„23 Stunden täglich Einzelhaft“

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Ralph hinter Gittern

Ein Interview mit dem Isolations-Erfahrenen Ralph Hartwig

In Zeiten der Corona-Krise erleben viele zum ersten Mal ein Leben in Isolation oder Quarantäne. Wir führen ein Interview mit dem Isolations-Erfahrenen Ralph Hartwig, der seit zweieinhalb Jahren in Isolationshaft in der forensischen Psychiatrie Eickelborn lebt, um zu erfahren, wie man eine solche Isolation überstehen kann.

Lieber Ralph, du bist seit mehr als 2,5 Jahren in Isolationshaft. Wie kann das konkret vorstellen?

Ich bin 23 Stunden täglich in Einzelhaft in einem besonders gesicherten Raum. Die meiste Zeit nur mit einer Gummimatte auf dem Boden, ohne weiteres Mobiliar, ohne Radio, ohne Fernseher. In der Regel kommt ein Pfleger stündlich an die Durchreicheklappe, um mich rauchen zu lassen, was jedoch oft auch sanktioniert wird. Eine Freistunde steht einem generell zu, die aber auch aus therapeutischen Gründen entzogen werden kann, wie es leider oft der Fall ist. Da es nach anderthalb Jahren Isolation und anhängigen Verfahren gegen die Klinik immer wieder zu rechtswidrigen Repressalien kam, die ich auch erfolgreich zur Beschwerde brachte, fing ich an, dagegen zu protestieren und zu randalieren, wie auch mich körperlich dagegen zur Wehr zu setzen. Daraufhin reagierte die Klinik mit siebzehn Haloperidol-Spritzen, auch Beton-Spritzen genannt, unter denen ich massiv unter den Nebenwirkungen und höllischen Schmerzen litt. Dies zog die Klinik zwei Wochen lang durch mit einem Sturmtrupp mit mindestens sechs Mann, die mich festhielten, die Hose runterzogen und der Arzt mir dann das Gift in den Po-Muskel injizierte. Seit diesem Zeitpunkt darf ich die Freistunde nur in Vollfesselung verbringen, d. h. mit einem Bauchgurt, an dem die Handfesseln befestigt werden, und Fußfesselung, wodurch ich extrem bewegungseingeschränkt bin.

Du hast eben Repressalien erwähnt. Welche Repressalien sind das?

Post, wie auch Gerichtpost wurde mir mehrfach unterschlagen bzw. erst nach Tagen ausgehändigt. Arzttermine von externen Ärzten wie Dermatologen und Zahnarzt wurden immer wieder vereitelt, somit wurden auch meine Krankheiten verschlimmert. Besuche von Angehörigen und Freunden werden unterbunden und Telefonate werden oft nicht durchgestellt. Ich wurde mehrmals beklaut, Markenklamotten, Parfum, Schmuck, CDs sind auch häufiger verschwunden. Seitdem ich isoliert bin, wird mir alle paar Tage das Mittag-Essen nur kalt oder lauwarm geliefert. Wenn es verbale Konflikte mit den Pflegern gibt, dann wird die Lüftung kaltgestellt. Das Wasser für Kaffee, den ich mir selber zubereite, wurde schon mit dem Entkalker Zitronensäure versetzt. Trotz nicht angeordneten Sichtkontrollen wecken mich manche Pfleger stündlich, obwohl ich sie darauf hinweise, dass ich schlafen möchte. Von Zeit zu Zeit werde ich auch durch Lichtfolter vom Schlafen abgehalten.

Warum bist du einer forensischen Psychiatrie untergebracht?

Nach einem Suizidversuch und darauf folgender Operation wurde ich in eine Allgemeinpsychiatrie zu meiner Genesung zwangseingewiesen. Das Problem war nur, dass ich auf dieser Station schon vorbelastet war und eigentlich Hausverbot hatte, dementsprechend wurde ich auch schlecht behandelt und es wurden Psychopharmaka angeordnet, die ich aufgrund einer Unverträglichkeit nicht nehmen darf. Bei dieser Zwangssituation entschloss ich mich zur Flucht. Da meine Lebensgefährtin auch nicht zu Besuch gelassen wurde, wartete sie vor der Klinik eigentlich auf die Polizei, weil ich vorerst keine Selbstjustiz begehen wollte. Doch die Polizei verwies mich, Anzeige zu erstellen, wenn ich entlassen bin. Doch ich war jetzt in der Notsituation und ich vermisste meine Lebensgefährtin. Ich entschloss mich, als der Pfleger zum Feierabend aus der Tür ging, ihn zur Seite zu schubsen und die Treppe runterzuspringen, wobei ich umknickte, er mich zu Boden riss und mich festhielt. Da ich am Boden von zwei Pflegern festgehalten wurde, schoss mich meine Freundin mit einer Gaspistole frei. Sie gab zwei Schüsse im Treppenhaus ab. Somit habe ich die Tat selbst nicht begangen, allerhöchstens angestiftet, aber verurteilt wurde ich zu gefährlicher Körperverletzung, obwohl es nur minimale Verletzungen gab.

