Massenklagen nach rechtswidriger Freiheitsentziehung in Göttingen

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Groner Landstraße 9 in Göttingen. Der Hochhauskomplex wurde in der Coronapandemie im Juni 2020 für ca. eine Woche komplett abgeriegelt, alle dort Wohnenden durften den Komplex nicht verlassen, egal ob sie mit Corona infiziert waren oder nicht. Foto: Wikimedia, CC0 1.0

Von RA Sven Adam

223 Personen aus 78 Familien klagen nach rechtswidriger Freiheitsentziehung durch Umzäunung des Gebäudekomplexes in der Groner Landstraße 9 in Göttingen auf Schmerzensgeld. Insgesamt wird ein Schmerzensgeld für den Freiheitsentzug in Höhe von 880.850,00 € gefordert.

Göttingen, den 04.01.2024. Nach der viel beachteten Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Göttingen vom 30.11.2023 (siehe Bericht) zur Rechtswidrigkeit der Umzäunung und polizeilichen Bewachung des Göttinger Gebäudekomplexes in der Groner Landstraße 9 während der Corona-Pandemie im Juni 2020 klagen nun betroffene Familien auf Schmerzensgeld gegen die Stadt Göttingen. Es wird für 223 Personen – hiervon 96 Kinder – aus 78 Familien Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 880.850,00 € vor dem Landgericht Göttingen geltend gemacht.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu rechtswidrigen Freiheitsentziehungen sind die Einzelforderungen mit mindestens 50,00 € je Person und Stunde der Freiheitsentziehung bemessen.

Im Dezember 2023 war die Stadt Göttingen zunächst außergerichtlich aufgefordert worden, die Zahlungen zu tätigen oder in außergerichtliche Vergleichsverhandlungen einzutreten. Hierauf reagierte die Stadt Göttingen nicht, so dass die Klagen wegen drohender Verjährung bis zum 31.12.2023 erhoben werden mussten.

Die Stadt Göttingen hatte die Bewohner des Wohnkomplexes seinerzeit unter Generalverdacht gestellt und das Ansehen der Betroffenen in der Öffentlichkeit herabgesetzt. Das VG Göttingen nahm in der Entscheidung vom 30.11.2023 daher nicht nur eine Verletzung des Grundrechts der gewährleisteten Freiheit der Person an, sondern auch eine Verletzung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.

„Die betroffenen Familien haben wegen der offensichtlich rechtswidrigen Freiheitsentziehung und der tiefgreifenden Persönlichkeitsrechtsverletzung einen Anspruch auf Schmerzensgeld gegen die Stadt Göttingen. Dies ergibt sich aus dem sog. Amtshaftungsanspruch (§ 839 BGB).

Offensichtlich kalkulierte die Stadt mit der Verjährung der Ansprüche. Dass der Anspruch der ohnehin marginalisierten Menschen nicht bereits außergerichtlich befriedigt wurde und die Familien das ihr zustehende Schmerzensgeld einklagen müssen, ist eine finanzpolitische Taktiererei, die abermals auf dem Rücken der Menschen in der Groner Landstraße 9 ausgetragen wird“, ärgert sich Rechtsanwalt Sven Adam.

„Wir werden nun mit umfassenden Beweisanträgen in den Verfahren die Fehlentscheidungen der Stadtverwaltung aufarbeiten und die teils lebensbedrohlichen Zustände innerhalb des Komplexes während der Abriegelung zum Gegenstand der Beweisaufnahme machen.“ so Adam abschließend.

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