Der Journalist Klaus Knodt befragte die OB-Kandidaten zu den Schulden der Stadt. Fünf der sechs Kandidaten antworteten. Lesen Sie hier die Fragen und Antworten.
Sehr geehrte Herren Markurth, Brandes, Sommerfeld, Herlitschke, Büchs und Herms
Wie mir bekannt wurde, soll die Stadt Braunschweig seit geraumer Zeit als Finanzierungsinstrument für Investitionen sog. „konstitutive selbständige Schuldversprechen“ einsetzen. Während die Aufnahme von Krediten und Übernahme von Bürgschaften jeweils einzeln dem Rat vorbehalten sind, wird über diese Schuldversprechen offenbar nicht im Rat abgestimmt.
Daher meine Fragen:
1) Ist es richtig,, dass die Stadt Braunschweig zwischen 2006 und 2014 in größerem Umfang sog. „konstitutive selbständige Schuldversprechen“ als Finanzierungsinstrument zur Geldbeschaffung einsetzt?
2) Wie hoch beläuft sich gegenwärtig die Gesamtsumme der von der Stadt Braunschweig abgegebenen Schuldversprechen gegenüber Banken, und zugunsten welcher Unternehmen wurden diese abgegeben?
3) Können Sie mir sagen, warum jedes einzelne dieser Schuldversprechen, anders als bei Kreditaufnahmen üblich, nicht gesondert im Rat beschlossen wurde und auch nicht im Haushalt der Stadt Braunschweig aufgelistet wurde?
4) Angenommen, Sie werden zum Oberbürgermeister/zur Oberbürgermeisterin gewählt: Können Sie beziffern, welche weiteren dieser Schuldversprechen die Stadt bis ins Jahr 2035 noch abgeben wird, die bereits durch Ihren Amtsvorgänger zugesagt wurden? Gedenken Sie, diese weiteren Schuldversprechen dann auch weiterhin zu unterzeichnen?
Herr Markurth antwortete:
Sehr geehrter Herr Knodt,
am vergangenen Wochenende habe ich erstmalig zu dem Thema Informationen erhalten.
Bislang war ich in meinem Zuständigkeitsbereich mit der Thematik nicht befasst und musste dies auch nicht.
Ich bitte daher um Verständnis, dass ich mich zu dem gesamten Fragenkomplex ohnehin erst nach intensiver Beschäftigung mit der Problematik äußern würde. Wegen des zu erwartenden Arbeitsumfangs wäre dazu erst und nur im Falle meiner Wahl Zeit und Gelegenheit.
Mit freundlichen Grüßen
U. Markurth
Herr Sommerfeld antwortete:
Sehr geehrter Herr Knodt,
Vorweg möchte ich schicken, dass Kommunalpolitik darin besteht im Rahmen der Richtlinienkompetenz grundsätzliche Beschlüsse zu fassen und die Einhaltung dieser Beschlüsse zu überwachen. Manche Kommunalpolitiker verstehen sich allerdings als „Hobby-Enthüllungs-Journalisten“ oder „Hobby-Wirtschaftsprüfer“, die meinen alles zu wissen und gleichzeitig große kommunalpolitische Themen (Soziales, Kinder und Jugend, Sport etc.) überhaupt nicht beachten. Zu diesen Kommunalpolitikern gehöre ich nicht. Und deshalb muss ich gestehen, dass ich die Fragen möglicherweise nicht zu Ihrer Zufriedenheit beantworten kann.
Dies vorweg geschickt antworte ich wie folgt:
1) Ist es richtig, dass die Stadt Braunschweig zwischen 2006 und 2014 in größerem Umfang sog. „konstitutive selbständige Schuldversprechen“ als Finanzierungsinstrument zur Geldbeschaffung einsetzt?
Ja, Schuldversprechen wurden vom Rat beschlossen. Laut Auskunft der Verwaltung gibt es drüber hinaus keine weiteren Schuldversprechen.
2) Wie hoch beläuft sich gegenwärtig die Gesamtsumme der von der Stadt Braunschweig abgegebenen Schuldversprechen gegenüber Banken, und zugunsten welcher Unternehmen wurden diese abgegeben?
In den Jahresabschlüssen werden die Verbindlichkeiten aus kreditähnlichen Rechtsgeschäften, Rückstellungen für drohende Verpflichtungsermächtigungen aus Rückstellungen usw. aufgestellt. Diese zusammen zu stellen übersteigt meine Arbeitskraft bei weitem. Ich bin aber gerne bereit die einzelnen Jahresabschlüsse zur Verfügung zu stellen. Auskunft kann möglicherweise auch der konsolidierte Jahresabschluss geben, der hoffentlich noch in diesem Jahr vorgelegt wird.
