„Deutschland muss kriegsbereit sein“ – nein, muss es nicht!

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Ein Artikel von Marcus Klöckner

„Deutschland muss nicht verteidigungsbereit, sondern kriegsbereit sein“ – unter dieser Überschrift veröffentlichte die Braunschweiger Zeitung einen Kommentar, der einen zeitdokumentarischen Charakter aufweist. Er steht für den Zerfall des Journalismus im Zusammenhang mit einer Presse, die immer tiefer in den Sumpf des Militarismus abrutscht.

Die Beispiele sind schier unzählig. Redaktionen ebnen publizistisch dem politischen Großprojekt Kriegstüchtigkeit den Weg. Wo früher Journalisten – nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges – in der Berichterstattung noch die Stimme des Friedens erhoben, sitzen nun Redakteure, die die schlimmsten politischen Entscheidungen seit Bestehen der Bundesrepublik goutieren, als wären sie von Sinnen.

Uwe Meier : Ja, als wären sie von Sinnen. Genau deshalb wurde der Braunschweig-Spiegel gegründet, um der Braunschweiger Zeitung bei ihren kriegsbedingten Spielen Einhalt bieten zu können. Und nun auch noch ein Braunschweiger Redakteur. Zumal er auch noch den Verteidugungsminister Pistorius zitiert. Im Beitrag zuvor hat Klaus v. Dohnany, seinerzeit im Kabinett von BK Helmut Schmidt, dem Herrn Pistorius „NULL“ Bedeutung bescheinigt.

Aus dem Westend-Verlag Interview mit Herrn v. Dohnany

Aber wo die Versäumnisse von Pistorius sind und wo ein Vergleich mit Helmut Schmidt, dem großen Verteidigungsminister in der Zeit von Willy Brandt – wenn man einen solchen Vergleich zwischen Pistorius und Helmut Schmidt unternehmen würde – dann ist Pistorius gar nicht mehr sichtbar, dann hat er gar keine Bedeutung. Er ist überhaupt kein Nachdenker, wie man mit den Problemen einer solchen Spannungslage fertig werden kann. Er ist sozusagen eine Null in diesem Punkt. Er kann Waffen beschaffen, aber er ist keiner, der die Abschreckung verbinden kann mit wirklicher Entspannung.”

Uwe Meier: Es ist nicht zu fassen. Anscheinend müssen unsere Kriegherren (und Damen) in der Journallie auch mal im Krieg gewesen sein, so wie Schmidt und Dohnany, sonst würden so nicht vor lauter Phantasielosigkeit in den Krieg hineinstolpern.

MK: Immer offener ist die Rede von einem möglichen Krieg gegen Russland – fern jeder Realität.

Nun fordert ein Redakteur der Braunschweiger Zeitung nicht mehr nur die viel beschworene „Verteidigungsbereitschaft“, nein, „Deutschland“, so heißt es in der Überschrift, „muss (…) kriegsbereit sein“.

So, „muss“ es das?

Es gab eine Zeit, da waren nicht nur mahnende pazifistische Stimmen in Medien normal; es gab eine Zeit, da gab es innerhalb von Medien noch eine redaktionelle Qualitätskontrolle. Einen Kommentar zu verfassen, das bedeutete für einen Journalisten: seine Sicht der Dinge darzulegen – allerdings auf der Basis von Fakten und nicht auf dem Sockel der Propaganda.

In dem Kommentar von Johannes A. Kaufmann ist die Realität entkernt. Das Sinnareal des Meinungsbeitrags ist auf die Größe eines Stecknadelkopfes reduziert. Der Feind ist klar ausgemacht. Russland, Putin: Große Bedrohung! Zweifel: keine vorhanden. Dafür zitiert der Redakteur ohne auch nur den Hauch von Kritik Verteidigungsminister Pistorius: „Ohne ausreichende Munition kann die Bundeswehr weder glaubwürdig abschrecken noch wirksam kämpfen“, habe der Minister jüngst bei der Eröffnung der größten Munitionsfabrik in Europa gesagt.

Was soll der Minister auch sonst sagen, wenn er Rheinmetall die Ehre gibt? Die Aussagen Pistorius‘ werden als „klar“ bezeichnet.

Schließlich lautet das Fazit des Redakteurs: „Wir müssen unser Verhältnis zum Krieg normalisieren.“

Warum die deutsche Gesellschaft das „müssen“ sollte, bleibt so nebulös wie die Frage, warum Deutschland „kriegsbereit“ werden müsse.

