Es war schon ein außergewöhnlicher Vorgang: fünf prominente, angesehene Politiker aus fünf Parteien verfassten den gemeinsamen Aufruf „Dialog statt Eskalation“. Edmund Stoiber von der CSU, Antje Vollmer von den Grünen, Horst Teltschik von der CDU, Günter Verheugen von der SPD und Helmut Schäfer von der FDP hatten zusammengefunden, weil sie sich über Parteigrenzen hinweg eine große Sorge machten: sie befürchteten, dass wir uns auf einen neuen Weltkrieg zubewegen, „einen dritten und damit letzten“, wie sie schrieben. Heute kann ein solcher Aufruf niemanden verwundern, aber wie kamen die fünf im Jahr 2018 darauf?
Sie stellten eine „beunruhigende Entfremdung“ zwischen Russland und dem Westen fest: Dialogforen, die einmal der Verständigung und Kooperation gedient hatten, würden „in immer schnellerem Rhythmus“ abgeschnitten, mit der „Beschwörung einer russischen Bedrohung (wird, A.M.) eine neue Aufrüstungsoffensive in Gang gesetzt““. Nun drohe ein Zusammenbruch der westlich-russischen Beziehungen, der „auch noch den Rest an globaler Stabilität zu gefährden“ würde. Dabei sei es die „Kernfrage, ob der Westen Russland als einen gleichberechtigten Partner in allen globalen Fragen anerkennen will oder nicht“. Statt ohne Vorbedingungen, Vorverurteilungen und Drohungen über alle Konflikte und Streitpunkte offen zu reden, verfalle man in „rhetorische Eskalation und die Produktion von Feindbildern“. Wie gesagt, das war 2018. Hätte der Aufruf zu einer breiten öffentlichen Diskussion geführt, wäre die befürchtete Entwicklung vielleicht aufzuhalten gewesen. Inzwischen ist sie aber dramatisch fortgeschritten.
Aufruf von deutschen Medien weitestgehend ignoriert
Die fünf Politiker wollten durch ihren außergewöhnlichen Schritt genau die genannte breite öffentliche Diskussion bewirken. Zu diesem Zweck setzten sie sich bewusst über alle trennenden parteipolitischen Widersprüche hinweg. Warum hatten sie keinen Erfolg? Der Hauptgrund dürfte wohl sein, dass der Aufruf die meisten Bürger gar nicht erreichte. Das Magazin „Übermedien.de“ stellte fest: „Die deutschen Medien ignorierten das weitestgehend.“ Schon die Süddeutsche Zeitung hatte sich geweigert, den Aufruf überhaupt zu veröffentlichen, die FAZ zögerte zunächst einige Tage, brachte den Aufruf dann doch aber in der Rubrik „Fremde Federn“ (im April 2018). Übermedien.de fasste die weitere Entwicklung so zusammen: „Von dort zog er (der Aufruf, A.M.) keine Kreise. Keine Nachrichtenagentur berichtete über das bemerkenswerte überparteiliche Bündnis altgedienter Politiker, keine Zeitung, kein Online-Medium.“ Einzige Ausnahme war die Deutsche Welle, die allerdings nur in einer Nebenbemerkung darauf einging, wobei der Artikel sich mit der Ablehnung einer militärischen Beteiligung in Syrien durch Kanzlerin Merkel befasste (Übermedien.de, 12.4.18).
Die deutschen Medien mit Ausnahme der FAZ schwiegen den Aufruf also konsequent tot! Sie sorgten dafür, dass die große Mehrheit der Bürger nichts von ihm erfuhr. Antje Vollmer, immerhin über 11 Jahre Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, stellte ernüchtert fest, dass es fast unmöglich sei, eine gesellschaftliche Debatte zum Thema anzustoßen (Übermedien.de, 13.4.18). Anstatt ihre Aufgabe der Information der Bürger zu erfüllen, hielten die Medien diese zurück, so dass das Anliegen und die Argumente der fünf gar nicht breit diskutiert werden konnten. Eine wichtige Säule einer funktionierenden Demokratie (vielleicht die wichtigste) war brüchig geworden. Übermedien ließ keinen Zweifel daran: „Selten so eine mediale Einheitsfront gesehen wie in Bezug auf Russland“! Und leider hat sich diese Einheitsfront in den letzten sieben Jahren nur weiter verhärtet.
US-Präsident Biden sprach mit Putin, EU lehnte den Dialog ab
Politik und Medien waren sich in dieser Frage einig – und sind es im Großen und Ganzen bis heute. Schon seit 2014 hat die EU jedes diplomatische Treffen mit der russischen Führung abgelehnt. Das änderte sich selbst im Jahr 2021 nicht, als der Präsident der USA, Biden, den russischen Präsidenten Putin in Genf traf, um Auswege aus der verfahrenen Situation in den gegenseitigen Beziehungen zu suchen. Man kam überein, wieder Botschafter einzusetzen und für strittige Fragen in Arbeitsgruppen nach Lösungen zu suchen. In dieser Lage machte Kanzlerin Merkel den Vorschlag, auch die EU solle wieder den Dialog mit Russland aufnehmen; Präsident Macron unterstützte das. Allerdings waren die drei baltischen Staaten und Polen dagegen und setzten sich damit durch: die EU verzichtete weiterhin auf den Dialog mit Russland, obwohl die Spannungen in der Ukrainefrage schon überdeutlich waren. Dabei hätte man sich über diesen Schritt nicht einmal mit dem großen Bruder jenseits des Atlantiks streiten müssen. Offenbar war einigen osteuropäischen Führern die Konfrontation mit Russland wichtiger als das Ziel, alles zu versuchen, den Konflikt friedlich einzuhegen.
Heute stehen wir vor dem Desaster. Die EU hat sich auf uneingeschränkte Konfrontation festgelegt. Der Misserfolg ist unübersehbar. Aber ein Umdenken scheint den Verantwortlichen nicht mehr möglich zu sein, am wenigstens wohl Friedrich Merz. Wenn er doch wenigstens auf den CDU-Politiker Laschet hören würde. Der spricht sich zwar nicht gegen die Aufrüstung aus, fordert aber, dass gleichzeitig der direkte Dialog mit Russland gesucht werden muss.




























