Wie ich als langjähriger Wähler von Rot-Grün und der Linken politisch heimatlos wurde

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Foto: pixabay

Ich lebte lange gut mit diesen Narrativen, die uns das wohlig-zufriedene Gefühl gaben, in einer relativ gefestigten  Demokratie und in friedlichem Austausch mit den Nachbarn sowie in einer Welt der „regelbasierten Ordnung“ zu leben, in der naiven Annahme, dass unsere westlichen Grundwerte und Überzeugungen von allen anderen Ländern außer den autokratisch regierten geteilt werden müssten, über kurz oder lang: Demokratie siegt über Autokratie. 

So war ich grundüberzeugt z.B., dass wir in einer sozialen Marktwirtschaft leben, um die uns die Welt beneidet, dass wir in der Weltpolitik nach 1990 nun Verantwortung  übernehmen müssen zum Schutz der Menschenrechte und dass wir den Autokraten überall die Stirn bieten mit unserer  nun sogar feministisch akzentuierten Außenpolitik, dass wir den Verfolgten auf der Welt Asyl gewähren und bereit sind, ein Stückchen von unserem Wohlstand mit ihnen zu teilen: Merkels „wir schaffen das.“ 

Lange glaubte ich, die SPD sei die Partei der sozialen Gerechtigkeit…

Mit diesen Narrativen sind die Programme und Wahlkampfparolen der etablierten Parteien gefüttert. Bekanntlich aber ist ein anderes Wort für Narrativ  Propaganda oder Märchen. Lange glaubte ich, die SPD sei die Partei der sozialen Gerechtigkeit und der kleinen Leute, bis  mir der sozialdemokratische Kanzler Schröder mit seiner Agenda 2010 und seiner Rentenkürzungspolitik diese Illusion nahm und den größten Niedriglohnsektor in Europa eröffnete, den Großkonzernen Steuergesetze schenkte, die zu Milliarden-Geschenken der Konzerne und ihrer Aktionäre führten. 

Dann glaubte ich, die GRÜNEN seien die Partei der Zukunft…

Dann glaubte ich, die GRÜNEN könnten mit ihren Vorstellungen von ökologischer Transformation der Wirtschaft hin zu klimaneutraler Energiegewinnung bei gleichzeitigem sozialem Ausgleich die Partei der Zukunft sein, friedensbewegt, sozial, ökologisch eben. Das friedenspolitische Ziel der Abrüstung, Deeskalation und der Orientierung an Gewaltfreiheit und sozialem Widerstand an Stelle von militärischen Instrumenten hat mich überzeugt, bis der grüne Außenminister Joschka Fischer den ersten völkerrechtswidrigen Einsatz der Bundeswehr in Serbien und im Kosovo mit Hilfe eines extrem demagogischen Vergleichs rechtfertigte: Die bürgerkriegsähnlichen Kämpfe zwischen Kosovaren und Serben verglich er 1999 geschichtsvergessen mit dem Holocaust, „nie wieder Auschwitz“.

Von da an waren NATO-nahe und transatlantische Netzwerke sehr daran interessiert, den GRÜNEN ihre Sicht der Weltpolitik zu erklären ( mittels diverser interessengeleiteter Studien, thinktanks, Stiftungen) oder auch sogenannte „young leaders“, d.h. junge Führungskräfte zu schulen oder zu unterstützen, so geschehen etwa bei Annalena Baerbock. Der Blick auf die völkerrechtswidrigen, von imperialen Motiven getriebenen Kriege der USA, auf die vielen Regime-Change-Operationen in Süd- und Mittelamerika und im Nahen Osten wurde dadurch natürlich unscharf und schließlich blind. Die GRÜNEN übernahmen Stück für Stück die geopolitischen Sichtweisen der NATO und jeweiligen US-Administration – rühmliche Ausnahme: Schröders und Fischers Nein zum Irakkrieg 2003. 

Seit 2008 „gab es keine unabhängige deutsche Außenpolitik mehr“, urteilt der amerikanische Entwicklungsökonom Jeffrey Sachs, der als ehemaliger Berater der postkommunistischen Regierungen Russlands und Polens die transatlantische Politik seit Jahren beobachtet und mit vielen Spitzenpolitikern und Regierungschefs zusammentraf. Nun sind die Grünen unübertroffen in ihrem militaristischen Kurs und übertrumpfen die anderen Parteien in ihrer Ausrüstungsbegeisterung, als ob beiderseitige Aufrüstung im West- Ostverhältnis je zu mehr Sicherheit beigetragen hätte. Die grüne Führung hat alles vergessen, was die Konfliktforschung längst erwiesen hat; Aufrüstung verschärft das Sicherheitsdilemma und erhöht das Risiko. Nicht zuletzt ist militärische Hochrüstung ein zentraler Klimakiller. 

