NATO-Generäle drohen Russland – was geht mich das an?

0
Symbolfoto: pixabay

Zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres droht ein NATO-General in harschem Ton Russland. Der Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Guiseppe Cavo Dragone, in einem Interview mit der Financial Times vor wenigen Tagen: „Aggressiver als unser Gegenüber zu sein, könnte eine Option sein.“ Die NATO sei in ihren Aktionen durch ethische, rechtliche und völkerrechtliche Regeln an mehr Einschränkungen gebunden als das Gegenüber, und das sei ein Problem. Aber: „Wir prüfen alles.“ Einige Vertreter insbesondere osteuropäischer Staaten haben die NATO zu einem Gegenschlag gegen angebliche hybride Aktionen Russlands aufgefordert. Ein solcher Schlag sei zwar „weit entfernt von unserer normalen Denkweise“, nun erwäge die NATO allerdings eine Änderung ihrer Strategie (Quellen: suedtirolnews.it, 2.12.25; Berliner Zeitung 1.12.25).

General Donahue droht mit Einnahme von Kaliningrad „in einem nie dagewesene Tempo“

Schon im Juli hatte der Kommandeur der Landstreitkräfte der USA in Europa (und gleichzeitig NATO-Kommandeur für diesen Bereich), General Chris Donahue, in Wiesbaden mit der Einnahme des russischen Territoriums um Kaliningrad durch NATO-Streitkräfte gedroht: „Wir haben das bereits geplant und durchgespielt. … Und wir haben die Fähigkeiten entwickelt, Russlands Vorteil durch Masse und Momentum zu neutralisieren. Wir wissen schon genau, was wir dazu brauchen.“ Das Gebiet um Kaliningrad sei gerade einmal 75 Kilometer breit und von allen Seiten mit NATO-Staaten umgeben. Man könne das Gebiet „in einem nie dagewesene Tempo“ einnehmen, man müsse nur über ausreichend Raketenwerfer verfügen (Quellen: „Augen geradeaus“, 19.7.25, dort kann jeder die Rede als Video und als Transkript anschauen; t-online, 19.7.25).

Erst kürzlich haben wir über eine Äußerung des französischen Generals Mandon berichtet, der einen „Schock in drei, vier Jahren“ gegen Moskau in Aussicht gestellt hat. Man erkennt deutlich, dass hier nicht dem einen oder anderen die Pferde durchgegangen sind, wie das des Öfteren bei unserem Bundeskanzler zu beobachten zu sein scheint. Nein, auf der Führungsebene der NATO ist ein gefährlicher Wandel im Gang.

General Popow: Wie Russland auf einen Präventivschlag reagieren würde

Auf russischer Seite wird das natürlich aufmerksam registriert, wie entsprechende Äußerungen zeigen. So stellt General Wladimir Popow in einem Interview nüchtern fest: „Wenn ein Soldat solche Aussagen macht, bedeutet das, dass die Planung für eine solche Operation bereits läuft.“ Im Falle eines Angriffs der NATO würde es eine umfassende Vergeltungsaktion geben; um einen solchen konzentrierten Gruppenangriff zu verhindern, werde es wohl für Russland notwendig sein, Atomwaffen einzusetzen. Das entspricht tatsächlich der russischen Nukleardoktrin. Popow betont: „Den Militärs sind die Konsequenzen bestens bewusst (anders als manchen Politikern, A.M.), weshalb sie normalerweise ja keine so harschen Aussagen machen.“ Auf die Frage, ob die NATO eine Bodenoperation im Raum Kaliningrad beschließen könnte, antwortet er: „Natürlich, Dummheit ist ja endlos.“ Aber immerhin gebe es in Frankreich, Deutschland oder auch Polen noch vernünftige Generäle, die genau wüssten, dass eine solche Operation zum dritten Weltkrieg führen würde. Und die im Rahmen der NATO dagegen stimmen würden, ist wohl gemeint (Quelle: Anti-Spiegel, 4.12.25). Ob diese Einschätzung realistisch ist?

