bis zum 14. September 2025
Wer Verschiebungen von Perspektiven schätzt, neue Sichten auf bekannte Welten sucht, Unkonventionelles spannend findet, sollte sich unbedingt die aktuelle Ausstellung des Photomuseums anschauen.
Die Dokumentarfotografie-Förderpreise der Wüstenrot-Stiftung sind seit 1994 die bedeutendste Auszeichnung dieser Art in Deutschland. Die Ausstellungen der Preisträger:innen werden seit zwei Jahrzehnten regelmäßig auch im Museum für Photographie präsentiert.
Der Förderpreis richtet sich an Fotograf:innen, die sich mit Themen der realen Lebenswelt beschäftigen und mit zeitgenössischen Mitteln die Repräsentationsfunktionen der Fotografie immer neu definieren.
Ob es sich bei der aktuellen Ausstelung noch um eine “echte” Dokumentar-Fotoausstellung handelt, kann Besucher:in sich natürlich irgendwann mal fragen. Aber im Grunde spielt das keine Rolle. Gerade die Vielgestaltigkeit der Schau macht sie einfach zu einem “Must See”.
Da ist die Videoinstallation Unstable Group von Dudu Quintanilha, eine Zusammenarbeit mit Laiendarstellern, die durch ihre Schauspielpraxis miteinander verbunden sind.

Das ist einfach so unschlagbar hintergründig, witzig, ernsthaft, nachdenklich; das ist wie Platznehmen in den Gedankenwelten anderer Menschen und auf ihre ganz eigene, manchmal ein bißchen absurde Weise tatsächlich eine wunderbare Dokumentation über die gemeinsame Suche nach der Wahrhaftigkeit in gesprochenen Worten.
Ramona Schacht verarbeitet, fragmentiert, rekontextualisiert historisches Bildmaterial von Arbeiterinnen in Textilfabriken in Leipzig und Kyiv aus kommunistischen Zeiten.
Tatsächlich aber macht sie in PICTURES AS A PROMISE (p.a.a.p.) noch viel mehr, macht etwas Wunderbares: Ramona Schacht gibt den Arbeiterinnen durch ihre künstlerische Arbeit an diesen Propagandafotos die Würde zurück.

Damals Teil einer propagandistischen Bilderwelt, geschaffen um die produktive Kraft des Sozialismus, die Hingabe der Frauen an ihre Arbeit für den Aufbau des Sozialismus und an den Staat zu propagieren (der sie dafür oft mit Orden, Urkunden, Blumensträußen, verlogenen Lobpreisungen und Feierstunden “belohnte”), entlarvt die Künstlerin die inszenatorischen Lügen, Klassen- und Geschlechtergrenzen aufzuheben.


Ramona Schacht unterwirft die Bilder durch die Fragmentierung der fotografierten weiblichen Körper einer sehr nachdenklichen fotografischen Revision, es schaft neue, individuelle Spannungsverhältnisse zu den Entstehungskontexten und gibt diesen Frauen auf eine sehr sensible, zugewandte Weise Würde und Individualität.

Wunderbar ist auch ihr Kittelschürzen-Kunstwerk, von dem ein skuriler Zauber ausgeht.

Jana Bauch begleitet für ihr Projekt Y-Topia zwischen 2021 und 2023 Aktivist:innen der jungen, internationalen Klimaprotest-Bewegung im mittlerweile dem Braunkohletagebau zum Opfer gefallenen Ort Lützerath.

In ihrer Arbeit ist sie nicht interessiert an schnell verwertbaren Pressefotos. Was sie will: das Leben der Aktivist:innen sichtbar machen, herausfinden, was es individuell bedeutet, Aktivist:in zu sein, auf engstem Raum zusammenzuleben.
Ihre Bilder sind manchmal wie einfache Schnappschüsse, situativ, manchmal auch beobachtend, nachdenklich, von emotionaler Intensität.
So entsteht eine lebendige, sehr persönliche Fotodokumenation, die vor allem auch der Individualität der Aktivist:innen, ihren Wünschen, Hoffnungen, Ängsten, ihren Gesichtern, Gesten, Blicken viel Raum gibt, ihnen als selbstbestimmten Menschen Würde verleiht.
Nach der Räumung besuchte Jana Bauch verschiedene Aktivist:innen, sprach mit ihnen über die (gemeinsame) Zeit in Lützerath, zeigte ihnen Fotos, auf denen die Aktivist:innen dann Gedanken, Impressionen, Erinnerungen aufschrieben, die in der Ausstellung zu sehen und unbedingt lesens – und nachdenkenswert sind.

Teil der Ausstellung ist auch ein ca. 30minütiges, sehr sehenswertes Video.

Soft Pass von Marc Botschen ist der Versuch einer individuellen ästhetischen Dekonstruktion eines furchtbaren Objektes, eine intensive künstlerische Auseinandersetzung mit eigener Herkunft und Identität im historischen Kontext.
Der so genannte “Ahnenpass” seiner Familie war der besondere Stolz seines Urgroßvaters.
(Kurz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde damit begonnen, rassistisch begründete Ausgrenzung in die Gesetzgebung zu übertragen, z.B. mit dem so genannten „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom April 1933 und wurde in den sog. “Nürnberger Gesetzen” weiter verschärft. Dieser „Abstammungsnachweis“, umgangssprachlich auch „Ariernachweis“ genannt, bezog sich in der Regel auf die Eltern und Großeltern. In Fällen des so genannten großen Abstammungsnachweises mussten Urkunden für alle am Stichtag 1. Januar 1800 lebenden Vorfahren beigebracht werden. Mitglieder bestimmter nationalsozialistischer Organisationen hatten den Nachweis bis zum Jahr 1750 zurückreichend zu erbringen. Diese Nachweise wurden im “Ahnenpass” dokumentiert).
Dem Künstler gelingt es, Besucher:in mit dieser anfangs visuell etwas irritierenden Serie von zwischen Schrift und Bild changierenden, ornamentalen Tableaus und Fotografien in seine individuelle Auseinandersetzung mit diesem furchtbaren Dokument zu verwickeln und zum Nachdenken über eigene familäre Vergangenheiten anzuregen.

Zur Ausstellungs ist ein sehr informativer und lesenswerter Katalog erschienen.