Also wurdest du für ein Verbrechen verurteilt, bei dem du selbst keine gefährliche Körperverletzung verursacht hast?

Ja, genau. Im Anschluss gab es eine Verfolgungsjagd, bei der ich verunfallt bin. Dann wurde ich verhaftet, und nach der Verhaftung wurde darüber auch 2013 in „Hallo Deutschland“ berichtet. In der Hauptverhandlung wurde ich nur aufgrund meiner Flucht mit angeblich gefährlicher Körperverletzung verurteilt, die Verfolgungsjagd mit anschließender Verunfallung mit Verkehrsgefährdung wurde daraufhin eingestellt.

Deine Beschreibung der Isolationshaft klingt nach Folter: Was muss man machen, um in einer solchen Isolationshaft zu landen?

Oft kann schon eine kleine verbale Diskussion dafür ausreichen, um im Bunker zu landen. Aber nicht einmal dies war bei mir der Fall, es wurde von Seiten der Pflege eine Belästigung an einer externe Frisörin konstruiert und durch die damalige nicht mehr angestellte Ärztin wurde ich isoliert, wobei die externe Frisörin die Tochter einer Pflegeangestellten ist, was sich erst im Nachhinein als ein Komplott herausstellte und es von meiner Seite keinerlei sexuelle Anzüglichkeiten gab. Es gab keine Gefahr von meiner Seite. Seitdem werden mir Friseurbesuche unterbunden, selbst mit der Seelsorgerin darf ich nicht einmal an der Klappe sprechen. Zu meinem Isolationsverfahren und der angekündigten Zwangsmedikation hat mein Anwalt eine Verfassungsbeschwerde eingereicht.

Wie übersteht man eine solche Isolation? Wie schafft man es dabei nicht verrückt zu werden?

Zum Glück bin ich verrückt genug, es mir zur Aufgabe zu machen, gegen diese Übermacht von Institutionen vorzugehen und somit durch meinen Verteidiger mit Verfassungsbeschwerden gegen diese Isolation und für Gesetzesänderungen zu kämpfen und so der Klinik die Stirn zu bieten.

Der Alltag ist gewissermaßen schwer erträglich. Gerade anfangs führt Isolation zu Aggression, Depression, geistiger und körperlicher Erschöpfung. Ich leide unter einem Bore-out, gelegentlich auch Burn-out, da ich mit der Situation häufig überfordert bin, alles zu Papier zu bringen und meine Anwälte im Griff zu behalten. Und ich habe ja auch nichts anderes als diesen Kampf: Ich habe keinen Kontakt mit Insassen, keine Beschäftigung, bin eingesperrt auf engsten Raum, was dem Maßregelvollzug eigentlich widerspricht, in dem Fähigkeiten erhalten und gefördert werden sollen, wo ich jedoch in der Realität Unterdrückung, Folter, Nötigung und Freiheitsberaubung erlebe.

Immer wieder rapple ich mich auf durch Meditation, Yoga und Atemübungen, aber auch durch Kraft- und Ausdauertraining. In der Zelle natürlich leider ohne Geräte, aber da ich mich sehr belesen habe, kenne ich viele Übungen ohne Geräte. Ernährung nutze ich wie Medikation, beispielsweise Fisch, Olivenöl, Ingwer, etc., die ich mir bei meinem Regeleinkauf besorge. Auch dieser Einkauf wurde mir jedoch über mehrere Monate hinweg rechtswidrig sanktioniert.

