der Fall sein, wenn sich der Taiwankonflickt weiter zuspitzt).
    Japans Armee gehört zu den ganz großen der Welt. Trotzdem würde dann wahrscheinlich Japan China zum Opfer fallen. Die USA hoffen damit andere für ihre globalen Interessen opfern zu können.
    Sowohl China, als auch Japan haben von einem solchem Krieg nur übelste Nachteile.
    Auch dort sollten die Ressourcen nicht für den Krieg, sondern gegen den Klimawandel eingesetzt werden.

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