Dr. Helmut Kramer in Karlsruhe. Der Nazirichter Willi Geiger und sein unheilvolles Wirken in der jungen Bundesrepublik

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Dr. Helmut Kramer bei seinem Vortrag über den Fall Willi Geiger, der sowohl dem Bundesgerichtshof (auch als Senatspräsident) als auch dem Bundesverfassungsgericht als „Mann der ersten Stunde“ angehörte. Dieser NS-Richter vom Sondergerichtshof galt als „starker Mann in Karlsruhe“. (Alle Fotos: Uwe Meier)

Da geht man nichts ahnend zu einem Vortrag von Dr. Helmut Kramer aus Wolfenbüttel ins Generallandesarchiv Karlsruhe, um sich den Fall des Dr. jur. Willi Geiger anzuhören, und dann das: Aktuelle Politik am Fall des Ober-Grünen und Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann. Wieder einmal wurde allzu deutlich wie eng Geschichte, auch NS-Geschichte, mit aktueller Politik (diesmal grüner) verknüpft sein kann. Aber der Reihe nach:

Prof. Dr. Krimm, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für geschichtliche Landeskunde am Oberrhein e.V. begrüßt die Zuhörer und den Referenten

Auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft für geschichtliche Landeskunde am Oberrhein, dem Forum Justizgeschichte e.V. und dem Kugelberg Verlag war Helmut Kramer, trotz seines hohen Alters, nach Karlsruhe gereist, um über die personelle Kontinuität des NS-Schreibtischtäters und späteren Bundesrichters Willi Geiger zu berichten.

Dr. Wolfgang Proske, Herausgeber und Mitautor der Buchreihe „Täter Helfer Trittbrettfahrer“ über NS-Belastete aus Baden-Württemberg. 2014 begründete Proske den „Kugelberg – Verlag für historische Sozialforschung“. Er begrüßte als Initiator des Vortrags von Helmut Kramer die Anwesenden.

Das Mitglied des „Forum Jutizgeschichte“ und ehemaliger Präsident des Landgerichts Lübeck, Hans-Ernst Böttcher, ist seit vielen Jahren Helmut Kramer eng verbunden. Er leitete die Veranstaltung, die in Karlsruhe stattfand, und die dort auch hingehörte, denn das Verfassungsgericht hat im Fall Geiger, ihres früheren Präsidenten, noch so Einiges aufzuarbeiten.

Thema des Vortrags: Ein Jurist im NS-Staat und in der Bundesrepublik – Willi Geiger, Richter am Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht

Kramer hatte zuvor im Heft 7 von „Täter Helfer Trittbrettfahrer“, im Kugelbergverlag zu dem Thema publiziert. „Ein Buchbeitrag von Helmut Kramer über Willi Geiger.“

Der Vortrag, auf der Grundlage der Publikation, machte deutlich: Der Fall Willi Geiger stellt alle anderen Fälle personeller Kontinuität von NS-Schreibtischtätern in den Schatten. Schon die NS-Belastung ist gravierend. Aber auch in seinem Wirken nach 1945 übertrifft Willi Geiger mit seinem großen Einfluss alles, was andere NS-Täter in der Bundesrepublik an Unheil angerichtet haben. Und von den tausenden ehemaliger NS-Juristen hat es kein anderer so erfolgreich wie Willi Geiger verstanden, seine Vergangenheit nicht nur vergessen zu machen, sondern sogar gelobt und gefeiert zu werden. Siehe dazu auch: „Justizgeschichte Aktuell

Geiger und die Berufsverbote (Radikalenerlass): Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) legte in seinem Berufsverbote-Urteil vom 22. Mai 1975 allen Beamten eine bislang unbekannte Rechtspflicht auf, nämlich eine „politische Treuepflicht„. Diese forderte von den Beamten mehr als eine nur formal korrekte Haltung gegenüber Staat und Verfassung. Vielmehr müsse er sich in dem Staat, dem er dienen soll, „zu Hause fühlen“. Deshalb könnten nur solche Anwärter ins Beamtenverhältnis berufen wer­den, die auch die Gewähr dafür bieten, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten. Richter em. Helmut Kramer vertrat und begründete auch an diesem Abend die Meinung, dass dieses Urteil in allen seinen wichtigen Passagen Geiger zuzuschreiben sei. Geiger habe damit einen klaren Verfassungsbruch begangen.

Über 100 Zuhörer lauschten den Ausführungen von Helmut Kramer. Die ZuhörerInnen kamen aus ganz Baden Württemberg, und es waren so einige Geiger-Betroffene darunter. Selbstverständlich auch zahlreiche Juristen.

In der Diskussion nach dem Vortrag holte die Geschichte der Berufsverbote die Gegenwart ein. Der Lehrer Klaus Lipps, selbst Leidtragender der Berufsverbote, und bis heute engagierter Vertreter derjenigen, die unter den Berufsverboten zu leiden hatten, dankte Helmut Kramer für seine deutlichen Worte. Ihm sei nun klar geworden, wem er dieses Urteil zu den Berufsverboten zu verdanken habe. Nämlich dem Herrn Geiger, dem ehemaligen Nazirichter.

Die Diskussion nach dem Vortrag war nicht nur intensiv sondern auch spannend und aktuell

Es kam die Frage nach dem MP Kretschmann auf. Warum er als Grüner und ehemaligem KBW-Mitglied, nun nicht dafür Sorge trage, dass all die in B-W zu Unrecht verfolgten, den durch Berufsverbote drangsalierten und ihren Karrieren beraubten, nicht endlich eine Entschuldigung geboten werde. Zumal der Obergrüne angeblich selber an einem Berufsverbot durch Solidarität anderer vorbeischrammte und heute nichts für eine Rehabilitierung damals Betroffener tun will.   Er könnte und sollte sich für eine schonungslose Aufarbeitung der staatlichen Verfolgung unschuldiger Menschen, zu denen auch er selbst gehörte, einsetzen. Siehe dazu: „Die Akte Kretschmann

Und Niedersachsen?

Auch die bis in die jüngsten Tage reichende Aktualität ergibt sich schon daraus, dass der letzte niedersächsische Landtag sich mit dem Versuch einer wenigstens moralischen Rehabilitierung der Opfer der Berufsverbote befasst. Ein Vorhaben, dass durch die Neuwahl des Nds. Landtages jetzt wieder infrage gestellt ist. Die CDU hat sich bislang gegen jede Rehabilitierung von „Gesellschaftsveränderern“ und anderen „Verfassungsfeinden“ ausgesprochen.

Laut der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) erfolgten in Sachen „Radikalen-Erlass“ zwischen 1,4 und 3,4 Millionen Regelanfragen der Verwaltungsbehörden über Verdächtige an den Verfassungsschutz. Es kam zu 11.000 Verfahren wegen Tätigkeitsverbots und  2.200 Disziplinarverfahren. Die Folge waren zwischen 1.100 und 1.250 Ablehnungen von Bewerbern sowie  265 Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst.

Mit den einzelnen Berufsverboten  geschah nicht  nur individuelles Unrecht. Vielmehr  wurde  auch verhängnisvoll in die gesellschaftliche Entwicklung eingegriffen. Oft wurde  gerade den fachlich besonders Qualifizierten der Weg zu einer Mitgestaltung in den pädagogischen und anderen Berufen versperrt.

Vgl. Helmut Kramer, Ein vielseitiger Jurist. Willi Geiger (1909 – 1994), Kritische Justiz 1994, S. 232 ff; siehe auch http://www.kj.nomos.de/?id=2679

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