Was sagt ein altgedienter Diplomat zum Ukraine-Konflikt?

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Botschafter a.D. Hellmut Hoffmann

Wenn einer 34 Jahre im Dienste des Auswärtigen Amtes war, unter anderem als Leiter der deutschen Abrüstungsmission in Genf, dann gewinnt er tiefe Einblicke in den Umgang von Staaten miteinander und in internationale Politik allgemein. Dr. Hellmut Hoffman ist so einer. Vor einigen Wochen hat er in Braunschweig auf Anregung des Braunschweig-Spiegel in der Evangelischen Akademie einen Vortrag gehalten. Im vollbesetzten Saal ging es um den Ukrainekrieg. Hoffmann machte keinen Hehl daraus, dass er eine „abweichende“ Sichtweise vertritt, dabei allerdings in guter Gesellschaft sei: unter anderen wurden General a.d. Kujat, General a.d. Vad, Klaus von Dohnanyi oder auch der amerikanische Spitzenpolitologe John Mearsheimer genannt. Ohne irgendwelche Überheblichkeit, leicht verständlich und gut begründet legte der Diplomat im Ruhestand seine Sichtweise dar.

Zum Ukrainekrieg gebe es grundsätzlich zwei gegensätzliche Interpretationen: die eine behauptet, Russland sei eine auf Expansion ausgerichtete Macht, die darauf abzielt, nicht nur die Ukraine einzunehmen, sondern dann auch ganz Europa unter Kontrolle zu bekommen; daher sei es in unserem ureigenen Interesse, die Ukraine nach Kräften vor allem militärisch zu unterstützen, um uns selbst zu schützen. Die andere sieht bei Russland begrenzte Kriegsziele, nämlich den Beitritt der Ukraine zur NATO zu verhindern, die vier Oblaste, in denen die Bevölkerung mehrheitlich russischsprachig ist, einzunehmen, keine westlichen Friedenstruppen in der Ukraine zuzulassen und die ukrainischen Truppen zahlenmäßig zu begrenzen. Die erste Sichtweise (modemäßig „Narrativ“ genannt) sei in Deutschland vorherrschend und werde pausenlos in den meisten Medien verbreitet, wobei immer dieselben „Experten“ aufgeboten würden. Die andere Interpretation werde unter Verdacht gestellt („Putin-Versteher“), was so weit gehe, dass etwa General Kujat, einst der oberste Soldat Deutschlands und der NATO sich schweizerischer Medien bedienen muss, um überhaupt noch Gehör zu finden. Der Vortrag lässt keinen Zweifel daran, dass das russische Vorgehen dem Völkerrecht widerspricht, dass aber dessen ungeachtet die zweite Interpretation als zutreffend angesehen wird.

Das verlinkte Video des Vortrages erlaubt der interessierten Leserin (wie natürlich dem männlichen Gegenstück), die dafür vorgebrachten Argumente in Ruhe kennenzulernen und dann auch zu überprüfen. Hoffmann verwendet u. a. dazu Zahlen der unverdächtigen Institute SIPRI und IISS (das von einem ehemaligen Oberstleutnant der Bundeswehr geleitet werde); er macht dies so gut dosiert, dass der Zuhörer nicht mit Zahlen gequält wird. Mitunter fallen dabei auch noch interessante Kenntnisse ab, so etwa, dass die Verhandlungen zur Beendigung des Vietnamkrieges vier Jahre dauerten und dass die USA während dieser Verhandlungen die massivsten Flächenbombardierungen des Krieges durchführten. Oder die Information, dass die Zahl der deutschen Truppen im Zwei-plus-Vier-Vertrag auf 370.000 begrenzt wurde (Hoffmann hatte die entsprechende Vorlage selbst geschrieben).

Insgesamt lässt Hoffmann keinen Zweifel: Deutschland und Europa schädigen sich selber (Abschneiden von billiger Energie, Wirtschaftskrise, statt Investitionen in unsere Wettbewerbsfähigkeit Verschuldung und Aufrüstung), während die USA ein großer Profiteur der Entwicklung sind (Gas- und Waffenverkäufe im großen Stil). Und die Aussichten der Ukraine werden immer schlechter, je länger der Krieg andauert.

Aber sehen Sie selbst im Video, das die Evangelische Akademie Braunschweig bei YouTube veröffentlicht hat.

1 Kommentar

  1. Herr Hellmut Hoffmann bietet eine interessante Alternative zur vorherrschenden Meinung – quasi die andere Seite der Medaille, wenn man so will. Dass er für seine Sichtweise seltene Gesellschaft hat, ist ja auch bemerkenswert, fast schon ein Geheimtip unter Ex-Machos und Politikprofis. Es ist ja gut, dass noch Menschen da sind, die nicht nur Zahlen von SIPRI und IISS zitiern, sondern auch wissen, wie lange der Vietnamkrieg gedauert hat… Die Kritik am eigenen Handeln und den US-Profiten ist ja auch nicht neu, aber immer gut zu hören. Ein bisschen mehr dieser anderen Sichtweisen in den Medien wäre ja auch nicht schlecht, statt nur das etablierte Narrativ zu wiederholen. Hoffentlich finden mehr Leute diesen kleinen Fundplatz für unkonventionelle Gedanken!

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