Somit mache ich ein tägliches Work-Out, habe Pfandflaschen mit Wasser in eine Einkaufstasche gefüllt für diverse Übungen für Bizeps, Rücken, Schulter, ansonsten Liegestütze, Kniebeugen, Sit-ups, oder ich steige auf mein Metall-Klo und mache Stepper-Übungen. Oder ich mache den Hampelmann. So beuge ich Rückenproblemen vor, zeige Rückgrat und bringe meinen Kreislauf in Schwung.

Ansonsten schreibe ich viele Briefe, aber mache mir auch inhaltliche Notizen zu Vorkommnissen, den Verfahren und Stellungnahmen. Ich denke mir: Nur wer schreibt, der bleibt. Ein Anwalt kann nur so gut sein, wie sein Mandant ihn informiert oder führt.

Was hat sich für dich durch Corona geändert?

Eigentlich nichts, weil ich schon so lange isoliert bin. Die Pfleger sind jetzt mit Maske unterwegs. Von anderen Inhaftierten habe ich jedoch gehört, dass es hier erhebliche Einschränkungen gibt wie Besuchsverbot. Alle Lockerungen sind stillgelegt und selbst Entlassungen werden verschoben. Therapien wie Gruppen-, Gesprächs- und Sporttherapien finden aktuell kaum statt. Es gab schon mehrere Suizidversuche.

Welche Unterstützung wünschst du dir?

Ich finde es toll, dass sich nach drei Jahren die Außenwelt aus Solidarität mit mir isoliert. Ich würde mich freuen, wenn die Öffentlichkeit durch Presse und Journalisten darüber Kenntnis haben, was in ihrem Land passiert mit angeblichen Kranken und Gefährlichen. Deniz Yücel beklagte seine Isolationshaft in der Türkei, aber ich wäre froh, wenn wir erst einmal vor unserer eigenen Tür kehren würden in unserem sogenannten „Rechtsstaat“. Zur Unterstützung könnt ihr für weitere Informationen auf meiner Facebook-Seite finden: Ralph Hartwig auf Facebook

Und meine aktuelle Telefonnummer kann man hier erfragen: 0531 389 24 19.

Anmerkung Dirk Schadt: Das Interview wurde an mehreren Tagen telefonisch geführt. Vom 1. Mai bis zum 3. Mai gab es ein erneutes Telefon-Verbot, der Pfleger bezeichnete das Verbot im Gespräch selbst als „Machtspielchen“.

Mittlerweile findet man auf der Facebook-Seite auch eine Petition von Ralph an den Nordrhein-Westfälischen Landtag.

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4 Kommentare

  1. Eickelborn ist ein Standort für forensische Psychiatrie. Hier befindet sich niemand, der nur mal einen Selbstmordversuch unternommen hat. Hier handelt es sich um psychisch kranke Schwerkriminelle wie Mörder, Brandstifter und Kinderschänder. Die Straftäter werden im Gegensatz zum normalen Gefängnis zwangstherapiert und mit ihren Taten konfrontiert. Keiner der Insassen weiß, wann er Eickelborn wieder verlassen darf.

    Es ist auch typisch für Straftäter in dieser Einrichtung, dass sie nicht einsehen wollen, was sie getan haben. Im Gegenteil, sie fühlen sich ungerecht behandelt.

  2. Schwerkriminelle werde ganz bestimmt nicht dadurch therapiert, dass man sie zwangsbehandelt. Im Gegenteil, die Zwangsbehandlung führt logischerweise zu einem noch größeren Gewaltpotenzial. Manhat fast den Eindruck, dass hier gezielt Agressionen aufgestaut werden sollen um den Inhaftierten asl unbelehrbaren Gewalttäter darstellen zu können. Es gib t keinen vernüftigen Grund dafür, warum solche Täter nicht im regulären Strafvollzug untergebracht werden. Ggf. auch in Einzelhaft, aber ganz sicher nicht mit irgendeiner Zwangsbehandlung die ebenso eine Gewalttat darstellt. Gewalt erzeugt Gegengewalt, das weiß eigentlich jedes Kind. Zwangsbehandlung ist eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung. Wer mit Sprüchen wie „Selbst Schuld“ oder „Geschieht ihm Recht“ argumentiert, der hat den Zweck des Rechtsstaates nicht verstanden.

  3. Was denn nun, Frau Zoschke? Handelt es sich um eine psychisch kranke oder schwerkriminelle Person? Ich habe die Geschichte nicht verstanden, mir fehlt deren Anfang. Womit können Sie ihre dargelegte Meinung im konkreten Fall nachvollziehbar absichern?

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