DER BRAUNSCHWEIGER HAFEN – EIN RUNDGANG

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Blick auf die Hafenanlage. Alle Fotos: Martin Brandes

Der Braunschweiger Hafen ist nicht nur einfach ein Ort für Warenumschlag, eine Ansammlung von Gebäuden, Kränen, Technik, Containern.

Der Braunschweiger Hafen ist ungeschminkter Alltag, nicht hübsch oder dekorativ oder auf offensiv technische Weise modern oder auf touristisches Entzücken und Sight-Seeing ausgerichtet. Keine Hafenidylle, keine Hafenrundfahrten mit Musik, keine Fischbrötchen, keine Hafenkneipe, kein Tourist-Pavillon – nein, noch nicht mal Ansichtskarten.

Also keine Romantik – nirgends. Aber mit Charakter, Geschichte und Geschichten. Mit Gebäuden, die diese Geschichten erzählen, wenn man zuhören möchte. Gibt es Bücher, Filme über diesen Hafen mit dem Arbeitsgesicht?

Ein bißchen im Verborgenen liegt er, den wohl jeder Braunschweiger kennt (aber nur wenige gehen dorthin). Für Sonntagsspaziergänge ist dieser Hafen allerdings auch eher nicht geeignet.

Hafenkran Unteransicht

Es fehlt an der nötigen Idylle, auch an Spazierwegen, in Grunde sogar an der Erlaubnis zum Spazierengehen, denn das Betriebsgelände – so der völlig romantikfreie offizielle Ausdruck für den 63 Hektar großen Hafenbereich – ist im Eigentum der Stadt, also Privatgelände mit Betretungsverbot.

Toleriert werden Besuchende aber schon, solange sie nicht auf Kräne klettern, um einen besseren Überblick zu haben oder auf die Stahlschrottberge, um ein künstlerisch wertvolles Fotomotiv zu schießen und sich dann vielleicht nicht mehr herunter trauen.

Natürlich war hier früher mehr los, mehr Frachtschiffe, also auch mehr Menschen, mehr Action, es gab einen Kaufladen, sogar eine Hafenkneipe, viel mehr menschliches Gewusel. Im Gebäude der ehemaligen Kneipe sind jetzt übrigens die Aufenthaltsräume der Mitarbeiter der städtischen Hafengesellschaft.

Hafeneröffnung war 1934. Start der Bauarbeiten 1926.

Der Hafen war in der nationalsozialistischen Zeit ein sehr wichtiger Umschlagplatz. 1938 erfolgte der Durchstich des Mittellandkanals zur Elbe. Die Umschlagsmengen wuchsen.

Der Hafen profitierte stark von der Kriegsrüstung und später von der in Braunschweig und Salzgitter produzierenden kriegswichtigen Industrie.

Bunker aus dem 2. Weltkrieg

Während Braunschweig im Februar 1945 zu 90 % zerstört wurde, blieb der Hafen praktisch unbeschädigt.

Seit Braunschweigs Hafen nach der Wiedervereinigung nicht mehr die letzte westliche Schiffs-Station vor Einfahrt in die DDR und den Ostblock ist (hier hatte z.B. die polnische Zollbehörde sogar eine eigene Vertretung) und deshalb hier vieles um- und abgeladen wurde, seitdem mehr Güter auf den neu gebauten Autobahnen per LKW transportiert werden, seit die Schiffe mehr Tonnage haben, schneller unterwegs sind (meist auch nur noch mit 2 Besatzungsmitgliedern, die ohne Familien fahren), wirkt der Hafen mit seinem aktuellen durchschnittlichen Warenumschlag von 1 Million Tonnen weniger geschäftig und lebendig, als er es eigentlich immer noch ist.

Spediteure, Schiffseigner, Frachtagenten feilschen jetzt allerdings nicht mehr direkt am Hafen um Aufträge und Frachtraten.

Stattdessen unaufgeregte Geschäftigkeit mit LKW und Containerverkehr im mit 38.000 qm größten Containerhafen im norddeutschen Binnenland.

Es liegt ein Hauch von professioneller Gelassenheit über dem Gelände. Keine aufgeregten Menschen hasten herum. Alle wissen, was er/sie zu tun haben.

Der Hafen ist ein Sammelsurium pragmatischer Arbeitsarchitektur der letzten (fast) 100 Jahre, mit Gebäuden, denen man das ansieht. Ohne dass es irgendwelche Fragen nach Aufhübschung aufwerfen würde.

Hier müssen keine Transformationsprozesse eingeleitet werden. Hier bedarf es keiner Vitalisierung, denn hier ist alles vital. Überall einwandfrei funktionierende Technik.
Auch bei Kränen aus den 1960er Jahren.
Hier stehen Gebäude, die sich nie etwas aus Farbdesign oder Architekturwettbewerben gemacht haben.
Sie sind einfach da, erfüllen ihre Funktion.
Die Natur drumherum wächst und blüht und grünt, egal ob auf dem riesigen Schrottplatz die Brombeeren, auf der Brachfläche die Wiesenkräuter oder die Bäume, die überall wachsen, wo sie können.

Der Braunschweiger Hafen ist mehr als ein regionaler Wirtschaftsfaktor, mehr als ein Warenumschlagplatz, mehr als ein Betriebsgelände.

Er ist auch ein faszinierender, aktiver Wahrnehmungsort, wo es unerwartete Konstellationen von Technik, architektonischen Räumen, Natur zu entdecken gibt – für einen ganz speziellen Industrie-Kultur-Rundgang.

Fotogallerie, alle Fotos: Martin Brandes

1 Kommentar

  1. Ein schöner Artikel nach einem interessantem Hafenrundgang. Was für mich noch interessant war: Das Phänomen Wirtschaft-Umwelt. Der Transport von modischer Kleidung von Hamburg nach BS dauert mit Schiff 2 Tage, mit LKW 4 Stunden. In der Zeit kann Mode schon nicht mehr aktuell sein.

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