3) Können Sie mir sagen, warum jedes einzelne dieser Schuldversprechen, anders als bei Kreditaufnahmen üblich, nicht gesondert im Rat beschlossen wurde und auch nicht im Haushalt der Stadt Braunschweig aufgelistet wurde?
Laut Stellungnahme der Verwaltung ist diese Aussage nicht zutreffend. Siehe DS 10194/14
4) Angenommen, Sie werden zum Oberbürgermeister/zur Oberbürgermeisterin gewählt: Können Sie beziffern, welche weiteren dieser Schuldversprechen die Stadt bis ins Jahr 2035 noch abgeben wird, die bereits durch Ihren Amtsvorgänger zugesagt wurden? Gedenken Sie, diese weiteren Schuldversprechen dann auch weiterhin zu unterzeichnen?
Laut Stellungnahme der Verwaltung gibt es keine Schuldversprechungen am Rat vorbei. Daran soll sich auch nichts ändern.
Herr Herlitschke antwortete:
Sehr geehrter Herr Knodt,
offensichtlich geht es Ihnen um eine Information zu Handlungen, die der scheidende Oberbürgermeister und seine Verwaltung im Rahmen der geschlossenen Verträge über die Privatisierung der Stadtentwässerung vollziehen. Insofern erscheint es mir sinnvoll, dass Sie Ihre Fragen dort direkt anbringen, da ihnen von der Verwaltung sicher die fachlich korrekteste Antwort erteilt werden kann. Im Übrigen sind uns die Verträge zur Privatisierung und auch der Vorgang der Schuldübernahme für Investitionen in die Entwässerungssysteme
bekannt. Die genaue Höhe der noch abzuschließenden „Schuldversprechen“ in den nächsten 35 Jahren ist nicht festgelegt, weil sie sich nach der Höhe der Investitionen richtet. Diese Investitionen werden – wie Sie wissen werden – über die Gebühreneinnahmen finanziert und das unabhängig davon, ob die Entwässerung privatisiert oder in kommunaler Regie betrieben wird.
Ich würde als Oberbürgermeister die rechtskräftig geschlossenen Verträge zur Privatisierung der Stadtentwässerung erfüllen müssen, aber natürlich würde ich mit Hilfe entsprechender Fachanwälte die Möglichkeiten der Rekommunalisierung prüfen.
Zu Ihrer Information verweise ich auch auf die Antwort der Verwaltung auf eine Anfrage von Herrn Rosenbaum an den Finanzausschuss zu diesem Thema
Mit freundlichen Grüßen
Holger Herlitschke
Herr Herms antwortete:
Sehr geehrter Herr Knodt,
nach Rücksprache mit unserer Ratsfraktion hier meine Antworten auf Ihre Fragen:
1) Ist es richtig, dass die Stadt Braunschweig zwischen 2006 und 2014 in größerem Umfang sog. „konstitutive selbständige Schuldversprechen“ als Finanzierungsinstrument zur Geldbeschaffung einsetzt?*
Die Stadt Braunschweig setzt gelegentlich selbstständige Schuldversprechen ein, wenn dies z. B. durch Bedingungen in Förderbescheiden notwendig wird. Üblicherweise kommen dadurch aber keine mehrstelligen Millionensummen zusammen.
Ein viel typischeres Instrument der Finanzierung ist die Abgabe von Einredeverzichtserklärungen, die privaten Investoren eine Forfaitierung, sprich den vollständigen Weiterverkauf von Forderungen an die Stadt Braunschweig, erlaubt. Auf diese Weise wurden z. B. im PPP-Schulprojekt niedrigere Zinsen für Hochtief erreicht, die dann als Finanzvorteil an die Stadt weitergereicht werden konnten.
Ebenfalls üblich ist die Abgabe von Bürgschaften zugunsten städtischer Gesellschaften, z.B. der Verkehrs-AG, ebenfalls um günstigere Zinskonditionen erreichen zu können.
2) Wie hoch beläuft sich gegenwärtig die Gesamtsumme der von der Stadt Braunschweig abgegebenen Schuldversprechen gegenüber Banken, und zugunsten welcher Unternehmen wurden diese abgegeben?
Die typischen Fälle, die zu Begünstigungen führen, habe ich bereits unter 1 angeführt. Die Gesamtsumme der Schuldversprechen, -anerkenntnisse, Einredeverzichte und Bürgschaften dürfte sich auf einige hundert Millionen Euro belaufen. Mindestens ebenso interessant sind aber die bereits eingegangenen rechtlichen Verpflichtungen zur Erklärung weiterer Einredeverzichte. So muss die Stadt z.B. nach baulicher Abnahme der PPP-Schulgebäude jeweils den Einredeverzicht erklären, damit die Forderung von Hochtief an eine Bank verkauft werden kann. Die Stadt hat also aus diesen Verträgen effektiv noch zukünftige finanzielle Verpflichtungen.