Muss man die Drohungen ernst nehmen oder ist das nur Abschreckungsgerede?

Man könnte einwenden, dass diese martialischen Äußerungen ja nur dazu da seien, Russland von einem Abgriff abzuschrecken. Tatsächlich muss man im Atomzeitalter im Rahmen der gegenseitigen Abschreckung immer dem Gegner vor Augen führen, dass ein Angriff von seiner Seite letztlich einem Selbstmord gleichkäme. Aber gleich mit einem Angriff auf das gegnerische Staatsgebiet drohen? Das gab es selbst in Zeiten des Kalten Krieges nicht. Spätestens nach der Kubakrise 1962 erkannten beide Seiten das hohe Risiko. Sie hörten zwar nicht auf zu rüsten, aber sie suchten den diplomatischen Kontakt, richteten ein rotes Telefon ein und kamen zu Vereinbarungen, die den Krieg, vor allem den Atomkrieg vermeiden sollten. Diese zweite Seite ist inzwischen aber „abgeschafft“. Die letzte noch gültige Vereinbarung (START II) läuft im Frühjahr 2026 aus. Wenn in einer solchen Situation mit dem Feuer gespielt wird, ist die Brandgefahr erheblich größer als im Kalten Krieg.

Dazu kommt die geplante Stationierung von weit in das russische Territorium reichenden Mittelstreckenraketen (Termin: 2026, Ort: nur in Deutschland), die ohne Not die Eskalation auf eine neue Stufe steigen lässt. Und der Beschluss, die NATO-Rüstung zu steigern wie nie zuvor, obwohl selbst die europäischen NATO-Staaten schon jetzt den russischen Streitkräften überlegen sind, wird die Alarmstimmung in Russland sicher auch nicht abschwächen. Und natürlich wird auch Russland weiter an der Rüstungsschraube drehen, wenn es zu keiner umfassenden Friedensregelung kommt, die dann auch das kontrollierte Abrüsten beider Seiten festlegt.

Selbst wenn keine Seite den Krieg wollte: die Gefahr steigt, solange nur auf Rüstung und Abschreckung gesetzt wird

Es gibt verschiedene Szenarien, wie es zu einem Krieg zwischen NATO und Russland kommen könnte. Das verantwortungslose Drohen der Generäle verstärkt das gegenseitige Misstrauen und die Spannungen. Dass ein Krieg wegen Fehlinterpretation der Absichten des Gegners entsteht, ist eine Möglichkeit, die näher rückt und die umso gefährlicher ist, als inzwischen automatisierte und KI-basierte Waffensysteme auf beiden Seiten vorgehalten werden. Dass sogar ein Krieg beim Abschreckungspoker in Kauf genommen wird, lässt sich leider auch nicht ganz ausschließen, vor allem, wenn die eigenen militärischen Kräfte überschätzt werden und man dadurch immer wagemutiger wird.

Drohungen und Kriegsgefahr: Na und?

Bekanntlich gibt es verschiedene Reaktionsweisen, wenn Menschen eine Gefahr droht: sie können sich ihr stellen, um gegen sie anzugehen; sie können weglaufen, um ihr zu entgehen; sie können aber auch die Augen vor ihr verschließen oder sie ignorieren. Weglaufen ist hier offenbar keine Option. Die Augen zu verschließen kommt zwar auch im Alltag nicht selten vor, aber eigentlich weiß jeder, was davon zu halten ist. Jeder kennt auch den Spruch: „Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“. Das Dumme ist nur, dass der Krieg blitzschnell zu uns kommen kann. Wenn die erste Rakete fliegt, ist es zu spät, dann können wir das Geschehen nicht mehr beeinflussen, nur noch erleiden. Das Unheil nähme dann seinen Lauf. Aber noch ist es in unserer Hand, das zu verhindern. Wenn die Drohungen der Generäle dazu beitragen, dass vielen die Augen aufgehen, hätten sie sogar noch eine – nicht beabsichtigte – positive Nebenwirkung.

Möchten Sie den Artikel kommentieren

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.