Der grünen Führung wurde es aber wichtiger mitzuregieren, und wenn es um Bundestagsmandate und Ministerämter geht, mäandert das grüne Gewissen in Richtung Machterhalt und Systemstabilisierung. Die reichhaltigen Diäten, die Assessoirs, der Status politischer Macht und die sie umschwärmenden Netzwerke der Lobbyisten korrumpieren die Führungselite ganz schnell. Dann ist die Wiederwahl mit Unterstützung der oberen Führungsebene wichtiger als das grüne Gewissen, zumal die ursprünglichen basisdemokratischen Reformansätze wie Ämter-Rotation, Verbot der Ämterhäufung und Amtszeitbegrenzung rasch aufgegeben wurden. Vergessen ist auch die Kritik am zerstörerischen Wachstumszwang des profitgetriebenen Kapitalismus, ihm wurde nur noch das grüne Mäntelchen umgehängt, hinter dem sich auch neoliberal denkende Konzernlenker verstecken können. So ist es heute völlig en vogue grün zu sein und völlig harmlos für das Weiterbestehen unseres politischen und wirtschaftlichen Systems, das unter der Vorherrschaft neoliberalen Denkens immer mehr Reichtum beim oberen Zehntel der Gesellschaft fördert und immer mehr Armut und Prekariat in den unteren Schichten.

Und die Linke?

 Und die Linke? Sie geht tendenziell auch den Weg der Grünen, um koalitionsfähig zu bleiben oder zu werden und öffnet sich neuen aktivistischen woken Gruppen, die lautstark ihre gefühlte Diskriminierung beklagen, jung, aktiv, queer und urban. Die Folge ließ sich rasch besonders im östlichen Teil Deutschlands beobachten: Die neue Arbeiterpartei war nicht mehr die Linke, sondern die AFD. Die unterschiedlichen Lebensverhältnisse von Stadt und Land hat die Linke schlicht vergessen zu berücksichtigen. Immer mehr Menschen, für die die Linke eine politische Hoffnung war, Arbeiter, Rentner, prekär Beschäftigte, Arbeitslose u.a., wenden sich von ihr ab und suchen nach einer Alternative. Sie finden Gehör bei der rechtspopulistischen AFD, die diese Repräsentationslücke in unserem Parteiensystem gewissenlos ausnutzt. Die Linke aber marschiert brav an der Spitze der Demos gegen Rechts und für die Demokratie – ins politische Abseits. Denn die Überzeichnung der AFD als Nazi- oder faschistische Partei (Vergleiche mit der NSDAP sind historisch abwegig) führt zu einer gefährlichen Polarisierung und stellt ein Viertel der Wähler außerhalb des akzeptierten Meinungsspektrums. Wer für Demokratie und gegen Rechts demonstriert, findet in seinen Reihen alle Vertreter der etablierten Parteien, die durch ihre Politik erst bewirkt haben, dass viele Menschen sich nicht mehr von ihnen repräsentiert sehen und somit die AFD stark gemacht haben.

Der Einsatz der Linken für Menschenrechte und für die Verteidigung des Asylrechts ist ausdrücklich zu loben, aber auch hier sollte ein realistischer Blick auf die Migrationsbewegungen weltweit und auf unsere Ressourcen und Belastungsgrenzen in den Kommunen nicht fehlen. Hat die SPD, deren Verteidigungsminister Peter Struck einst stolz verkündete, die Sicherheit Deutschlands werde am Hindukusch verteidigt,  ernsthaft darüber nachgedacht, wie viele junge Männer durch den NATO-Krieg in Afghanistan traumatisiert wurden, wie viel an gesellschaftlichen Strukturen dort zerstört wurde, weshalb so viele schwer traumatisierte Flüchtlinge zu uns kamen und hier ohne Hilfe und Unterstützung leben müssen, was sie zu idealen Opfern der IS-Propaganda macht? 

Fluchtursachen bekämpfen heißt das rot-grüne Zauberwort in der Migrationspolitik. Ja, dann hört doch mit diesen geopolitisch motivierten Kriegen und Regime-Stürzen auf, siehe Irak, Syrien, Libyen, Ukraine und Georgien!

 Wen soll ich also noch wählen?

1 Kommentar

  1. Ich denke, das Reinhard Faudt nicht der einzige ist, der durch das Abdriften der Parteien seine politische Heimat verloren hat.
    Obgleich es bei den Linken bestimmt viele friedenspolitisch orientierte Mitglieder gibt, stellen die Linken bei dem Thema Frieden einen Wackelkandidaten dar. So forderte Rackete als EU-Abgeordnete der Linken bei einer Resolution im EU-Parlament die »Einschränkungen des Einsatzes westlicher Waffen« aufzuheben und den »Taurus« an Kiew zu liefern (Sept. 2024)
    Die Abgeordneten des Bundestages haben am 30. Januar 2025, einen Antrag der Gruppe BSW mit dem Titel „Keine Lieferung der Taurus-Marschflugkörper – Diplomatie zur Beendigung des Ukraine-Krieges unterstützen“ (20/14295) beraten. Für die direkte Behandlung stimmten nur die Abgeordnete des BSW. Die Vorlage wurde anschießend zur weiteren Beratung in den Auswärtigen Ausschuss überwiesen – mit den Stimmen der Linken. Der Taurus stellt eine große Gefahr für den Kriegseintritt Deutschlands dar, daher ist der Taurus die Nagelprobe für deutsche Politiker und da möchte man doch nicht so kurz vor den Wahlen Farbe bekennen.

    Das Bündnis BSW, das eindeutig gegen den Krieg Stellung nimmt, wird von den Mainstreammedien systematisch benachteiligt, während die Linken neuerdings hoch geschrieben werden.

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