3) Können Sie mir sagen, warum jedes einzelne dieser Schuldversprechen, anders als bei Kreditaufnahmen üblich, nicht gesondert im Rat beschlossen wurde und auch nicht im Haushalt der Stadt Braunschweig aufgelistet wurde?*
Viele dieser Vorgänge wurden jeweils „im Paket“ abgestimmt. Die Verwaltung hat somit vom Rat bereits die Erlaubnis erhalten, entsprechende Geschäfte abzuschließen. Einige der übernommenen Verpflichtungen finden sich im städtischen Haushalt wieder. Die Verwaltung weigert sich meines Wissens aber bislang, auch die bereits bekannten zukünftigen Verpflichtungen irgendwo summiert auszuweisen.
4) Angenommen, Sie werden zum Oberbürgermeister/zur Oberbürgermeisterin gewählt: Können Sie beziffern, welche weiteren dieser Schuldversprechen die Stadt bis ins Jahr 2035 noch abgeben wird, die bereits durch Ihren Amtsvorgänger zugesagt wurden? Gedenken Sie, diese weiteren Schuldversprechen dann auch weiterhin zu unterzeichnen?*
Nein, ich kann das nicht genau beziffern; schließlich kann ich den Fachbereich Finanzen noch nicht fragen. Die Gesamtsumme dürfte aber im Bereich 250 Millionen liegen. Soweit dazu bereits Verträge geschlossen sind, würde ich diese Schuldversprechen u.ä. natürlich im Namen der Stadt unterzeichnen, da die Stadt rechtlich dazu verpflichtet ist. Anderenfalls würden der Stadt jede Menge Prozesskosten entstehen, und dann – nachdem die Prozesse verloren sind – würde die Stadt trotzdem die Schuldanerkenntnisse unterzeichnen müssen. Das kann man sich sparen. Ich hoffe meine Antworten helfen Ihnen weiter.
Mit freundlichen Grüßen
Merten Herms
Herr Dr. Büchs antwortete:
Sehr geehrter Herr Knodt,
Ich danke für die Anfrage und nehme wie folgt Stellung:
1) Bei Akteneinsichten stellten wir (BIBS-Fraktion) allein bei der Abwasserprivatisierung mit Veolia 10 solcher Schuldversprechen kombiniert mit sog. Einredeverzichtserklärungen zu Lasten der Stadt fest. Weitere gibt es bei der Schulsanierung in Verträgen mit privaten Partnern des Baukonzerns Hoch-Tief.
Das Strickmuster ist immer gleich, die Kredit-Summen werden an die privaten Konzerne ausgezahlt, die Rückzahlungen nebst Zinsen an die Banken erfolgen jedoch durch Abbuchung vom städtischen Konto.
2) Die Gesamthöhe der seit 2005 eingegangenen Schuldversprechen beläuft sich bis zum jetzigen Zeitpunkt bereits auf rd. 450 Mio.€ – und ist damit weit höher als der Schuldenabbau von 380 Mio.€ , womit sich die Verwaltung im Chor der offiziellen Medien bislang immer brüstet.
3) Anders als bei offiziellen Krediten der Stadt, wurden bei den drei Privatisierungen (Stadtentwässerung, Stadtreinigung und Schulsanierungen) nur globale Vorlagen dem Rat der Stadt zur Abstimmung vorgelegt. Der Oberbürgermeister ist der Ansicht, durch Zustimmung des Rates zu diesen Privatisierungen habe der Rat – quasi gleich im Vorgriff auf die nächsten Jahrzehnte (30 Jahre bei der Stadtentwässerung) – alle nachfolgenden Schuldversprechen bereits abgenickt. Dieser Ansicht sind wir nicht.
Bislang hält der OB es nicht einmal für nötig, zu den Haushaltsberatungen eine aktuelle Liste der eingegangenen Schuldversprechen beizufügen.
4) Die nachfolgenden Oberbürgermeister müssten allein bei der Abwasserprivatisierung mit 22 weiteren Schuldversprechen rechnen über ca. 350 Mio.€, dazu auch noch weitere im Rahmen der Schulsanierung.
Als neuer Oberbürgermeister würde ich jedes einzelne Schuldversprechen dem Rat zur Kenntnis geben, wie bei normalen Kreditaufnahmen.
Oberstes Gebot bei den kommunalen Finanzen sind für mich Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit.
Ich würde prüfen lassen, ob die bisherige Praxis über Jahrzehnte hinweg überhaupt statthaft sind.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Büchs
