In dem gesamten Kommentar findet sich nicht auch nur ein im Ansatz belastbarer Grund. Nichts. Dafür gibt es einen Spruch auf Latein: „Si vis pacem para bellum – Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor.“

X-Mal von Befürwortern der Aufrüstungspolitik zitiert, wirkt der Spruch wie ein Stück vergammelter Fisch. Anmerken ließe sich noch: Bei Erkältungen Vitamin C einnehmen. Ja, alle wissen es. Auch den Spruch, der einem römischen Autor zugeschrieben wird, dürfte mittlerweile jeder, der die klägliche Diskussion zur Kriegstüchtigkeit Deutschlands verfolgt, gehört haben. Ein Spruch, der wie ein Säulenheiliger auf dem Podest der Kriegstreiberei platziert wurde, soll der „Fraktion Stahlhelm“ als intellektuelle Spitzmarke einer Argumentation dienen, die vor Geistlosigkeit nur so strotzt. Das Problem: Mist bleibt Mist – da hilft auch kein Latein weiter.

Kaufmann spricht von dem „Kriegstreiber in Moskau“ und vom Baltikum als „Schwachstelle“ für einen Angriff. Und: Die Sicherheit in Litauen hänge davon ab, ob Deutschland „glaubhaft bereit“ sei, Krieg zu führen. „Nicht sich zu verteidigen und zurückzuschießen. Sondern wirklich Krieg zu führen“, ergänzt der Autor ganz so, als ob seine Botschaft nicht schon in der Überschrift längst für jeden klar zu erkennen wäre. „Männer! Zu den Gewehren. Wenn’s nötig wird: Kampf, Kampf, Kampf“ – gegen Russland!

Ja, ja und nochmals: Ja! Die Welterklärer in den Redaktionen von heute wissen nicht, was ein Krieg zwischen NATO und Russland bedeutet. Und so wenig, wie sie begreifen, dass ein dritter Weltkrieg eher über kurz als über lang zur nuklearen Katastrophe führen wird, verstehen sie die politischen Zusammenhänge der schweren Krise zwischen Russland und NATO. Von der Tiefenpolitik des Westens und den komplexen geostrategischen Zusammenhängen in der Ukraine wissen sie nichts. Dafür fühlen sie sich berufen, der deutschen Gesellschaft zu sagen, was sie tun „muss“. Kriegsbereit, das „muss“ sie sein.

Die Verwahrlosung im Journalismus ist weit fortgeschritten – zum schweren Nachteil von Friedenspolitik und Demokratie.

Dazu Werner Hensel, dessen Leserbref nur zum Teil in der Braunschweiger Zeitung abgedruckt wurde:

„Genau!

Recht hat unser Bundeskanzler: „Wir können uns dieses System nicht mehr leisten!“ Ein System, in dem die reichsten 10 % der Deutschen 60 % des gesamten Nettovermögens besitzen. Ein System, in dem das Vermögen eines deutschen Milliardärs in 2024 täglich um 2 Mio. Dollar pro Tag(!) gewachsen ist, wie Oxfam ermittelte. Ein System, in dem die Steuerlast der arbeitenden Menschen immer höher wird aber auf eine Vermögenssteuer und eine gerechte Erbschaftssteuer verzichtet. Angesichts dieser Unterechtigkeit fallen dem Bundeskanzler nur Kürzungen bei den Ärmsten ein und er behauptet „Wir leben seit Jahren über unsere Verhältnisse.“ Wen meint der Kanzler mit „Wir“? Die vielen Menschen, bei denen am Ende des Geldes noch viel Monat übrig ist? Die Reichen leben über unsere Verhältnisse! Öffentliche Armut und privater Reichtum sind zwei Seiten einer Medaille. Die Folgen: Immer mehr Menschen leben in Armut, Brücken brechen zusammen, Schulen verkommen, Krankenhäuser werden geschlossen, gute Bildung hängt vom Geldbeutel der Eltern ab usw. Wir können uns den obszönen Reichtum Weniger nicht mehr leisten!

In diesem kapitalistischen System wird die öffentliche Daseinsfürsorge – das Gesundheitswesen, die Altersfürsorge, das Menschenrecht auf Wohnen mehr und mehr dem Profitstreben unterworfen. Die Folge: Gesundheit wird zur Ware, Mieten werden unerschwinglich, Altenheimbewohner werden zu Sozialfällen. In diesem System wird mehr und mehr Ackerland zu teuer für Bauern, weil Konzerne die Flächen als Kapitalanlage kaufen. Die kapitalistische Wirtschaftsweise ruiniert unsere natürlichen Lebensgrundlagen, weil in einer auf ewiges Wachstum angelegten Wirtschaft Umweltauflagen und Ressourcenschonung nur Kostenfaktoren sind. Und: „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen.“, sagte der französische Sozialist Jean Jaurès vor dem 1. Weltkrieg. Waffenproduktion ist ein todsicheres Geschäft für die Rüstungsindustrie. Deren Aktionäre jubeln über das Geschäft mit dem Tod. Und das leisten wir uns?“ Werner Hensel

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