Von Paul Pockrand, VVN/BdA Braunschweig
Als Nachtrag zu den Rieseberg-Gedenkfeiern dokumentieren wir nachfolgend die Rede von Paul Pockrand an den Gräbern auf dem alten Stadtfriedhof:
Liebe Kolleginnen liebe Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,
Ich beginne mit einem Zitat von Gertrud Schröter, einer VVN Kameradin, die, solange es ihre Gesundheit erlaubte, Führungen durch das KZ Bergen Belsen machte. Sie sagte:
„Alles, was vergessen wird, geschieht“
Wir gedenken heute der 10 Kommunisten, die vor 90 Jahren zuerst in der AOK gefoltert, dann in Rieseberg im
ehemaligen Haus der Gewerkschaften gefoltert und anschließend erschossen wurden. Bei der Umbettung 1956 fand man in deren Gräbern noch einen 11. unbekannten Mann. Sie waren nicht die ersten Opfer des Terrors und der Einschüchterung durch die NSDAP.
Im Braunschweiger Land und in der Stadt gab es folgende Entwicklung:
Am 20. September 1931 Umzüge der SA. Sie demonstrieren ihre gewonnene Macht im Freistaat. Seit September 1931 werden Umzüge der linken Parteien und Verbände systematisch verboten.
Am 17./18. Oktober 1931 fand das Treffen der “100.000“ SA statt. Aus dem ganzen Reich waren SA-Kolonnen in der Stadt.
Am 18. Oktober Ermordung der beiden Arbeiter Engelke und Heinrich Fischer durch die SA während des 3-tägigen SA-Treffens.
Am 21. Oktober 1931 erstes Verbot der sozialdemokratischen Parteizeitung “Volksfreund“. Am 6. November folgt das zweite Verbot.
Am 22. Januar 1932 wird der Reichsbanner-Mann Meier vor der MIAG erschossen.
Im August 1932 verübt die SS einen Sprengstoffanschlag in der Langen Straße.
Nach der Machtübertragung an die NSDAP am 30. Januar 1933 brachen alle Dämme:
KPD-Funktionäre werden verfolgt, das Volksfreund-Haus gestürmt, der Kaufmann Hans Salie ermordet, Oberbürgermeister Böhme verhaftet und misshandelt, die AOK in eine Folterstätte verwandelt, der Gewerkschafter Mathis Theisen gefoltert und ermordet, Bücherverbrennungen, Beschlagnahme von Gewerkschaftsvermögen.
Höhepunkt des Terrors war der Massenmord von Rieseberg. Damit es nicht in Vergessenheit gerät, möchte ich die Ereignisse in aller Kürze schildern:
Am 29. Juni 1933 wird von der inzwischen geschaffenen SA-Hilfspolizei in der ganzen Stadt Jagd auf die kommunistischen Flugblattverteiler gemacht. Nach Ende der Aktion trifft bei der SS die Meldung ein, dass im Eichtal kommunistisches Propagandamaterial verteilt wird. Daraufhin wird das ganze Viertel von SS in Zivil abgeriegelt. Unabhängig trifft hier auch eine aus Ölper kommende SS-Kolone ein und beteiligt sich an dieser Terroraktion. In der Dunkelheit treffen beide Trupps aufeinander und beschießen sich gegenseitig. Statt kommunistischer Flugblattverteiler wird hier Gerhard Landmann von der SS selbst getroffen. Er stirbt noch während des Transportes in das Krankenhaus.
Ohne die polizeiliche Untersuchung abzuwarten, standen für Klagges und Jeckeln, die etwas später im Eichtal eintreffen, fest: Als Täter kommt nur ein Kommunist in Frage. Um die Aufklärung des tatsächlichen Sachverhalts zu verhindern, schickt Jeckeln das inzwischen alarmierte Polizeikommando nach Hause.
Unter Missachtung polizeilicher Ermittlungsergebnisse ordnen die SS-Führer Massenverhaftungen unter der Braunschweiger Arbeiterschaft an. Besonders betroffen war die Belegschaft der MIAG. In der AOK wurden sie misshandelt. SS-Mann Kleist erpresste mit Folter von Alfred Staats das Geständnis, den SS-Landmann erschossen zu haben.
Am 4. Juli 1933, am Tag der Beerdigung Landmanns, wurden 10 Kommunisten aus der AOK ausgewählt und zum Pappelhof in Rieseberg transportiert. Dort wurden sie weiter gefoltert und erschossen. Die Toten wurden außerhalb des Friedhofes verscharrt.
1945 wurden die Grabstellen der Opfer auf Verlangen der Antifa Braunschweigs in den Friedhof einbezogen. Die Antifa war es auch, die den Ermordeten das erste Denkmal setzte und die Ehrung der Toten vornahm.
1956 wurde auf Beschluss der Stadtverwaltung Brunschweig die Ausgrabung und Umbettung der Opfer von Rieseberg nach Braunschweig durchgeführt und dieser würdige Ehrenhain geschaffen.
Bei der Obduktion der Opfer 1956 wurden durch den Pathologen Dr. Markworth nicht nur die tödlichen Schussverletzungen, sondern auch die Folgen der brutalen Folterungen festgestellt.
Mit der Zerschlagung der Organisationen der Arbeiterbewegung, der Inhaftierung von Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschaftern in den errichteten KZ war Ruhe im Reich. Durch Bespitzelung und willkürliche Verhaftungen herrschte Angst und Unsicherheit. Nun konnte die Vorbereitung des neuen Krieges beginnen mit all seinen bekannten Katastrophen und Schäden an Menschen und Natur.
Abschließend ein paar Bemerkungen zum Thema Krieg und Frieden:
Durch Verhandlungen endete 1648 nach 30 Jahren ein Krieg in Europa, mit dem Westfälischen Frieden. Heute ist wieder Krieg in Europa, wir können keine 30 Jahre auf Verhandlungen warten. Probleme wie Umweltzerstörung, Hungerkatastrophen, Wasserknappheit müssen sofort gelöst werden.
2023 gibt es 55 Kriege und Konflikte in der Welt.
Weltweit sind 110 Millionen Flüchtlinge durch Krieg und Klimakrise auf der Flucht.
Heute wie damals ist die Losung der Pazifisten richtig: „Die Waffen nieder“
Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.























