Von großen Männern und Scheinoppositionen

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Von großen Männern und Scheinoppositionen

„Maurice Joly, ein Außenseiter der französischen Literatur, berühmt für seine politische Abrechnung ‚Ein Streit in der Hölle‘ und ansonsten vergessen, hat 1867 im Gefängnis einen Ratgeber zum Erfolg verfasst, der an Scharfsinn, Ironie und Zynismus nichts zu wünschen übrig lässt. Er geht davon aus, dass in der menschlichen Gesellschaft ein dauernder, durch das Gesetz geregelter Kriegszustand herrscht, und zieht daraus, im parodistischen Stil eines Leitfadens, die Konsequenzen. Er analysiert die Vorurteile der Borniertheit und des Vorurteils, der Heuchelei und der Patronage, und besonders liebevoll geht er auf die Rolle der politischen Parteien ein. Auch über den Journalismus, die Werbung und die Wirtschaftskriminalität weiß er viel Einleuchtendes zu sagen. Nicht nur die bürgerliche Gesellschaft setzt Joly seinem Röntgenblick aus; auch ihr revolutionäres Pendant wird nicht geschont.

Erstaunlich und deprimierend ist, mehr als 130 Jahre nach seinem Erscheinen, die Aktualität dieses Buches, das seinerzeit – selbstverständlich – nur anonym verlegt werden konnte. Die Mechanismen des gnadenlosen Erfolgs sind sich offenbar – digitale Revolution hin oder her – ziemlich gleich geblieben; insofern liegt der Nutzen dieses Handbuchs auf der Hand.“

 So der Klappentext der 2001 im Eichborn-Verlag erschienenen  ‚Handbuch des Aufsteigers‘ von Maurice Jolys.

Dass dieser Klappentext nicht zu viel verspricht, beweisen  – rudimentäre Kenntnisse der Braunschweiger Lokalpolitik vorausgesetzt – folgende zwei Auszüge aus Jolys Buch:                                                       

 VON DEN GROSSEN MÄNNERN

Da die Politik nun einmal so ist, wie wir es eben gesagt haben, scheint es recht klar, dass die Nachwelt bisher die Bezeichnung ‚groß‘ nur denen verliehen hat, die in ihrem eigenen Interesse am besten über die menschliche Art nachzusinnen wussten.

Um sich mit dieser edlen Beschäftigung hervorzutun, benötigt man nicht ein so erhabenes Genie, wie allgemein angenommen wird.

Als Schlußstein für dieses Gebilde fungiert eine Kombination aus Willensstärke und Verschlagenheit in ungeheuren Proportionen. Praktisch setzt dieses jedoch weder erstklassige Talente noch einen absolut herausragenden Charakter oder Geist voraus. Es ist möglich, dass ein großer Mann kein Verständnis für seine Zeit aufbringt oder sich auf der Höhe der Ideen seines Jahrhunderts befindet.

Die Grenzen seiner Intelligenz und sogar seiner Vernunft können für ihn zur Stärke werden. Einem weitblickenden Geist könnte es an jener Hartnäckigkeit fehlen, die für fixe Ideen charakteristisch ist. Er könnte vor den entfernt liegenden Konsequenzen seiner Handlungen zögern, die er erahnt, wenn er in die Materie eingedrungen ist.

Jemand von hoher Vernunft würde keine Vorhaben ausführen, bei denen die Proportionen nicht stimmen; er würde bei seinen Möglichkeiten das Unbekannte, Unvorhergesehene, Unmögliche ausschließen wollen, das jede Kühnheit in Kauf nehmen muss. Ein Mann mit einem wirklich weiten Horizont könnte sich über seine Persönlichkeit erheben. Er wäre vielleicht nicht geneigt, sich zu jenen unwürdigen Täuschungen herabzulassen, welche die Politik zu einem Gesetz macht, das selbst für gekrönte Häupter gilt. Mitunter hätte er mehr Mitleid als Verachtung für das Menschengeschlecht. Aber welche Kraft vermag dieser enge, brennende, unerbittliche Ehrgeiz einzuflößen, der sich aus dem Stolz nährt und einer gleichsam fleischlichen Sehnsucht nach der Macht? Wie häufig hat man erlebt, dass blinder Fatalismus an die Stelle des Genies trat, weil man im Übermaß die sekundären Begabungen  entwickelte, von denen vor allem der Erfolg abhängt?

In seinen guten Stern, seine Bestimmung zu vertrauen, sich vorzustellen, das man als notwendiges Element in die Weltordnung Eintritt findet, ist das etwas anderes als dumpfer Aberglaube, wenn man weiß, wie die Natur sich über den Staub des Menschlichen hinwegsetzt? Gleichwohl war dieses Gefühl, das nichts anderes als einen Akt der Sinnlosigkeit darstellt, die hauptsächliche Kraft nahezu aller großen politischen Spieler.

Die größten Kapitäne, die gewitztesten Gesetzgeber, die Führer von Sekten, die Parteigründer mit dem glücklichsten Naturell unterschieden sich in ihrer Mehrzahl von den anderen Menschen nur durch den Grad ihrer Anmaßung und ihres Selbstbewusstseins, das in keinem Verhältnis zu ihren wirklichen Möglichkeiten stand. Diese Anmaßung war vielleicht nicht nur unerlässlich, um solche Vorhaben auszuführen, für deren Planung einem wissenden Geist der Mut gefehlt hätte, sondern auch, um ihren Anhängern jenen Gehorsam und jene Unterordnung abzuringen, die für den Erfolg dieser Vorhaben unerlässlich sind.

Man muss gleichwohl einräumen, dass die Völker es den Ehrgeizigen leicht machen, denn in ihrem Leben haben sie ihnen alles erlaubt, und nach ihrem Tod sichern sie ihnen die begeisterte Verehrung der Nachwelt.

Allerdings fügt man mit ernster Stimme hinzu, dass die Geschichte streng über Fürsten und Minister urteilt, die ihre Macht maßvoll einsetzen.

Ein schönes Geschäft!

 

TAKTIEREN MIT PARTEIEN

[…]

Solange die Regierung eine gewisse Macht besitzt, zügeln die einflussreichen Männer an der Spitze der Partei ihre Angriffe, weil sie hoffen, dass man sie aus der Opposition auf irgendeinen glanzvollen Posten berufen wird, mit dem sie auch den Gang der Ereignisse beeinflussen können. Bei parlamentarischen Regierungen kann das vorkommen, da hier der Kampf der Ehrgeizigen legal organisiert ist.

In solchen Zeiten reduzieren sich die Machenschaften der Parteien auf ein Geflecht von kleinen mühseligen Intrigen, mit deren Hilfe man nach und nach seinen Einfluss festigen kann; aber keine darf das herkömmliche Maß übersteigen. In einer Armee beispielsweise sind Vorgehen und Anleitung zentral organisiert, und im allgemeinen sind es die Fähigsten, die befehlen. In den Parteien hat dagegen jeder zu befehlen, oder möchte es zumindest, und die Leitenden stehen in ihrem Niveau unterhalb des Mittelmaßes. Das ist ganz selbstverständlich, da Menschen, die eine Partei gründen, nur ihren Ehrgeiz und ihre Eitelkeit zusammentun. Der Hass lässt sie zusammenrücken, aber die Eifersucht trennt sie, so dass sie eher zum Feind überlaufen würden, als einander etwas deutlichere Vorteile zu verschaffen. Ihre Hauptbeschäftigung besteht darin, sich gegenseitig in Schach zu halten und einander möglichst zu neutralisieren.

Sie besitzen einen außerordentlichen Scharfblick für die Entdeckung großer Talente, eines überlegenen und entschlossenen Charakters. Man entledigt sich derer mit der größten Sorgfalt, denn mit ihrer Anwesenheit unter mittelmäßigen, übervorsichtigen und neidischen Leuten, deren Hauptbeschäftigung darin besteht, alle auf demselben Niveau zu halten, die nutzlose Überlegungen, unvollständige Entschlüsse, halbe Maßnahmen, alle Art von kleinen Verhandlungen und Kapitulationen gewohnt sind, würden sie die überkommenen Beziehungen völlig durcheinander bringen. Solche Parteien haben so große Angst, sich zu kompromittieren, dass sie kaum ihre Gefallenen einsammeln.

[Von der Scheinopposition]

Wenn eine Regierung stark genug war, die Parteien in einem Zustand der Machtlosigkeit zu halten, wenn sie gleichsam ein Schwarm Wespen sind, denen man den Stachel ausgerissen hat, dann bildet sich recht häufig eine Scheinopposition, in deren Schoß es sich bequem und sicher leben lässt.

In so einem Fall ist die Taktik jener Männer recht einfach, denen es gelungen ist, sich durch die Unterstützung ihrer Mitbürger eine gewisse Position zu sichern. Für sie heißt es lediglich, die Augen vor den etwas brutaleren Taten der Regierung zu verschließen,  die großen Fragen zugunsten der kleinen zu vernachlässigen, sich unter dem Sturm zu beugen, von Zeit zu Zeit aufzuschreien, aber beim ersten Blitzschlag, den die Macht herabsendet, zu verstummen. Wer mit diesem Verhalten, das übrigens eine reine Strategie der Beschwichtigung darstellt, geschickt zu lavieren weiß, kommt in den Genuss spürbarer Vorteile. Man kann Geld oder Posten erhalten, und außerdem werden einem die unvergleichlichen Ehren der Opposition zuteil, ohne dass man ihre Gefahren fürchten muss. Schließlich ist man im Fall einer neuen Revolution besonders gut plaziert, denn befand sich ja im vorigen Regime auf Seiten der Opposition.

Diese Scheinoppositionen dienen bei einem Zusammenstoß, der zwischen einem Land und einer Regierung stattfinden kann, als Puffer. Da Puffer auch nach dem Aufprall zu etwas tauglich sein können, riskiert man nichts, wenn man eine Regierung unterstützt, die man anzugreifen scheint; man hat die Chance, ebenso lange durchzuhalten wie sie und sie zu überleben, wenn sie untergeht.

[…]

Soweit Maurice Joly. Sein ‚Handbuch des Aufsteigers‘ ist ein wahres Trost- und Ratbüchlein auch für alle, die angesichts der Braunschweiger Lokalpolitik nur noch Ekel empfinden können. Seit geraumer Zeit leider vergriffen, ist es antiquarisch jedoch halbwegs leicht erhältlich.

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